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# taz.de -- Regionale Wikis: Ode an die Heimat
> Stadtwikis liegen im Trend, es gibt bereits über 160 davon. Sie bieten
> Möglichkeiten zur aktiven Bürgerbeteiligung, nicht nur in Demokratien.
Bild: Heimatgefühle in einem Dorf irgendwo in Bayern.
Altötting in Niederbayern hat [1][eins]. Pforzheim-Enz [2][auch]. Karlsruhe
hat laut eigenen Angaben [3][das größte] weltweit. Und natürlich dürfen
Städte wie [4][München] oder [5][Berlin] nicht fehlen. Die Rede ist von
Stadt- und Regionalwikis.
Das Prinzip ist simpel: Bei Stadtwikis handelt es sich um eine Mischung aus
Online-Lexikon und Informationsportal. Wie bei Wikipedia kann jeder Leser
auch hier gleichzeitig Autor sein. Im Mittelpunkt steht aber Regionales,
beispielsweise bekannte Persönlichkeiten, Stadtgeschichte oder aktuelle
Kunstausstellungen. Wie ein digitaler Stadtführer, der immer weiter
erweitert werden kann.
Hipster berichten über Szenekneipen und Flohmärkte, Professoren über
Landschaften und Gewässer und Politaktivisten über die nächste Demo oder
eine lokale Initiative. Ein bunter Haufen also, der dafür sorgt, dass
Themen und Geschichten nicht auf vergilbtem Papier in den Tiefen von
Kleinstadtarchiven vor sich hin vegetieren. Er rettet Wissen in das
digitale Zeitalter - wenn auch sehr spezielles, nur für die interessant,
die wissen, wovon die Rede ist.
## Bayerisch für Anfänger
Bei einem genaueren Blick auf das RegioWiki Altötting-Niederbayern etwa
entdeckt man eine sorgfältig zusammengetragene Sammlung der bayerischen
Sprache. Ein [6][Boarisch:bayerisch–deutsches Wörterbuch] also, wie man es
bei Wikipedia nicht finden würde. Das ist nicht nur für Einheimische
hilfreich.
Denn wissen, Sie, was [7][„auszuzeln“] bedeutet? Oder kennen Sie [8][Dagmar
Plenk]? Sie war Bürgermeisterin der Stadt Passau und engagierte sich auf
kommunaler Ebene. Doch bei Wikipedia findet sich kein Eintrag zu ihr. Ein
Fall für das Regiowiki.
Aber nicht nur in Europa, auch in China oder den USA verbreiten sich
Stadtwikis. Über 160 gibt es bereits und es werden immer mehr. Peter
Mambrey von der Universität Duisburg-Essen prognostizierte 2009 in einer
Studie zum Thema „eine Tendenz zur aktiven selbstorganisierten
Kommunikation". Seitdem breiten sich die Plattformen immer weiter aus.
## „Chance für Bürgerbeteiligung“
Maxim Votyakov sieht auch großes Potential in der Entwicklung von
RegioWikis. Der IT-Unternehmer aus Tomsk in Westsibirien gründete vor ein
paar Jahren zusammen mit ein paar Freunden [9][ToWiki], die lokale
Plattform der Stadt. Vor allem im Internet stößt er auf Themen, die er für
das Wiki wichtig findet.
„Die Russen sind im Netz sehr aktiv, also wundert es mich nicht, dass die
Zahl unserer Autoren immer weiter steigt“, sagt er. Es gehe vor allem
darum, Themen zu behandeln, die die Bewohner der Stadt bewegen, aber für
andere Online-Lexika nicht relevant seien, kommentiert er.
Votyakov sieht sein Stadtwiki aber auch als Chance. Gerade für
Gesellschaften, in denen Partizipation von Seiten der Bürger nicht üblich
und oft auch nicht gewünscht ist, wie in Russland. Er betont aber, dass
„politische Themen im Wiki keine größere Rolle spielen als im Alltag der
Menschen". Die Russen seien eher unpolitisch, fügt er nach einigem Zögern
hinzu.
Stefan Daller, Politikstudent und in seiner Freizeit Wikipedianer für das
Regiowiki Altötting-Niederbayern, sieht sein Projekt primär als Ergänzung,
nicht als Ersatz zu lokalem Journalismus. „Es geht eher darum,
Informationen aufzuarbeiten, die man so nicht woanders findet, ein
Online-Lexikon zu sein", sagt er. Er ist stolz auf die Entwicklung seines
Wikis. Nach nur vier Jahren finden sich dort über 14.000 Artikel von etwa
50 Autoren.
##
Bis zu zehn Stunden pro Woche durchforstet Daller Stadtarchive,
Tageszeitungen und Verlagsseiten, um relevante Themen herauszufischen. Er
sucht etwa nach Geschichten über Menschen „die etwas nicht-alltägliches
vollbracht haben oder eine herausragende Stellung in der Gesellschaft
haben“. Kochrezepte regionaler Speisen haben aber genauso ihren Platz wie
ein Eintrag zum [10][„Holledauer Fidel“], einem niederbayerischen
Singspiel.
Das Wiki als politisches Instrument zu nutzen, das steht für Daller nicht
im Vordergrund. Er sieht das Projekt eher als „ein Stück Heimat im
Internet“. Heutzutage würden die Menschen Informationen googeln, anstatt in
Bibliotheken zu gehen, sagt er: „Regionales Wissen soll unter keinen
Umständen verloren gehen, also versuchen wir die Menschen wieder für ihre
Heimat zu begeistern“.
Wie beim großen Bruder Wikipedia, stellt sich aber auch die Frage nach der
Qualität. Bei Wikipedia ist die Anzahl der Autoren zu einem Thema bedeutend
größer, doch selbst da herrschen mitunter gewaltige Qualitätsunterschiede.
Schreiben die Autorinnen und Autoren der Stadtwikis über den Bäcker um die
Ecke, kann das Niveau entsprechend inhaltlich und formal stark variieren.
Die Texte müssen also unter Umständen detaillierter bearbeitet werden, eine
Herausforderung für die nicht nur ehrenamtlichen Mitarbeiter.
So wurde das niederbayerische Regiowiki 2008 von der Zeitung Passauer Neue
Presse ins Leben gerufen. Heute betreibt die Zeitung das Wiki zusammen mit
dem Verein RegioWiki Bayern e.V.
## Von Sängerknaben und Dombauten
Eine andere Problematik sind die Einträge, die sich sowohl bei Wikipedia
als auch im RegioWiki finden. Man fragt sich zu recht, wie sinnvoll diese
Dopplungen sind. Für Daller sind das zwei Seiten ein- und derselben
Medaille: „Ich vergleiche das oft mit dem Unterschied zwischen
Allgemeinlexikon und Fachlexikon. Im Allgemeinlexikon hat ein Thema
vielleicht nur drei Zeilen, im Fachlexikon hingegen drei Seiten“, sagt er.
So würden seine Autoren immer darauf achten, einen alternativen Schwerpunkt
zu bieten und bei einer Person etwa herauszuarbeiten, warum sie für die
Region bedeutend ist.
Der Artikel zum „Holledauer Fidel“ verdeutlicht diese alternative
Schwerpunktsetzung. Ist das Theaterstück dem Wikipedia-Autor nur wenige
Zeilen wert, so findet sich im RegioWiki ein ausführlicher Beitrag über
vergangene Aufführungen und eine detailierte Übersicht der Handlung.
Ob nun politisches Tool zur Meinungsbildung als Chance in einigen Ländern
oder reines Online-Lexikon wie in Deutschland. Eines wird vor allem
deutlich: Zurückbesinnen zu den eigenen Wurzeln, das Interesse für die
Region wecken, das ist hier das Motto. Das Wort „Heimat" gewinnt so eine
ganz neue Bedeutung.
29 Nov 2012
## LINKS
[1] http://regiowiki.pnp.de/index.php/Hauptseite
[2] http://www.pfenz.de/wiki/Hauptseite
[3] http://ka.stadtwiki.net/Hauptseite
[4] http://www.monacomedia.de/muenchenwiki/index.php/Hauptseite
[5] http://berlin.wikia.com/wiki/Hauptseite
[6] http://regiowiki.pnp.de/index.php/Kategorie
[7] http://regiowiki.pnp.de/index.php/Auszuzln
[8] http://regiowiki.pnp.de/index.php/Dagmar_Plenk
[9] http://towiki.ru/
[10] http://regiowiki.pnp.de/index.php/Der_Holledauer_Fidel
## AUTOREN
Anna Jikhareva
## TAGS
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Feminismus
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