# taz.de -- Drohung in Niedersachsen: Gruß aus der Fleischbranche | |
> Ein Prälat findet ein Kaninchenfell vor seinem Haus. Er hatte die | |
> schlechte Bezahlung ausländischer Beschäftigter in der Fleischproduktion | |
> angeprangert. | |
Bild: Muss mancherorts als Botschaft dienen: Kaninchenfell, hier noch mit Inhal… | |
HAMBURG taz | Das abgezogene Fell eines Kaninchens lag am Dienstagmorgen | |
vor der Tür des Prälaten im niedersächsischen Vechta, Peter Kossen. Der | |
Kopf hing noch dran. Zwei Tage zuvor hatte der Stellvertreter des | |
Weihbischofs Heinrich Timmerevers in deutlichen Worten die Ausbeutung | |
osteuropäischer Arbeiter in der örtlichen Fleischindustrie kritisiert. „Das | |
bedeutet von der Aussage her: Wir ziehen dir das Fell über die Ohren“, sagt | |
Ludger Heuer, Sprecher des Offizialats Vechta. Kossen sagte der | |
Nordwestzeitung, er werte das als „Gruß aus der Fleischbranche“. | |
Der Prälat hatte seiner Gemeinde am Sonntag Tacheles gepredigt. „Ganz | |
unbescholtene Bürger verdienen mitten unter uns kräftig an der Situation | |
der Migranten mit, wenn abbruchreife Häuser für horrende Preise vermietet | |
werden an Rumänen und Bulgaren“, kritisierte der Priester. Unternehmen | |
könnten bei armselig bezahlten Leiharbeitern oder Werkverträglern nicht | |
ihre Hände in Unschuld waschen, mit dem Hinweis die Entsendefirma sei | |
zuständig. | |
Es sei nicht zu rechtfertigen, dass osteuropäische Arbeiter nur die Hälfte | |
oder ein Drittel des Entgelts ihrer deutschen Kollegen erhielten. Einige | |
Scharlatane brächten eine ganze Branche in Misskredit. „Sie arbeiten mit | |
hoher krimineller Energie, erschreckender Menschenverachtung und mafiösen | |
Strukturen“, predigte Kossen. | |
Wer das abgezogene Fell vor Kossens Tür legte, ist ungewiss. „Die Branche | |
ist nicht dafür bekannt, zimperlich zu sein“, sagt Kossens Sprecher Heuer. | |
Kossen habe den Fall der Polizei zwar gemeldet, aber keine Anzeige gegen | |
Unbekannt erstattet. So eine Aktion sei zwar keine normale Kritik mehr, | |
solle aber auch nicht juristisch überbewertet werden, findet sein Sprecher | |
Heuer. | |
Gut möglich, dass die Nerven in der Tierindustrie blank liegen. Schließlich | |
wächst die Kritik an der Massenproduktion von Fleisch. Inzwischen muss jede | |
neue Großmastanlage und jede Großschlachterei mit einer Bürgerinitiative | |
rechnen. Das niedersächsische Landvolk hat deshalb in der vergangenen Woche | |
seine Mitglieder aufgerufen, Predigten zu melden, die sich kritisch mit der | |
Massentierhaltung auseinandersetzen. | |
## Schlechte Unterbringung nicht länger hinnehmen | |
Wer immer es gewesen sein mag, der dem Prälaten Kossen den Balg vor die Tür | |
gelegt hat – der Fleischwirtschaft hat er damit keinen Gefallen getan. | |
Kossen habe viel Solidarität in Leserbriefen und Artikeln erfahren, sagt | |
sein Sprecher Heuer. Die Gewerkschaften und Sozialverbände stünden auf | |
seiner Seite, sagt Clemens Olberding, der Landesvorsitzende des | |
Katholischen Arbeitnehmer-Bundes (KAB). | |
Der KAB sei auf die schlechte Lage der Arbeitsmigranten aufmerksam | |
geworden, als er gegen den Versuch vorging, in einem Schlachthof die | |
Sonntagsarbeit einzuführen, sagt Olberding. In der kommenden Woche würden | |
die Gewerkschaften und Sozialverbände versuchen, ein gemeinsames Vorgehen | |
gegen die schlechte Behandlung der Arbeitsmigranten abzusprechen. | |
Lohne, eine der in Kossens Predigten erwähnten Gemeinden, handelt schon. | |
Nach einer Sachverständigenanhörung im Sozialausschuss kündigte | |
Bürgermeister Tobias Gerdesmeyer (CDU) an, die Gemeinde werde gegen | |
überhöhte Mieten und baufällige Wohnungen für Werkvertragsarbeiter | |
vorgehen. Den Stadtrat will er dazu auffordern, eine Resolution zur | |
Gleichbehandlung von Stammbelegschaft, Leih- und Werkvertragsarbeitern zu | |
verabschieden. | |
Auch der Landkreis Vechta „will die Unterbringung von | |
Werkvertragsarbeitnehmern in der heutigen Form nicht weiter hinnehmen“ und | |
Vorschriften erarbeiten. Die Leute sollen ein Privatzimmer von mindestens | |
neun Quadratmetern haben und sich mit maximal drei weiteren ein Bad teilen | |
müssen. | |
Das gibt Rückenwind, den die Kirchenleute brauchen können. „Das ist ein | |
Thema, bei dem man Zivilcourage zeigen muss“, sagt Heuer. Der Verband der | |
Fleischwirtschaft äußerte sich nicht. | |
22 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Fleischindustrie | |
Massentierhaltung | |
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