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# taz.de -- Kommentar Sexuelle Gewalt: „Ich wurde vergewaltigt“
> In Frankreich wehren sich vergewaltigte Frauen öffentlich gegen die
> Tabuisierung von sexueller Gewalt. Viel Aufmerksamkeit dürften sie nicht
> kriegen.
Bild: Sexuelle Gewalt ist ein alltägliches Phänomen.
„Habe ich mich vergewaltigen lassen? Nein, ich wurde vergewaltigt.“ Diese
beiden simplen Sätze enthalten das ganze Dilemma und die wenigsten
Betroffenen wagen, sich als Opfer öffentlich zu machen, also den letzten
Satz laut vor Publikum auszusprechen. Auch im 21. Jahrhundert nicht, auch
nicht in den Metropolen der Aufklärung.
Zu schwer wiegt bis heute der Verdacht, das Opfer, zumal wenn es volljährig
ist, habe es doch gewollt, es sei also kein Opfer. Und wehe, die Frau oder
der Mann haben tatsächlich Fehler gemacht, haben die Situation falsch
eingeschätzt, haben dem Aggressor freiwillig die Tür ihres Appartments oder
ihres Schlafzimmers geöffnet – die allermeisten Opfer kennen ja ihren
Vergewaltiger – dann geht die Beweisaufnahme, ob der Medien, der Gerichte
oder der Familie aber schnurstracks zulasten der AnklägerIn.
Findet sich nicht das hundertprozentige Opfer, und das findet sich unter
Erwachsenen selten, dann gilt: Im Zweifel für den Angeklagten, im Zweifel
gab es gar keine Gewalt, nur Missverständnisse oder frigide Menschen. Nicht
immer, aber meist sind damit Frauen und noch öfter Feministinnen gemeint.
Bernard-Henri Levis Verteidigung des unter Vergewaltigungsverdacht
geratenen Dominic Strauss-Kahn vor einem Jahr klirrt noch in den Ohren:
„puritanischer Irrsinn“.
In Frankreich hat die linke Tageszeitung Nouvel Observateur nun ein
Manifest veröffentlicht: „[1][Ich wurde vergewaltigt]“. 313 Frauen aus
allen gesellschaftlichen Schichten und aller Alterstufen haben
unterzeichnet und vielleicht noch wichtiger: Sie haben auf Einladung der
Politikerin Clémentine Autain ihre Geschichte erzählt und der Nouvel Obs
hat sie veröffentlicht. 1971 veröffentlichte die gleiche Zeitung ein
Manifest „Ich habe abgetrieben“, es wurde einer der berühmtesten Slogans
für die sogenannte zweite Frauenbewegung. Dem neuerlichen Anlauf gegen ein
nicht weniger schwerwiegendes patriarchales Tabu dürfte kaum so viel
Aufmerksamkeit zuteil werden. Warum eigentlich nicht?
Sexuelle Gewalt ist ein alltägliches Phänomen. Sie richtet sich gegen
Erwachsene und Kinder, vor allem, aber keineswegs nur gegen Frauen und
Mädchen, sondern auch gegen Männer und Jungen. Vor allem katholische
Priester lieben und auch der ein oder andere linke Lehrer mochte es,
Minderjährige gleichen Geschlechts ihrer Lust auf Macht zu unterwerfen.
Davon haben wir in den letzten Jahren in den Medien viel gehört, zum Glück.
Dass das Manifest von Nouvel Obs nur vergewaltigte Frauen in den Blick
nimmt, ist des Differenzfeminismus daher auch ein bisschen zu viel – das
Anliegen entwertet es aber nicht: Es richtig und immer noch notwendig,
gegen die allgegenwärtige Tabuisierung von sexueller Gewalt anzutreten. Wir
sind in dieser Frage, längst nicht so liberal und aufgeklärt, wie wir das
gerne von uns denken.
Erst wenn Fehlverhalten nicht mehr zur Neutralisierung von erfahrener
sexueller Gewalt eingesetzt wird, erst wenn die Tatsache, dass die Opfer
ihre Vergewaltiger kennen und mit ihnen kommuniziert haben, nicht mehr zur
Entlastung des Aggressors führt, erst wenn die bei allen Differenzen jedem
Vergewaltiger eigene Unfähigkeit zur Empathie, also zur Einfühlung in sein
Gegenüber, nicht mehr als „so sind sie halt, die Männer“ von Männern und
Frauen aller politischen Couleur normalisiert, sondern als pathologisch
wahrgenommen und verworfen wird – erst dann können wir uns solche Manifeste
sparen.
23 Nov 2012
## LINKS
[1] http://tempsreel.nouvelobs.com/viol-le-manifeste/20121119.OBS9861/je-declar…
## AUTOREN
Ines Kappert
## TAGS
Sexuelle Gewalt
Frauen
Schwerpunkt Frankreich
Vergewaltigung
Dominique Strauss-Kahn
sexueller Missbrauch
Missbrauch
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