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# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: "Süchtig nach Facebook"
> Seit zehn Jahren ist das Café Schilleria Anlaufstelle für Mädchen. Ein
> Gespräch mit den Macherinnen über Kochen, Internet und das Positive der
> Gentrifizierung.
Bild: Junge Frauen unterwegs im Schillerkiez.
taz: Frau Karci, seit zehn Jahren gibt es das Mächencafé Schilleria im
Schillerkiez. Sie spielen Theater, bieten jede Woche einen Rapworkshop an,
machen Ausflüge – aber alles nur für Mädchen. Warum eigentlich?
Hülya Karci: In der Pubertät brauchen Mädchen mehr Raum für sich und ihre
persönliche Entwicklung. Wenn Jungs dabei sind, sind die immer lauter –
dann ziehen sich die Mädchen zurück. In der Schilleria sind die Mädchen
unter sich. Das hat gerade am Anfang muslimischen und orthodox-christlichen
Eltern die Sorge genommen.
Frau Rohleder, wer sind die Mädchen, die heute in die Schilleria kommen?
Daniela Rohleder: Wir haben vor allem Stammbesucherinnen, die jeden Tag
kommen – auch wenn sie nur mal kurz reingucken und Facebook checken. Das
sind im Schnitt etwa 30 Mädchen, die zu 98 Prozent im Schillerkiez leben.
Sie bringen die unterschiedlichsten Hintergründe und Potenziale mit, was
das Schilleria-Leben sehr bereichert.
Was heißt das konkret?
Rohleder: Die Familien unserer Mädchen kommen aus Algerien, der Türkei, aus
Bosnien, Tunesien, Albanien … Sie bringen verschiedene religiöse und
Bildungshintergründe mit. Diese Vielfalt nutzen wir. Wir haben zu
Weltreligionen im Kiez gearbeitet und ein Theaterprojekt zu den Biografien
der Mütter und ihrer Töchter gemacht.
Auch im Schillerkiez wird von Gentrifizierung gesprochen; auf dem Weg von
der U-Bahn zur Schilleria sieht man Galerien und Ateliers. Haben sich die
Kinder und Jugendlichen, die hierherkommen, verändert?
Rohleder: Es sind noch Kinder aus den gleichen Familien.
Bildungsbürgerkinder kommen bislang nicht. Allerdings erkundigen sich öfter
junge, neu hinzugezogene Eltern, ob das vielleicht ein Ort wäre für ihre –
manchmal noch gar nicht geborenen – Kinder.
Die Entwicklung des Kiezes geht also nicht spurlos an der Schilleria
vorüber?
Rohleder: Es sind schon einige Mädchen wegen der steigenden Mieten
weggezogen. Außerdem gibt es dadurch, dass mehr kreative Professionelle
hier wohnen, neue Themen, die wir aufgreifen, etwa faire Mode.
Das heißt, Sie gehen offen mit den Veränderungen um?
Rohleder: Wir wollen das nicht ausblenden oder beschönigen – es ist ein
Problem, dass Familien hier wegziehen müssen. Aber wir verteufeln oder
bekämpfen das nicht, sondern versuchen, Potenziale zu nutzen, die daraus
auch erstehen. Letzte Woche kam zum Beispiel eine Frau vorbei, weil sie mit
einer Gruppe von Kreativen etwas zurückgeben will an den Kiez. Es kommt
viel ehrenamtliches Engagement von den Zugezogenen.
Frau Karci, Sie haben vor zehn Jahren die Schilleria mitgegründet. Wie sind
sie auf die Idee gekommen?
Karci: Ich habe damals in der Schulstation der Karl-Weise-Grundschule
mitgearbeitet. Dort gab es schon ein Mädchencafé, aber wir wollten einen
eigenen Laden aufmachen. Auf der Suche nach einem Ort sind wir auf einen
alten Dönerladen in der Weisestraße gestoßen, den wir mit einigen Mädchen
renoviert haben. Im Oktober vor zehn Jahren haben wir dann eröffnet.
Und was ist dort passiert?
Karci: Anfangs gab es einen Theaterschwerpunkt. Zudem haben wir Nachhilfe
angeboten, Ausflüge, Computerkurse … Und wir haben viel gekocht! Die Eltern
der meisten Kinder haben gearbeitet: Wenn die Kinder nach der Schule nach
Hause kamen, war da niemand. Also haben wir gemeinsam gekocht. Beim Essen
kann man viele Gespräche führen. Das war hervorragend.
Wie hat die Nachbarschaft auf das neue Angebot reagiert?
Karci: Am Anfang gab es viele Probleme. Ein türkischer Gemüsehändler hat
sogar Unterschriften gegen uns gesammelt, weil er uns dafür verantwortlich
machte, dass sein Laden nachts häufiger demoliert wurde. Wir haben ein paar
Jahre daran gearbeitet, Tage der offenen Tür und viel Elternarbeit gemacht.
Die Nachbarn waren also erst mal nicht begeistert. Wie haben die Mädchen
den neuen Treffpunkt angenommen?
Karci: Für sie gab es im Kiez keinen Ort, daher waren sie froh.
Wie läuft das heute?
Rohleder: Die Schilleria ist etabliert; es gibt eine große Vertrauensbasis
auch seitens der Eltern.
Wie hat sich die Arbeit in der Schilleria in den letzten zehn Jahren
verändert?
Rohleder: Heute haben wir einen Wochenplan mit regelmäßigen Angeboten wie
Theater oder dem Rap-Workshop. Immer noch wird fast jeden Tag gekocht; es
gibt immer mal wieder besondere Events wie zuletzt ein Filmprojekt. Aber es
ist ganz wichtig, dass wir die Mädels nicht überfordern. Je mehr man sich
mit ihnen hinsetzt und einfach zuhört, desto deutlicher werden die Themen,
die sie beschäftigen.
Karci: Die Themen bleiben gleich, die Herangehensweisen ändern sich. Damals
hatten wir kein Facebook, jetzt hat sogar die Schilleria eine
Facebook-Seite …
Rohleder: … was im Team eine Diskussion war. Auf der einen Seite ist es
erschreckend, zu sehen, wie die Mädchen hier reinstürmen und süchtig sind
nach Facebook. Das wollten wir ein bisschen auffangen. Gleichzeitig gehört
es zu ihrer Lebenswelt. Und wenn wir mit ihnen in Kontakt bleiben wollen,
dann gehört es zu unserer Professionalität, sie dort abzuholen, wo sie
sind.
Die Schilleria bietet einen Raum und viel Programm. Wie wird das
finanziert?
Karci: Es war von Anfang an schwierig. Es gab eine Förderung vom Bezirksamt
und eine feste Stelle für die Leiterin. Alle anderen haben auf Honorarbasis
gearbeitet. Wir haben immer Spenden und Sponsoren gesucht.
Rohleder: Zwischenzeitlich hatten wir ein Team von sechs Mitarbeitern, das
wir aber vor zwei Jahren auf eine Person reduzieren mussten, weil wir in
einen finanziellen Engpass geraten sind. Es gibt noch eine
Grundfinanzierung vom Bezirksamt. Aber es geht viel Zeit dafür drauf,
Projekte zu beantragen und Fundraising zu betreiben.
Was passierte vor zwei Jahren?
Rohleder: Die jahrelange Tätigkeit der ehemaligen Mitarbeiterinnen auf
Honorarbasis wurde nicht anerkannt, woraus immense Rückzahlungen unter
anderem von Sozialversicherungsbeiträgen entstanden.
Karci: Allgemein ist es aber ein großes Problem, dass viel zu wenig Geld
für Jugendarbeit da ist.
Rohleder: Die Unsicherheit ist sehr groß, weil die Verträge immer nur um
ein Jahr verlängert werden. Man weiß nie, wie es weitergeht. Deshalb gehen
die guten Leute irgendwann. Auch die Mädchen leider darunter.
Warum?
Rohleder: Für die Beziehungsarbeit ist es wichtig, mitzubekommen, was sie
erleben, aus welchen Familien sie kommen, einen Zugang zu den Eltern zu
finden. Dafür braucht man verlässliche Personen. Viel Arbeit läuft durch
ehrenamtliches Engagement, was wundervoll ist, weil wir viel Unterstützung
bekommen. Trotzdem ist es schwierig, wenn die Mädchen sich anvertrauen –
und dann sind ihre Bezugspersonen plötzlich weg.
Am Freitag gibt es erst mal ein großes Geburtstagsfest. Wie geht es danach
weiter?
Rohleder: Trotz aller Herausforderungen ist der Enthusiasmus geblieben. Es
gibt wahnsinnig viele Ideen, wir haben ein gutes Netzwerk. Und ich hoffe,
dass uns die Mädels treu bleiben.
## ■ Die Schilleria feiert am Freitag ab 15 Uhr in der Weisestraße 51. Es
gibt Reden, Raps, Theater, Film. Willkommen sind ausdrücklich auch Jungs
29 Nov 2012
## AUTOREN
Juliane Wiedemeier
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