# taz.de -- SPD-Parteitag in Hannover: Der Peerteitag | |
> Der Kandidaten-Kandidat Peer Steinbrück ist mit 93 Prozent zum | |
> SPD-Spitzenkandidaten gewählt. Er beschwört „mehr Wir und weniger Ich“. | |
Bild: Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel singen gemei… | |
Vollzug ist angesagt in Hannover. Beim Bundesparteitag der SPD wird an | |
diesem Schneesturmsonntag Peer Steinbrück zum Spitzenkandidaten zur | |
Bundestagswahl im kommenden Jahr gewählt. Daran besteht kein Zweifel. Worum | |
es aber geht – außer der Frage, wie viele der mehr als 600 Delegierten | |
Steinbrück ihre Stimme geben und wie lang ihr Applaus nach seiner Wahl sein | |
wird –, worum es also wirklich geht, ist keine Kleinigkeit. | |
Nach dem gründlich missglückten Start des Kandidaten muss Peer Steinbrück | |
heute seine Genossinnen und Genossen hinter sich versammeln. Und er muss, | |
fast noch wichtiger, die interessierten Wählerinnen und Wähler begeistern. | |
Kann dieser Mann die Leute überzeugen? Nicht wenige hier sind skeptisch. | |
Johanna Klingbeil zum Beispiel. Die 21 Jahre alte Junggenossin ist aus | |
ihrem Studienort Göttingen nach Hannover gekommen. Der Niedersächsin hat es | |
eilig mit dem Stimmungsumschwung: Im Januar wird hier im Land gewählt. | |
Stephan Weil heißt der Spitzenkandidat. Wenn die SPD gewinnen will, muss | |
auch der Kanzlerkandidat überzeugen. | |
Kann er das? „Ich hoffe noch“, sagt die Jurastudentin. Sie hilft hier im | |
Wahlkampf, bald auch bei der Bundestagswahl, aktuell unterstützt sie Weil. | |
In den letzten Wochen lief es wegen Steinbrücks Nebenverdienstaffäre nicht | |
so gut, „das haben wir zu spüren bekommen“. Klingbeil will heute Inhalte | |
sehen. „Wenn er uns junge Genossen nicht beteiligt, wird es schwierig, im | |
Wahlkampf seine Themen zu vertreten.“ Steinbrück muss liefern. Kann er das? | |
## Der Geschichtserzähler | |
In seiner über eineinhalbstündigen Rede verweist der Kandidatenkandidat | |
zunächst auf die 150-jährige Geschichte der Sozialdemokratie. „Ja, ich bin | |
stolz, ein deutscher Sozialdemokrat zu sein!“, ruft er den Genossen zu. | |
Erster Jubel. Dann stellt er auf die Nachkriegsgeschichte der Partei ab, | |
auf die SPD-Kanzler, in deren Tradition er antritt – auf Willy Brandt, auf | |
Helmut Schmidt und, ja, auch auf Gerhard Schröder, wegen dessen | |
Agendapolitik die Partei viele Mitglieder und noch mehr Stimmen verloren | |
hat. | |
Und Schmidt, der dürfe, weil er ein hervorragender Kanzler war, „auch im | |
Fernsehen rauchen“. Der Altkanzler, in der ersten Reihe sitzend, zündet | |
sich daraufhin unter dem Johlen der Delegierten erst mal eine Menthol an. | |
Und Steinbrück hat ein wohliges Wir-Gefühl der versammelten | |
Sozialdemokraten erzeugt. | |
Erneut Jubel, als er die steuerliche Gleichstellung der Homoehe, den | |
Rechtsanspruch auf flächendeckende Kinderbetreuung und die deutsche | |
Staatsbürgerschaft für hier geborene Kinder ankündigt. Nach all den alten | |
Männern ein erster Schimmer von Modernität. Dass er sich deutlich gegen | |
Rechtsradikalismus und für ein Verbot der NPD ausspricht, findet Johanna | |
Klingbeil „richtig gut“. Bis jetzt, sagt sie, „spricht mich die Rede an�… | |
Steinbrück beginnt nun, den politischen Gegner zu attackieren. Er geißelt | |
die Bankenpolitik, das Ende der Mittelschicht-Gewissheiten vom Aufstieg des | |
Einzelnen, die Tatenlosigkeit in der Mietenpolitik. Es geht um die CDU als | |
„Machtmaschine“ und deren einzigen Markenkern, „das einzige programmatisc… | |
Angebot: die Vorsitzende selbst und sonst gar nichts.“ | |
## Mindestlohn, Solirente und Bildung | |
„Deutschland braucht wieder mehr Wir und weniger Ich“ – dies ist der | |
bejubelte zentrale Satz, an dem sich der Kandidat von nun an wird messen | |
lassen müssen. Und dieses Wir dekliniert Steinbrück jetzt durch: | |
flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn, armutsfeste Solidarrente, Reform | |
des Niedriglohnsektors, bessere Schulen, reformierte kommunale Finanzen und | |
schließlich – „eine sehr, sehr wichtige Forderung“, sagt Johanna Klingbe… | |
– die gesetzliche Frauenquote. Dafür brauche er von den Genossen ein klares | |
Bekenntnis zu Rot-Grün, „andere Anwandlungen können wir anderen | |
überlassen“, frotzelt er. | |
So weit die Verheißungen und die Drohungen. Nun gilt es, die Genossen auf | |
diesen Wahlkampf einzuschwören. Auf sie mit Gefühl! Er lobt die Fleißigen, | |
die Pflegenden und die Eltern. Er mahnt vor der sozialen Kluft durch | |
Bildungsarmut und Einkommensmillionäre, durch Minijobs und klamme Kommunen. | |
„Die ganze Bude kracht zusammen“, warnt er, „wir haben es inzwischen mit | |
Parallelgesellschaften zu tun: eine unten, eine oben“. Für die Armen | |
„brauchen wir einen starken Staat“. Deshalb wolle die SPD „einige Steuern | |
für einige erhöhen – und wir werden das gut begründet machen“. | |
Er konkretisiert: Kapitaleinkünfte besteuern! Spitzensteuersatz erhöhen! | |
Erbschaftsteuer rauf! Finanztransaktionssteuer einführen! „Wer daraus | |
propagandistisch den Untergang des Abendlandes ableitet, den gewinnen wir | |
sowieso nicht.“ | |
## Emanzipation durch die Quote | |
Der Koalition, ätzt er, passe das Heimchen am Herd gut in ihr Weltbild. | |
Steinbrück verspricht, dass die SPD das Ehegattensplitting und | |
Kinderfreibeträge reformieren wird. Er geißelt die Ungleichheit von Männern | |
und Frauen, von Minijobbern und Tariflöhnern, den Pflegenotstand und die | |
Zweiklassenmedizin. | |
Mit Blick auf das Frauen- und Familienbild verspricht er die gesetzliche | |
Frauenquote. Und er kündigt an: „In meinem Kanzleramt wird eine | |
Staatsministerin für Gleichstellung von Frauen und Männern zuständig sein.“ | |
Klingbeil kommentiert das so: „Ich hoffe, er hält das ein.“ | |
Die Energiewende und die Eurokrise erklärt Steinbrück zur Chefsache. Die | |
Partei müsse „mit einer klaren proeuropäischen Haltung in den Wahlkampf | |
ziehen“. Steinbrück zitiert emphatisch Brandts Diktum vom „ ’Volk der gu… | |
Nachbarn‘. Zurzeit sind wir das nicht“, mahnt er. | |
Zum Ende noch ein überfälliges, ein persönliches Wort. Der Weg nach | |
Hannover, so der Kandidatenkandidat, „war mit Zumutungen gepflastert. Meine | |
Vortragshonorare waren Wackersteine, die ich in meinem Gepäck habe und auch | |
euch auf die Schultern gelegt habe. Ich danke euch, dass ihr mit mir diese | |
Last getragen und ertragen habt.“ | |
## Wow, er ist ein Mensch | |
Als er sich schließlich gar bei der verschmähten Generalsekretärin Andrea | |
Nahles für die freundliche Aufnahme im Willy-Brandt-Haus bedankt, sind die | |
Delegierten hin und weg. Ein Mensch, dieser Steinbrück, tatsächlich. 11 | |
Minuten Applaus, 3 mehr als für die Kanzlerin. Für den Moment hat er sie. | |
Hier in Hannover. | |
Und dann wird das Ergebnis der Abstimmung bekannt gegeben: 93,45 Prozent | |
der Delegierten haben Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten der SPD | |
gewählt. Das sind ein paar Prozente weniger als letzte Woche bei der CDU | |
mit Merkel, aber auch einige Prozente mehr als notwendig, um | |
sozialdemokratische Geschlossenheit zu demonstrieren. | |
Noch einmal hat Johanna Klingbeil, die Jungsozialdemokratin aus Göttingen, | |
das Wort: „Meine Hoffnungen haben sich erfüllt, bis auf die Reichensteuer. | |
Aber auf Worte müssen jetzt Taten folgen!“ | |
9 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
Anja Maier | |
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