# taz.de -- Stahlkonzern mit Rekordverlust: ThyssenKrupp hat sich verzockt | |
> Fünf Milliarden Euro Verlust: Schwere Managementfehler haben zur größten | |
> Krise in der Geschichte von ThyssenKrupp geführt. Der Konzernchef plant | |
> Reformen. | |
Bild: 1820 in Bochum als Seilerei gegründet, heute ThyssenKrupp-Werk. | |
ESSEN dpa/rtr | Der größte deutsche Stahlkonzern ThyssenKrupp will nach | |
einem Rekordverlust von fünf Milliarden Euro radikal umsteuern. „In der | |
Vergangenheit ist viel schief gelaufen“, gestand Konzernchef Heinrich | |
Hiesinger am Dienstag auf der Bilanz-Pressekonferenz in Essen ein. | |
Teure Fehlinvestitionen bei Stahlwerksbauten in Amerika und zahlreiche | |
Fälle unsauberer Geschäftspraktiken haben das Unternehmen in eine tiefe | |
Krise gestürzt. Am Vorabend hatte ThyssenKrupp einen Verlust von fünf | |
Milliarden Euro für das Ende September abgelaufene Geschäftsjahr 2011/2012 | |
bekanntgegeben. | |
Zugleich hatte der Aufsichtsrat den Rauswurf des halben Vorstands | |
beschlossen. Der für gute Unternehmensführung (Compliance) zuständige | |
Jürgen Claassen muss ebenso wie Technologiechef Olaf Berlien und Stahlchef | |
Edwin Eichler zum Jahresende gehen. Den Vorständen wird vorgeworfen, bei | |
den Problemen nicht richtig durchgegriffen zu haben. | |
Hiesinger wies auf einen „immensen finanziellen Schaden“ hin, der durch | |
fehlgeschlagene Stahlwerks-Projekte in Übersee und unsaubere Geschäfte dem | |
Konzern entstanden sei. „Wir haben dadurch auch an Vertrauen und | |
Glaubwürdigkeit verloren.“ | |
Es habe ein Führungsverständnis gegeben, in dem Seilschaften und blinde | |
Loyalität wichtiger gewesen seien als unternehmerischer Erfolg, sagte | |
Hiesinger am Dienstag. „Es wurde eine Kultur gepflegt, in der Abweichungen | |
und Fehlentwicklungen lieber verschwiegen als korrigiert wurden.“ Zudem | |
habe offenbar bei einigen die Ansicht vorgeherrscht, dass „Regeln, | |
Vorschriften und Gesetze nicht für alle gelten“. | |
## Offenere und motivierende Führungskultur | |
Diese Strukturen wolle er nun aufbrechen. „Unsere Maxime lautet: | |
Führungskräfte bei ThyssenKrupp handeln ehrlich, vorbildlich und | |
verantwortungsvoll.“ Wer dabei nicht mitziehe, habe im Konzern nichts zu | |
suchen. Nicht ThyssenKrupp sei das Maß aller Dinge, sondern der Markt und | |
der Wettbewerb. „Jeder im Konzern wird sich daran messen müssen", betonte | |
Hiesinger. Künftig solle es ein offenere und motivierende Führungskultur | |
beim Traditionskonzern geben. | |
Der erst seit 2011 amtierende Konzernchef hatte die Stahlwerksbauten in | |
Brasilien und den USA, die für ThyssenKrupp zum Milliardengrab wurden, im | |
Mai zum Verkauf gestellt. Einen Käufer gibt es bislang noch nicht. Die | |
Werke standen zuletzt noch mit rund sieben Milliarden Euro in den Büchern. | |
Jüngst war über einen Verkaufspreis von drei bis vier Milliarden Euro | |
spekuliert worden. ThyssenKrupp hatte nach früheren Angaben rund zwölf | |
Milliarden Euro in die Werke gesteckt – hinzu kam ein weiterer operativer | |
Verlust von rund einer Milliarde Euro im vergangenen Geschäftsjahr. | |
## Kurzarbeitergeld verlängert | |
Wegen der schwachen Nachfrage nach Stahl will ThyssenKrupp die Kurzarbeit | |
in Deutschland verlängern. „Wir begrüßen die Überlegungen der | |
Bundesregierung, das Kurzarbeitergeld auf zwölf Monate zu verlängern und | |
gehen davon aus, dass wir gemeinsame Lösungen finden“, sagte Hiesinger. Der | |
Konzern hatte im August für knapp 2.200 der rund 17.500 Stahlarbeiter in | |
Deutschland Kurzarbeit eingeführt. | |
ThyssenKrupp kündigte zugleich an, auf die Verschärfung des Umfelds für die | |
europäische Stahlindustrie mit hohen Überkapazitäten und Preisdruck | |
reagieren zu wollen. Im Stahlgeschäft in Europa war im Ende September | |
abgelaufenen Geschäftsjahr der operative Gewinn um fast 80 Prozent auf 247 | |
Millionen Euro eingebrochen. | |
Der Gesamtbetriebsratschef von ThyssenKrupp Steel, Günter Back, macht | |
Fehlentscheidungen des Managements für den Riesenverlust des Konzerns | |
verantwortlich. „Man hat alles auf eine Karte gesetzt und sich ein Stück | |
weit verzockt“, sagte am Dienstag dem Radiosender WDR5. | |
## Wachsamer Betriebsrat | |
Die Verluste ließen sich seiner Meinung nach nur im Stahlbereich | |
ausgleichen. Back betonte, der Betriebsrat werde „mit Argusaugen darauf | |
achten, dass es eben nicht zulasten der Beschäftigten geht.“ Sich von einem | |
Teil des Vorstandes zu trennen, sei aus seiner Sicht die richtige | |
Entscheidung gewesen. | |
Die Arbeitnehmervertreter in dem Konzern kündigten an, den weiteren Umbau | |
des Konzerns unterstützen zu wollen. „Das Unternehmen braucht einen echten | |
Neuanfang“, sagte das IG Metall-Vorstandsmitglied Bertin Eichler. Eichler | |
ist auch stellvertretender Vorsitzender des ThyssenKrupp-Aufsichtsrats. | |
Der Mega-Verlust führt zu einem Novum in der Geschichte von ThyssenKrupp – | |
die Dividende fällt aus. Der Einzelabschluss weise kein | |
ausschüttungsfähiges Ergebnis aus, erklärte das Unternehmen. Der Konzern | |
sah sich bislang einer Kontinuität bei seiner Dividendenpolitik | |
verpflichtet. Vor allem der größte Aktionär, die Krupp-Stiftung, drängte | |
auch in schlechten Zeiten immer auf einer Ausschüttung. Mit dem Geld | |
finanziert sie ihre wohltätigen Förderprojekte. | |
Der Aktienkurs des Konzerns schwankte an der Frankfurter Börse in der | |
ersten Handelsstunde zwischen minus 3,4 Prozent und plus 3,2 Prozent. Ein | |
Börsianer erklärte den anziehenden Kurs mit „Phantasie auf bessere Zeiten“ | |
und „dass jetzt endlich alles raus ist“. Da störe es auch nicht, dass die | |
Dividende gestrichen sei, denn „die Börse liebt Restrukturierung“. | |
11 Dec 2012 | |
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