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# taz.de -- Urteil zu medizinischem Grasanbau: Kiffen gegen den Schmerz
> Schwerkranke dürfen Cannabis anbauen, sofern für sie keine alternative
> Therapie existiert, urteilt ein Gericht. Der Kläger muss trotzdem
> verzichten.
Bild: Wenn nichts anderes hilft.
BERLIN taz | Als bei Michael F. 1985 multiple Sklerose diagnostiziert
wurde, da konnte der Fliesenleger aus Mannheim, Jahrgang 1963, nicht ahnen:
Sein Kampf für eine legale Schmerztherapie mit selbst angebautem Cannabis
würde knapp drei Jahrzehnte später zwar vorangekommen, aber nicht beendet
sein. Seit fast so langer Zeit behandelt F. die Gleichgewichtsstörungen,
die Spasmen und die Lähmungserscheinungen – Begleitsymptome seiner
chronischen Erkrankung – mit Cannabis.
Die Stecklinge pflanzt er – Verbotsbescheide des
Bundesgesundheitsministeriums, Stichworte Betäubungsmittelgesetz und
öffentliche Sicherheit hin oder her – im Bad seiner Wohnung an. Nicht um
Strafverfolgungsinstanzen oder Kontrollbehörden zu ärgern, sagen sein
Anwalt Oliver Tolmein sowie ärztliche Gutachter. Sondern zum Eigenkonsum
aus medizinischen Gründen – andere Medikamente hatten versagt, waren
unbezahlbar oder wurden von F.s Krankenkasse nicht erstattet.
Jetzt, im Dezember 2012, hat das Oberverwaltungsgericht Münster erstmals
klargestellt, dass F.s Argumentation korrekt ist, zumindest prinzipiell:
Schwerkranke, urteilte das Gericht, dürfen unter strengen Voraussetzungen
Cannabis zuhause selbst anbauen – jedenfalls dann, wenn „dem Betroffenen
kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel
zur Verfügung steht“.
In der Urteilsbegründung werden die Richter grundsätzlich: „Leben und
körperliche Unversehrtheit sind (…) elementare Voraussetzung für die
Wahrnehmung der übrigen Grundrechtsgewährleistungen. Der Schutzbereich des
Grundrechts ist auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die
verhindern, dass eine Krankheit (…) wenigstens gemildert werden kann.“
## Pauschale Ablehnung ist rechtswidrig
Dabei sei unerheblich, dass die therapeutische Wirksamkeit von Cannabis
bisher nicht allgemeinwissenschaftlich nachgewiesen sei: „Bei der
vorliegenden schweren Erkrankung des Klägers stellt schon die Verbesserung
der subjektiven Befindlichkeit eine Linderung dar, die im öffentlichen
Interesse liegt.“ Insofern sei die bisherige Praxis des
Bundesgesundheitsministeriums, Anträge auf Eigenanbau von Cannabispflanzen
im Rahmen einer ärztlich überwachten Selbsttherapie pauschal abzulehnen,
„rechtswidrig“.
„Das Urteil ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer besseren Versorgung
mit Medikamenten auf Cannabisbasis“, jubelt die Arbeitsgemeinschaft
Cannabis als Medizin. Allein: Ausgerechnet Michael F., der schwer kranke,
inzwischen frühverrentete Kläger, der eine Erwerbsunfähigkeitsrente 891,64
Euro erhält, wird von seinem Urteil nicht profitieren.
Denn seine Krankenkasse, die AOK Rhein-Neckar-Odenwald, übernimmt nach
jahrelanger Weigerung seit Oktober 2012 die Kosten für das cannaboidhaltige
Arzneimittel Dronabinol. Damit stehe F. ein „gleich wirksames Arzneimittel“
zur Verfügung. Es bestehe, so das Gericht, „kein öffentliches Interesse,
stattdessen im Wege der Ausnahmeerlaubnis den Anbau von Cannabis
zuzulassen“.
Das Gericht, kritisiert F.s Anwalt Tolmein, habe nicht berücksichtigt, dass
F. betont habe, dass Dronabinol, das er kurzzeitig ausprobiert hatte, bei
ihm eben nicht die gleiche muskelentspannende Wirkung wie Cannabis erziele
und vermutlich keine Therapiealternative sei. Das Gericht habe versäumt,
dies – etwa durch einen Dronabinol-Therapieversuch unter ärztlicher
Überwachung – zu klären. F. will nun versuchen, sich beim
Bundesverwaltungsgericht zu beschweren. Sein Kampf für bessere
Schmerzlinderung dauert an. (Az 13 A 414/11)
20 Dec 2012
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
Cannabis
Drogen
Gesundheit
Gerichtsurteil
Kiffen
Cannabis
Kiffen
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