# taz.de -- Kolumne Wortklauberei: Beschlusslage zur Menschwerdung | |
> Gott würde sich niemals bis zuletzt dreieinhalb Optionen für Silvester | |
> offenhalten. Aber wie spontan ist er wirklich? | |
Ob das theologisch so haltbar ist? „Wir feiern heute die Nacht“, sprach der | |
wie von Dürer gezeichnete Pfarrer in der Christmette, „in der Gott | |
beschlossen hat, den Himmel zu verlassen und auf die Erde zu kommen.“ | |
Hm. Jetzt weiß ich nicht, wie spontan Gott ist – aber doch wahrscheinlich | |
sehr spontan, Gott ist mit großer Sicherheit spontaner als wir Irdischen es | |
uns überhaupt vorstellen können. Gott würde es vielleicht sogar schaffen, | |
mit seinen Spezln, die er eh nur einmal im Jahr an Weihnachten trifft, wenn | |
dann die Stammkneipe zumacht, einen loszumachen, ohne dass man sich ewig | |
die Beine in den Bauch steht und die Anwohner aufweckt bei der Antriebs- | |
und Entscheidungsfindung, ob’s und wo’s jetzt noch weitergehen soll. | |
Gott würde wohl auch nicht ewig herumlavieren mit Silvester und sich bis | |
zuletzt dreieinhalb Optionen offenhalten, um sich dann überstürzt für die | |
langweiligste zu entscheiden. Nein, ich stelle mir vor, dass Gott, anders | |
als, sagen wir mal zum Vergleich: ich selbst in der Lage ist, aus dem | |
Stegreif mit kühlem Kopf kluge und richtige Entscheidungen zu treffen, ohne | |
danach tagelang zu fretten, ob das jetzt nicht vielleicht doch ein Schmarrn | |
war. Aber dass einer sagt: „Okay, das geht so nicht mehr weiter da | |
hienieden. Ich werde wohl Fleisch werden und in jenes Jammertal | |
hinabsteigen müssen, sonst kapieren die das ja nie. Und in Windeln | |
gewickelt in einer Krippe liegend sollen sie mich finden, so geht’s gleich | |
mal los, ha! Spitzen Entree! Göttliche Idee, hiermit beschlossen“, und | |
ZACK!, in diesem Moment ist auch schon Weihnacht? | |
Das kann ich mir bei allem gefestigtem Glauben in die Spontanität Gottes | |
nicht denken. Da muss es doch einen gewissen Vorlauf gegeben haben, eine | |
Projektphase von der Idee über den Beschluss bis zur Umsetzung, allein | |
schon wegen der neun Monate, die so eine Schwangerschaft – und sei sie noch | |
so unbefleckt oder sonstwie dubios zustande gekommen – halt einfach | |
braucht. Ach, Sie sagen, für Gott hat Zeit keine Bedeutung, er existiert | |
außerhalb unseres linearen Zeitgefüges? Na gut. Puh. Das klingt für mich | |
ehrlich gesagt NOCH stressiger, aber wer’s mag ... Und Gott wird das schon | |
geregelt kriegen. | |
Jedenfalls würde ich mir gerne weiter vorstellen, dass die Entscheidung | |
Gottes, „den Himmel zu verlassen“ (an diese Formulierung müsste meines | |
Erachtens übrigens auch noch mal ein Theologe ran) und auf die Erde zu | |
kommen, schon irgendwie im Vorfeld der Heiligen Nacht gefallen ist, April, | |
Mai oder so. Ist ja auch erwärmender, an Weihnachten die Geburt eines | |
Kindleins zu feiern und das Wunder und die Gnade etc., und nicht einen | |
erfolgreich verabschiedeten Beschlussantrag vom Vorstand. | |
Auch nicht gerade festlich sprachverliebt formulierte übrigens der | |
Bamberger Erzbischof Ludwig Schick in seiner Weihnachtspredigt, das Kind in | |
der Krippe sei auch „als Aufschrei gegen Kinderarmut“ zu verstehen. Ein | |
Kind als Aufschrei? Das kann jetzt vielleicht der Herr Bischof nicht | |
wissen, aber: Ein Kind ist erst mal nur ein Kind, das Geschrei kommt dann | |
von selber. Gern ganz spontan um drei Uhr nachts. | |
26 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Josef Winkler | |
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