# taz.de -- Debatte Afrika: Das Jahr der Rebellen | |
> Aufstände und Kriege haben Afrika im letzten Jahr geprägt. Doch auch | |
> Wirtschaftswachstum und Exportrekorde gehören zum Alltag. | |
Bild: Rebellen prägen den Alltag in vielen Gebieten in Afrika, wie hier im Kon… | |
Milizionäre und Rebellen auf Lastwagen und offenen Pick-ups, die | |
schwerbewaffnet durch den Busch rasen und eine Ortschaft nach der anderen | |
der Kontrolle des Staates entreißen: dieses Phänomen hat Afrika im Jahr | |
2012 geprägt, von Tuareg-Kämpfern und Islamisten in Mali zu Jahresbeginn | |
bis zu den Séléka-Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik zu | |
Jahresende, mit der M23-Rebellion in der Demokratischen Republik Kongo | |
zwischendrin. | |
Afrikas neue Buschkrieger tauchen blitzartig auf und überrumpeln ihre | |
Gegner, sie sind bestens ausgerüstet und organisiert, sie schaffen | |
schneller Fakten als jede Regierung, sie sind global vernetzt. | |
Sie erringen spektakuläre Überraschungssiege wie die Ausrufung des | |
Tuareg-Staates „Azawad“ in Mali im März oder die Eroberung der | |
Millionenstadt Goma im Kongo im November, die sich dann ebenso plötzlich | |
wieder in Luft auflösen können. Sie hissen, wenn auch nur kurz, die Fahne | |
der Revolution und rufen in Erinnerung, auf welch tönernen Füßen die | |
postkoloniale afrikanische Staatenordnung steht. | |
## Alte und neue Afrikabilder | |
Der Weckruf aus Mali, Kongo und der Zentralafrikanischen Republik kommt zur | |
rechten Zeit. Allzu schnell ist in der internationalen Wahrnehmung das | |
althergebrachte Bild von Afrika als Kontinent der Krisen und Katastrophen | |
durch ein neues Bild von Afrika als Kontinent der Hoffnungen und Chancen | |
abgelöst worden. Früher machten Flüchtlinge und Hungernde Schlagzeilen, | |
heute sind es Wachstumsraten und Exportrekorde. | |
Immer mehr Länder erzielen ein zweistelliges Wirtschaftswachstum, immer | |
größere Rohstoffvorkommen werden entdeckt, immer mehr kapitalkräftige | |
afrikanische Unternehmen entstehen, die gestalterischen Kräfte des | |
Kontinents blühen auf wie nie zuvor. Afrika wird so nachdrücklich als | |
Kontinent der Zukunft gepriesen, dass die nach wie vor triste Gegenwart der | |
allermeisten Afrikanerinnen und Afrikaner darüber leicht in Vergessenheit | |
gerät. | |
In Wahrheit besteht kein Widerspruch. In manchen Regionen Afrikas boomt die | |
Wirtschaft, in anderen boomen die Konflikte. Die Akteure sind zuweilen | |
identisch, und zwischen beiden Phänomenen besteht ein tieferer | |
Zusammenhang, als Schwarzmalern und Zweckoptimisten recht sein kann. | |
Damit ist nicht gemeint, dass einfach die Verlierer der Modernisierung zu | |
den Waffen greifen. Afrikas Kriege sind keine Klassenkämpfe, obwohl es auch | |
diese gibt – 2012 war auch das Jahr der Massenstreiks in Südafrikas Bergbau | |
und der Volksaufstände in Senegal. Afrikas neue Kriege entstehen dort, wo | |
die Früchte der Modernisierung nicht ankommen, aber ihre Träger mächtig | |
sind. | |
## Rechtsfreie Räume | |
Die Wüstenregionen Nordmalis, die Hochländer Ostkongos, die Savannen der | |
Zentralafrikanischen Republik sind Hinterhöfe der jeweils Mächtigen. Sie | |
sind rechtsfreie Räume, in denen manche der Profite entstehen, die dann in | |
den fernen Metropolen in Form von Luxuskonsum und gekaufter Macht sichtbar | |
werden. Hier gelten lästige Gesetze nicht, hier übernimmt der Staat keine | |
Verantwortung. | |
Wer die Komplexitäten des Fernhandels und der grenzüberschreitenden | |
Sozialgefüge in der Sahara-Wüste oder im Afrika der Großen Seen analysiert, | |
begreift irgendwann, dass das fragile Gleichgewicht zwischen den lokalen | |
Akteuren in Ökonomie und Politik nicht nur über Frieden und Krieg vor Ort | |
entscheidet, sondern auch über die Macht in Hauptstädten wie Bamako und | |
Kinshasa, wenn nicht noch einigen anderen nebenan. | |
Wenn dieses Gleichgewicht gestört wird – von einem unbedachten Präsidenten, | |
dem seine eigene Wiederwahl wichtiger ist als die Stabilität des eigenen | |
Landes; von ahnungslosen weißen Wohlmeinenden, die aus der Ferne | |
wildgewordene Islamisten oder vergewaltigende Kindersoldaten kleinkriegen | |
wollen; von einem lokalen Spieler, dem seine Schulden über den Kopf | |
gewachsen sind – dann kann schnell alles kippen, und plötzlich verwandeln | |
sich Konkurrenten in Konfliktparteien. | |
Es gibt noch mehr solche rechtsfreien Räume in Afrika, von Nigerias | |
Ölgebieten im Niger-Flussdelta über die fruchtbaren Savannen Südsudans bis | |
zu den Küsten Somalias. Ihre Reichtümer strahlen ebenfalls in die | |
Metropolen aus, von Lagos bis Nairobi. Sie sind ebenfalls Krisengebiete, | |
wenngleich derzeit weniger aufsehenerregend. | |
## Waffen statt Wahlurnen | |
All diese Gebiete sind ein integraler Teil der afrikanischen | |
Modernisierung. Wenn Afrikas aufstrebende Staaten nicht dauerhaft am Tropf | |
fremder Geber und Investoren kleben wollen, sondern aus der eigenen Kraft | |
schöpfen, brauchen sie solche Hinterhöfe, egal wie schmutzig sie sind. Denn | |
hier können die Teilhaber am politischen und ökonomischen Wettbewerb der | |
Hauptstädte ihre Machtbasen stärken und ihre Pfründe sichern. | |
Die meisten von ihnen sind zu intelligent, um sich selbst als Warlords zu | |
inszenieren. Sie treten lieber als Friedensbringer auf, die als Einzige | |
wissen, wie man für Recht und Ordnung sorgt, und sie konstruieren dafür | |
Abhängigkeitsverhältnisse, die nur sie selbst durchschauen und | |
kontrollieren. | |
Je schneller Afrika boomt, desto schärfer wird der Wettbewerb zwischen den | |
potenziellen Gewinnern und desto mehr Mittel haben sie zur Verfügung, um | |
diesen Wettbewerb auch mit der Waffe auszutragen. Die Bewohner der | |
rechtsfreien Räume sind dabei dankbare Mitspieler, denn nur so erhalten sie | |
plötzlich auch einmal die Chance auf Mitgestaltung. | |
Es ist ja keineswegs selbstverständlich, dass die Waffe ein attraktiveres | |
Werkzeug des Wandels ist als die Wahlurne. Internationale Rankings haben | |
erbracht, dass in vielen solchen Ländern Afrikas, in denen die „menschliche | |
Entwicklung“ spürbare Fortschritte macht, Sicherheit und | |
Rechtsstaatlichkeit in den letzten Jahren zurückgegangen sind. | |
Und während die meisten afrikanischen Länder formelle Demokratien geworden | |
sind, ist der Wandel an der Wahlurne bis heute die große Ausnahme und der | |
Missbrauch des demokratischen Prozesses zur Festigung autokratischer Macht | |
die Regel. | |
Autoritarismus und Mafiakapitalismus bringen Afrika zu einer neuen Blüte. | |
Jetzt ist die Kehrseite davon zu sehen. Afrikas neue Kriege sind die Stunde | |
der Wahrheit. | |
2 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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Francois Bozizé | |
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