| # taz.de -- Ausstellung zur Urbanität: Erfinderische Kollisionen | |
| > Der Kunstverein Langenhagen hat Phänomene des Urbanen erkundet. Mit der | |
| > Ausstellung von Modellminiaturen endet das Jahresprogramm. | |
| Bild: Still aus Christian Haakes Video „White Elephant“, 2011. | |
| Als Weißer Elefant gilt im südostasiatischen Sprachgebrauch ein wertvoller, | |
| prestigeträchtiger Besitz oder, etwas infamer: ein Geschenk, für das es | |
| wirtschaftlich keine sinnvolle Verwendung gibt. Allein die zum Unterhalt | |
| notwendigen Kosten können den Besitzer ruinieren. | |
| Für den Künstler Christian Haake, 1969 in Bremerhaven geboren und nach | |
| Studien der bildenden Kunst, Philosophie und Kunstwissenschaften in Bremen | |
| geblieben, scheinen mittlerweile viele der allgegenwärtigen Einkaufszentren | |
| und Passagen diese Qualitäten aufzuweisen – vor allem wenn sie etwas | |
| älteren Baujahrs, verwahrlost oder bereits aufgegeben sind. | |
| Haake überführt ihre Merkmale und Raumtypologien in Modelle | |
| unterschiedlichen Maßstabs. Ihn treibt aber keine vordergründige | |
| Kapitalismuskritik um. Haake interessiert der Fundus eigener und auch | |
| kollektiver Erinnerungen, die diese städtischen Orte evozieren. Deshalb | |
| baut er seine Modelle auch nie nach einem authentischen und maßstäblichen | |
| Plan. Die Konstrukte sollen keine präzisen Wiedergaben der existierenden | |
| Orte sein, Brüche und Unstimmigkeiten sind beabsichtigt. Seine | |
| Modellminiaturen sind autonome Objekte oder Schauplatz für ein Video, wie | |
| für die Produktion „White Elephant“ von 2011. | |
| Christian Haake arbeitet aber auch in situ, bezogen auf den | |
| Ausstellungsraum. Und hier kommt es zu erfinderischen Kollisionen. Eine | |
| zentralperspektivische Schaufensterfront in originalgetreuem | |
| 1960er-Jahre-Design scheint dann durchaus die Vorstellung einer realen | |
| Situation zu erfüllen. Die Tür in der Mitte, zum Durchschreiten der | |
| Installation, ist jedoch zu schmal oder zu niedrig, um den üblichen | |
| Verhältnissen zu entsprechen. Ist die gesamte Anlage somit eine | |
| Verkleinerung, etwa im irrwitzigen Maßstab 1 zu 1,8 – also alles | |
| beispielsweise um 20 Prozent verkleinert? Dazu schweigt Haake natürlich. | |
| In den langen Raumschlauch des Kunstvereins Langenhagen bei Hannover – er | |
| basiert auf der Kegelbahn eines Wirtshauses – hat Haake derzeit eine weiße | |
| Querwand mit Tür und zwei unterschiedlichen Schaufenstern eingezogen. Die | |
| abstrahierende Farbe und die zurückgenommene Stofflichkeit zeigen sofort, | |
| dass keine funktionale Notwendigkeit erfüllt werden muss, dass es sich also | |
| um eine modellhafte Darstellung handelt. Die teils mattierten Glasscheiben | |
| von Tür und Fenstern sind mit Bordüren aus Sternen versehen, ein gläsernes | |
| Schild über der Tür trägt ebenfalls dieses Muster. Allein das größere der | |
| beiden Schaufenster ist einsehbar, bis zu einer rückwärtigen Verkleidung. | |
| In ihr ist eine Klappe, dieser offensichtliche Auslageraum wäre also real | |
| zu bestücken, ist es aber nicht. Ein Einwegspiegel im Türfeld verführt zum | |
| Blick in den dahinterliegenden Raum – und auf mysteriöse Blinklichter tief | |
| in seinem Inneren. | |
| Spätestens jetzt wird klar, auf welches Erscheinungsbild städtischer | |
| Wirklichkeit die Andeutungen Bezug nehmen: Es ist die typische | |
| Fassadengestaltung x-beliebiger Spielhallen und ihr semantisches Paradoxon | |
| zwischen plakativer Werbung einerseits und dem Diskretionsbedürfnis der | |
| Klientel andererseits, meist durch zugeklebte Schaufensterscheiben krude | |
| erfüllt. Dieser Typus lässt sich natürlich auch in Langenhagen finden und | |
| liefert dem Betrachter das unmittelbare Erkenntnismaterial. | |
| ## Kunst als Intervention | |
| Mit dieser Ausstellung beschließt der Kunstverein Langenhagen ein | |
| Jahresprogramm, das sich mit Phänomenen des Urbanen, dem öffentlichen und | |
| privaten Raum befasste. Rund um die diesjährige 700-Jahr-Feier des 50.000 | |
| Einwohner zählenden Städtchens erweiterte der Kunstverein seinen | |
| Wirkungsradius und ging mit einzelnen Positionen und künstlerischen | |
| Aktionsformen in öffentliche Einrichtungen: den Park eines psychiatrischen | |
| Landeskrankenhauses und die Leerstandsflächen der örtlichen Markthalle. | |
| Derartige Interventionen versteht die Leiterin Ursula Schöndeling als | |
| praktizierte Wahrnehmungserweiterungen. In ihren Ausstellungsproduktionen | |
| spiegelt sie den alltäglichen Lebensraum, seine latenten Qualitäten und | |
| schöpferisch zu belebende Geschichten. Im nächsten Jahr will sie eine | |
| Themenreihe ausschließlich zu Künstlerinnen wagen. Aber es soll weder die | |
| feministische Kunst der 1970er Jahre historisiert werden, noch könnte der | |
| kleine Kunstverein programmatische Aussagen leisten. | |
| Also interessiert Schöndeling der Dialog zwischen zwei | |
| Künstlerinnengenerationen, Geschlechterrollen verfestigten sich in Zeiten | |
| der Herdprämie ja durchaus wieder. Die institutionelle Förderung durch das | |
| Kulturministerium des Landes Niedersachsen, eine bundesweit einmalige | |
| Segnung, bietet ihr Planungssicherheit – und Anerkennung bedeutet die | |
| bereits dritte Nominierung des Kunstvereins Langenhagen für den Preis der | |
| Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV) im Jahr 2012. | |
| Die Blinklichter in der Installation Haakes erzeugt ein Flipperautomat en | |
| miniature. Der immense Verkabelungssalat realen Ausmaßes dieses kleinen | |
| technischen Wunderwerks leistet dann wieder die Distanzierung zu der so | |
| detailreich ersonnenen Wirklichkeit. Es ist der schmale Grat zwischen | |
| autonomem ästhetischem Ereignis und gegenständlicher Reflexion, auf dem | |
| Kunst zu bestehen hat. | |
| 2 Jan 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Maria Brosowsky | |
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