# taz.de -- Vierschanzentournee in Innsbruck: Kampf gegen das Glückspiel | |
> Algorithmen, Formeln und variable Anlauflänge: Mit einem überarbeiteten | |
> Regelwerk versucht der Weltverband FIS, den Zufall von der Schanze zu | |
> verbannen. | |
Bild: Komplexe Rechenspiele: Für die Springer ist der variable Anlauf wichtig.… | |
Manchmal ist weniger mehr. Diese alte Weisheit haben seit dieser Saison die | |
Skispringer und ihre Trainer für sich entdeckt. Sollte sich abzeichnen, | |
dass die Anfahrtsgeschwindigkeit zu hoch ist, die Sprünge zu weit gehen und | |
damit die Gesundheit der Athleten gefährdet wird, können die Coaches einen | |
roten Knopf drücken, auch am Freitag in Innsbruck beim dritten Springen der | |
Vierschanzentournee (ARD, 13.45 Uhr). | |
Der Anlauf wird dann verkürzt. „Es ist gut, dass wir verkürzen können“, | |
sagt Österreichs Cheftrainer Alexander Pointner. Aufs Ergebnis bekommt der | |
Springer dann einen Zuschlag. 3,7 Punkte pro Stufe. Die befinden sich im | |
Abstand von 50 Zentimetern. | |
Der deutsche Trainer Werner Schuster war im Sommer der Erste, der dieses | |
Instrument eingesetzt hat. In Pointner hat er einen Kollegen gefunden, der | |
auch gerne verkürzt. Vor allem bei Gregor Schlierenzauer, der durch gute | |
Athletik weit springt. Und immer mehr ziehen nach. Beim Auftaktspringen der | |
Tournee in Oberstdorf starteten Severin Freund und Schlierenzauer vier | |
Stufen tiefer als das Gros der Springer, Tourneeführender Anders Jacobsen | |
ließ den Balken noch eine Luke tiefer setzen. | |
Für die Springer ist der variable Anlauf wichtig, schließlich geht es um | |
deren Gesundheit. Für die Zuschauer macht es Skispringen allerdings | |
komplizierter. Nicht der ist Bester, der am Weitesten gesprungen ist, | |
sondern der, der nach einer komplizierten Rechnerei die meisten Punkte hat. | |
Neben Haltungsnoten und Weite spielt die Anlauflänge eine Rolle. Und weil | |
das noch nicht genug ist, fließt auch der Wind ins Endergebnis ein. | |
## „Persönliche Performance herusfiltern“ | |
Skispringen ist eine Freiluftsportart, es unterliegt deshalb äußeren | |
Einflüssen. „Früher musste man sich mit den Verhältnissen abfinden“, | |
erklärt Walter Hofer. Dem Renndirektor des Skiverbandes FIS geht es um die | |
Glaubwürdigkeit des Skispringens. Glücksspiele unter freiem Himmel sollen | |
vermieden werden. „Es gab glückliche Sieger – und der Rest hatte Pech“, | |
erzählt Hofer. Sein Ehrgeiz: „Wir wollen die persönliche Performance der | |
Athleten herausfiltern.“ | |
Auf dem Weg dahin setzte sich der Renndirektor mit Spezialisten der | |
Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich und dem Leipziger | |
Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Verbindung. | |
Gemeinsam erarbeiteten sie eine Formel. „Es ist ein gewisser | |
philosophischer Ansatz, um die Outdoorsportart vergleichbar zu machen“, | |
erklärt Hofer. Genutzt werden dabei Windräder, die bereits seit mehr als | |
zehn Jahren an den Schanzen stehen. | |
Fünf Windräder werden an jeder Schanze aufgestellt. Dies geschieht nicht | |
nach Schema, sondern wird auf jede Schanze individuell angepasst und | |
jährlich überprüft. „Von den fünf Messstellen werden innerhalb von fünf | |
Sekunden 100 Daten geschickt“, sagt Miran Tepes. Diese Daten hat der | |
Assistent von Renndirektor Hofer ständig auf zwei Bildschirmen im Blick. | |
Über den einen flimmert das aktuelle Fernsehbild, auf dem anderen sind | |
mehrere Grafiken zu sehen. Zahlen springen, Balken zucken und wechseln | |
zwischen Grün und Rot. „Wenn alle fünf Balken grün sind, beginnt der | |
Countdown für die Startampel“, sagt der Tscheche. Dann bewegt sich der Wind | |
in dem vorher festgelegten Windkorridor und der Springer kann gefahrlos | |
heruntergelassen werden. Die Startampel wird grün. Tepes selbst greift nur | |
im Zweifelsfall ein. | |
## Tangentiale Windgeschwindigkeit | |
Danach errechnet das System mit Hilfe einer komplizierten Formel die | |
Windunterstützung. Die Schanzengröße fließt in die Berechnung ein, ebenso | |
die mittlere tangentiale Windgeschwindigkeit. Für die Olympiaschanze in | |
Garmisch-Partenkirchen mit einer Größe von 140 Metern bedeutete dies: Hat | |
ein Springer 1,5 Meter pro Sekunde Rückenwind, erhält er einen Bonus von | |
7,5 Punkten. Neustarts wegen sich verändernder Bedingungen sind jetzt eher | |
die Ausnahme. Positiver Nebeneffekt: Skispringen wird zeitlich besser | |
planbar. Das ist wichtig fürs Fernsehen. | |
Auch die Springer begrüßen dieses seit 2009 eingesetzte System. Schließlich | |
sind sie es auch, die am meisten davon profitieren. Gemeinsam mit der 1991 | |
eingeführten Videoweitenmessung, die bis auf einen halben Meter genau ist, | |
hat dies zu einer weiteren Gerechtigkeit bei den Ergebnissen geführt. | |
4 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Eckhard Jost | |
## TAGS | |
Vierschanzentournee | |
Ergebnisse | |
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