# taz.de -- Kommentar Venezuelas Zukunft: Ohne Chávez | |
> Der drohende Wegfall der integrativen Kraft von Hugo Chavéz ist eine | |
> Gefahr für Venezuelas Linke. Doch die Situation bietet auch Chancen. | |
Bild: Die Leute lieben ihn, noch immer: Anhängerin von Hugo Chávez. | |
Der Führungswechsel, der sich in Venezuela aufgrund der Krebserkrankung von | |
Präsident Hugo Chávez anbahnt, ist für die Linke mit großen Risiken | |
verbunden. In den vergangenen 20 Jahren war der „bolivarische Prozess“ | |
untrennbar mit Chávez verbunden. | |
Ohne sein Charisma, aber auch seine Ambivalenz, die den Bolivarismus in | |
verschiedene Richtungen offenhielt, hätten Stadtteilbewegungen, Militärs, | |
linke Gewerkschafter und Teile der Mittelschicht in den 90er Jahren nie zu | |
einer politischen Bewegung zusammenfinden können. Auch die Tatsache, dass | |
die nichtweiße Bevölkerungsmehrheit den Reformprozess trotz | |
Bürokratisierung und verbreiteter staatlicher Korruption seit 14 Jahren | |
immer wieder bei Wahlen unterstützt, hat maßgeblich damit zu tun, dass sie | |
sich durch Chávez erstmals politisch wirklich repräsentiert sieht. | |
Das Problem der „bolivarischen Revolution“ besteht jedoch nicht nur darin, | |
dass ihr bald diese Identifikationsfigur fehlen könnte. Noch gravierender | |
ist, dass es trotz der Rede vom „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ bislang | |
kein klar definiertes politisches Projekt gibt. | |
In der Regierungspartei PSUV sind mindestens vier Strömungen auszumachen: | |
Neben der Gruppe des als bedingungslosen Chávez-Anhänger bekannten Nicolás | |
Maduro, dem eine Nähe zur kubanischen Führung nachgesagt wird, gibt es die | |
Fraktion des Exmilitärs Diosdado Cabello, den Basisgruppen der Korruption | |
bezichtigen und der häufig als Vertreter der aufstrebenden | |
„Boli-Bourgeoisie“ gehandelt wird. | |
Eine dritte Strömung, die vom Chef des staatlichen Ölkonzerns PDVSA Rafael | |
Ramírez repräsentiert wird, will die ölfinanzierte Wohlfahrtspolitik | |
vertiefen und verfolgt in dieser Hinsicht eher sozialdemokratische Ziele. | |
Eine vierte Gruppe schließlich wird dem Exvizepräsidenten Elias Jaua | |
zugeordnet, der als wichtigster Ansprechpartner der sozialen Bewegungen | |
gilt. | |
## Ansprechpartner für die Basisbewegungen | |
Neben diesen Parteifraktionen gibt es zudem auch noch zahlreiche Gruppen, | |
die sich zwar Chávez und der „bolivarischen Revolution“ verpflichtet | |
fühlen, dem Regierungsapparat jedoch abgrundtief misstrauen. | |
Bemerkenswerterweise hat gerade das ungeklärte Verhältnis zwischen diesen | |
Gruppen und der Regierung die Veränderungen bislang in Gang gehalten. Die | |
Basisbewegungen haben in der Regierung Ansprechpartner gefunden, ohne sich | |
vom Staatsapparat kooptieren zu lassen. Es ist fraglich, ob diese | |
produktive Verbindung auch ohne Chávez Bestand haben wird. | |
Doch wie alle Krisen hat natürlich auch diese ihre Chancen. Einerseits hat | |
Chávez die venezolanische Gesellschaft demokratisiert. Erstmals hat auch | |
die subalterne Hälfte der Gesellschaft Zugang zu politischen | |
Entscheidungen, und es ist auch keine Kleinigkeit, dass 14 Jahre nach | |
Beginn der „bolivarischen Revolution“ immer noch über alles diskutiert | |
werden kann – in vielen großen Transformationsprozessen der Vergangenheit | |
war das anders. | |
Andererseits blockiert die Fixierung auf Chávez eben auch jene | |
weitergehende Demokratisierung, wie sie in der Verfassung von 1999 | |
postuliert wurde. Linke Öffentlichkeit konstituiert sich in Venezuela heute | |
nur, wenn Chávez eine Kritik aufgreift. | |
## Von der Regierungspartei ist wenig zu erwarten | |
Ob der „bolivarische Prozess“ die nötige Kraft zur Erneuerung besitzt, ist | |
ungewiss. Von der Regierungspartei PSUV ist wenig zu erwarten. Ihre | |
Strukturen sind zu sehr von der Klientellogik des Erdölstaats geprägt. Auch | |
die sozialen Bewegungen scheinen zu schwach, um dem Veränderungsprozess | |
einen entscheidenden Schub geben zu können. | |
Doch man sollte Venezuela auch nicht unterschätzen: In den vergangenen 25 | |
Jahren hat die arme Bevölkerungsmehrheit hier erst den Neoliberalismus, | |
dann das politische Establishment zu Fall gebracht. Sie hat „ihren“ | |
Präsidenten immer wieder gegen die politische Rechte verteidigt und sich | |
doch eine Autonomie gegenüber dem Staatsapparat bewahrt. | |
Und sie besitzt ein Wissen, über das heute nur noch wenige verfügen: Sie | |
weiß, dass sich Gesellschaften Märkten keineswegs unterwerfen müssen und | |
Reichtum anders verteilt werden kann. Es ist durchaus möglich, dass das | |
chavistische Lager ohne seinen „Comandante“ zerfallen wird. Aber noch | |
wichtiger wird die Frage sein, ob sich die Bevölkerung die Errungenschaften | |
des vergangenen Jahrzehnts einfach wieder abnehmen lässt. | |
11 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Raul Zelik | |
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