| # taz.de -- Autor Jan Graf über das Niederdeutsche: "Ich kann für das Niederd… | |
| > Er ist Musiker und Schriftsteller, er moderiert beim NDR und verlegt | |
| > Bücher- alles auf Plattdeutsch. Dessen drohendes Verschwinden | |
| > aufzuhalten, ist Jan Graf aber kein Anliegen. | |
| Bild: "Ich bin ja ein Nerd", sagt Jan Graf. Ein niederdeutsches Wort für "Hubs… | |
| taz: Herr Graf, hat das Plattdeutsche ein Imageproblem? | |
| Jan Graf: Ja … puh … nein. Vielleicht gibt es einzelne plattdeutsche | |
| Verbände, die ein Imageproblem haben, oder plattdeutsche Künstler – in dem | |
| Sinne, dass sie sich unter den Verdacht stellen, so ein bisschen aus dem | |
| Kuhstall zu singen. | |
| Und das lässt sich nicht auf das Plattdeutsche als solches übertragen? | |
| Das Plattdeutsche ist ja keine bewusste Person, sondern eine Sprache, eine | |
| Konvention von Grammatik, Worten. Ich finde es aber symptomatisch, dass Sie | |
| diese Frage als Einstieg in das Gespräch gewählt haben: Wir können | |
| eigentlich gar nicht mehr vernünftig über Niederdeutsch sprechen, weil | |
| immer dieses Damoklesschwert des nahen Endes darüber schwebt. Es wäre | |
| schön, wenn wir einfach mal von einem Ist-Zustand ausgehen könnten. Es ist | |
| ja nach wie vor eine Sprache, die sehr kraftvoll ist im poetischen | |
| Ausdruck. | |
| Was meinen Sie damit? | |
| Wir arbeiten auch mit Klängen, mit anderen Nuancen in der Bedeutung. | |
| „Gries“ etwa ist etwas anderes als „grau“ – obwohl es das Gleiche | |
| bezeichnen soll. | |
| Teilweise ist ja auch die Rede von einer Renaissance des Plattdeutschen. | |
| Daran glaube ich nicht. Es wird ein Kulturdialekt bleiben, aber als | |
| Umgangssprache im Norden wird es mehr oder weniger verschwinden. | |
| Es gibt doch aber auch jüngere Künstler, die auf Plattdeutsch singen oder | |
| schreiben. | |
| Ich bin da sehr skeptisch. Die Wirklichkeit ist so vielschichtig, dass es | |
| immer wichtiger geworden ist, sich zu profilieren. Und das Niederdeutsche | |
| hilft dem einen oder anderen dabei, sich zu profilieren, sich mit einem | |
| „Unique Selling Point“ zu versehen, so ein bisschen exotisch … | |
| Ist das bei Ihnen so? | |
| Hm. Vielleicht. Vielleicht sind wir alles nur Betrüger. Aber das | |
| Plattdeutsche hat trotz aller Coolness, die ihm jetzt zugesprochen wird, in | |
| der Breite ein sehr niedriges Prestige. | |
| Sie sind selbst nicht plattdeutsch sprechend aufgewachsen. Wann sind Sie | |
| damit in Berührung gekommen? | |
| Meine Großeltern und die Leute im Dorf haben Platt gesprochen. Aber unsere | |
| Eltern haben mit uns Hochdeutsch gesprochen. Ich war als Kind schon | |
| traurig, dass mir das vorenthalten wurde. Ich habe das als wirkliches Manko | |
| an mir selber wahrgenommen. Sobald ich konnte, habe ich diese Scharte dann | |
| ausgewetzt. | |
| Sie haben dann Niederdeutsche Philologie in Göttingen studiert. | |
| Ja. Am Anfang hat es fürchterlich geklungen. Es war ja eine Fremdsprache | |
| für mich. | |
| Beim NDR-Hörfunk haben Sie später als Redakteur für Niederdeutsch und | |
| Friesisch angefangen, haben also Platt zum Beruf gemacht. Eine bewusste | |
| Entscheidung? | |
| Eher nein. Während meines Studiums in Göttingen fing ich an, mich mehr für | |
| die Region zu interessieren. Ich bin im Landkreis Uelzen aufgewachsen, in | |
| der Lüneburger Heide. Ich hatte früher immer das Gefühl, dass ich aus einem | |
| kulturfreien Raum komme. Auf der Universität begriff ich dann, dass das, | |
| was hier vor der Haustür ist – die Heimat, das Regionale – extrem spannend | |
| ist. | |
| Und was kam dann? | |
| Dann war ich ein Jahr in Schweden und habe Schwedisch gelernt. Eine | |
| wunderschöne Sprache, die sehr eng verwandt ist mit meinem geliebten | |
| Niederdeutschen, weil beide sich sehr befruchtet haben während der | |
| Hansezeit. Ganz tolle Wortverbindungen zwischen Schwedisch und Plattdeutsch | |
| durfte ich da erleben. Ich bin ja ein Nerd – an sowas kann ich mich | |
| begeistern. | |
| Hat sich durch die Zeit in Schweden auch künstlerisch etwas für Sie | |
| verändert? | |
| Ich bin mir in Schweden klarer darüber geworden, was ein Lied ist. Und wie | |
| ich meine Lieder singen will. Die Schweden haben das Selbstverständnis: | |
| Gitarre auf die Knie und eine schöne Melodie! Ich habe in Schweden ganz | |
| bestimmt gelernt, mich hemmungslos zur Schönheit zu bekennen. | |
| Was verstehen Sie denn darunter? | |
| Schönheit impliziert zumindest die Abwesenheit von fortwährendem | |
| politischen Gegrunze. Das als Minimaldefinition. | |
| Schließen sich denn Schönheit und Politik zwingend aus? | |
| Vielleicht sind meine Texte auch politisch, keine Ahnung. Aber ich nehme | |
| auch nur wahr. Das ist auch ein großes Wort, aber ich spreche es mal aus: | |
| Ich verstehe mich selber nur als Medium. Ich bin selber dankbar, wenn | |
| plötzlich vor mir Texte liegen. | |
| Und woher kommen die Texte? | |
| Die kommen aus … der Wirklichkeit. Natürlich feile ich noch an den Reimen. | |
| Da kann ich sehr pedantisch sein. Aber was die Bilder oder die Stimmung | |
| angeht, da habe ich häufig das Erlebnis großer Dankbarkeit, dass es so über | |
| mich gekommen ist. | |
| Versuchen Sie, in Ihren Texten ein modernes Plattdeutsch zu verwenden? | |
| Ich versuche, das Material zu nutzen, das vorhanden ist. Und gelegentlich | |
| muss es eine Anpassung geben. Dann muss man sich eben aus dem Hochdeutschen | |
| bedienen. Ich werde mir kein plattdeutsches Wort für den technischen | |
| Terminus „Hubschrauber“ ausdenken. | |
| Sie modernisieren das Plattdeutsche, indem Sie sich Lehnwörtern bedienen? | |
| Ja. Dennoch: Wir, die im NDR plattdeutsche Nachrichten machen, sind uns | |
| permanent mit uns selbst uneins: Ist das jetzt stilistisch gelungen oder | |
| ist das großer Müll? Muss ich anerkennen, dass das Plattdeutsche einfach | |
| raus ist aus gewissen Verwendungsbereichen? Möglich ist natürlich alles. | |
| Wenn die Zukunftsaussichten so düster sind: Warum arbeiten Sie dann weiter | |
| auf Platt? | |
| Weil es das ist, was ich kann. Ich weiß, dass ich für das Niederdeutsche | |
| nichts tun kann. Nicht mal mit meinen Texten, nicht mal damit, dass ich der | |
| liebe Radio-Onkel bin. Das ist alles Blödsinn. Damit lügen wir uns | |
| gegenseitig in der Szene viel zu viel in die Tasche. | |
| Sie sehen Ihre Arbeit also nicht als Versuch, das Plattdeutsche zu | |
| erhalten? | |
| Überhaupt nicht. Das würde auch all jene beleidigen, die die Sprache | |
| künstlerisch nutzen. Kunst muss zweckfrei sein. | |
| Gibt es denn noch ein Publikum | |
| für das Plattdeutsche? | |
| Es gibt immer ein gewisses Mindestmaß an Aufmerksamkeit. Zumindest, wenn | |
| man bestimmte Klischees erfüllt. | |
| Welches Klischee? | |
| Das des Plattdeutschen, der von Wind und Deich singt. Fürchterlich. Aber | |
| das gehört auch zu meiner Biographie. | |
| Plattdeutsche Literatur wird oft im Bereich der Humoristik verortet. Zu | |
| Recht? | |
| Erst mal: Es gibt alles auf Plattdeutsch. Von fantastischer über erotischer | |
| bis zu tragischer Literatur. Das gleiche gilt für Lyrik und Dramatik. Aber | |
| die Erwartungshaltung ist ganz klar geprägt: die humoristische, kurze Form | |
| – zwei Minuten, Alltagsplauderei und am Ende eine Pointe. Das kann man | |
| bemängeln, aber das ist die Wirklichkeit. | |
| Kann man davon leben, mit Plattdeutsch zu arbeiten? | |
| Es gibt nach wie vor Betätigungsfelder. Übersetzer etwa oder | |
| Fachredakteure, die schwerpunktmäßig im Niederdeutschen arbeiten. Es gibt | |
| die Wissenschaft. Dass das Plattdeutsche alleine einen ernährt, ist | |
| natürlich Quatsch. Für mich gesprochen: Alleine von niederdeutschen Sachen | |
| könnte ich nicht leben. | |
| Sie arbeiten noch in einer logopädischen Praxis. | |
| Ich bin freiberuflich einen Tag in der Woche für die tätig. Und ansonsten: | |
| Auftritte, Lesungen, Konzerte, Journalismus. So stückelt sich das zusammen. | |
| Mit Ihrer Frau und Ihren Kindern sprechen Sie auch Plattdeutsch. | |
| Ja. Meine Frau und ich haben uns hochdeutsch kennengelernt und auch die | |
| ersten Jahre Hochdeutsch gesprochen. Als wir uns entschieden, dass wir | |
| Kinder haben wollen, sind wir bewusst umgeschwenkt. Und das war künstlich | |
| genug: ein Paar, das plötzlich die Sprache wechselt. | |
| Und warum die plattdeutsche Erziehung der Kinder? | |
| Wegen der Mehrsprachigkeit. Der Älteste ist sprachlich sehr wach, sehr | |
| sensibel. Die anderen beiden – mit drei und einem Jahr – zählen sprachlich | |
| noch nicht hundertprozentig. | |
| 20 Jan 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Linda Schneider | |
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