| # taz.de -- Studie zu medizinischen Leitlinien: Intransparente Befangenheit | |
| > Leitlinien helfen Ärzten, die richtige Behandlung zu wählen. Nicht immer | |
| > ist gewährleistet, dass diese Empfehlungen von unabhängigen Experten | |
| > kommen. | |
| Bild: ÄrztInnen stehen zunehmend unter massivem Druck. Dabei fehlt häufig die… | |
| An der Universität Marburg gibt es ein Institut für [1][Medizinisches | |
| Wissens-management], eingerichtet im Jahr 2009 von der Arbeitsgemeinschaft | |
| der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). | |
| Institutsleiterin Ina B. Kopp und ihre Mitarbeiterin Cathleen | |
| Muche-Borowski wissen: „Dem einzelnen Arzt ist es unter dem Zeitdruck des | |
| klinischen Alltags kaum noch möglich, neue Entwicklungen und Publikationen | |
| regelmäßig zu verfolgen und methodenkritisch zu bewerten.“ | |
| Eine qualitativ gute Orientierung könnten systematisch entwickelte | |
| [2][Leitlinien] bieten, schreiben Kopp und Muche-Borowski. Solche | |
| Empfehlungen, etwa zum Einsatz bestimmter Therapien oder Wirkstoffe, sind | |
| zwar nicht rechtsverbindlich, aber sie könnten in der Ärzteschaft Akzeptanz | |
| finden, „wenn sie vertrauenswürdig erscheinen, praxisrelevant und leicht | |
| verfügbar sind“. | |
| Zugang und Verfügbarkeit stellen im Zeitalter des Internets wohl kein | |
| Problem mehr dar. Aber ein wesentlicher Kritikpunkt, den skeptische | |
| Fachleute immer mal wieder benennen, sei – neben Unsicherheit über die | |
| methodische Qualität wegweisender Papiere – die „mangelnde Transparenz | |
| möglicher Interessenkonflikte von Leitlinienautoren und -herausgebern“. | |
| Eine erste empirische Bestandsaufnahme erschien jetzt im [3][Deutschen | |
| Ärzteblatt] (DÄB). Ein achtköpfiges Team um den Sozialwissenschaftler | |
| Thomas Langer hat die AWMF-Datenbank durchforstet und Leitlinien deutscher | |
| Fachgesellschaften analysiert, die zwischen August 2009 und Dezember 2011 | |
| gültig waren. | |
| ## Keine Selbstverständlichkeit | |
| Die Bilanz von Langer und KollegInnen zeigt, dass Transparenz noch längst | |
| keine Selbstverständlichkeit ist – und Interessenkonflikte offenbar weit | |
| verbreitet sind: „Von insgesamt 297 untersuchten Leitlinien wurden in 60 | |
| Leitlinien (20 Prozent) die Interessenkonflikterklärungen von den Autoren | |
| offengelegt.“ 1.379 Personen machten Angaben, fast jede/r Zweite, nämlich | |
| 680 AutorInnen, „deklarierten Sachverhalte, die auf einen finanziellen | |
| Interessenkonflikt hinwiesen“. | |
| Was damit im Einzelnen gemeint ist, skizzieren die Studien-AutorInnen auch: | |
| 522 Leitlinien-VerfasserInnen gaben an, sie hätten finanzielle Zuwendungen | |
| seitens der Medizinindustrie für Vortrags- und Schulungstätigkeiten | |
| bekommen. 403 Personen offenbarten eine bezahlte Gutachter- oder | |
| Beratertätigkeit, 316 hatten Geld für Forschungsvorhaben erhalten. | |
| Und auch diese geldwerte Gemengelage kommt vor: „Eigentümerinteressen in | |
| Form von Patenten wurden von 18 Autoren (1,8 Prozent), der Besitz von | |
| Geschäftsanteilen in 32 Fällen (2,3 Prozent) angezeigt.“ Langer und | |
| KollegInnen meinen, dass Interessenkonflikte „nicht per se problematisch“ | |
| seien. Kritisch werde es jedoch, wenn man von einer „unangemessenen | |
| Beeinflussung“ der Leitlinie ausgehen müsse oder auch nur ein solcher | |
| Anschein entstehe. | |
| Wo genau die Grenze liegt, sei gegenwärtig unklar: „Es fehlen Vorgaben, | |
| wann ein Interessenkonflikt als problematisch angesehen werden muss und | |
| welche Reaktionen in einem solchen Fall angemessen sind.“ Standards für die | |
| Bewertung und das Management solcher Konfliktlagen „sollten dringend | |
| entwickelt“ werden, mahnen die ForscherInnen im DÄB an. | |
| ## „Befangene“ Fachleute | |
| Die AWMF arbeitet bereits daran. Ihre Empfehlungen aus dem Frühjahr 2010 | |
| sehen zum Beispiel vor, dass „befangene“ Fachleute nicht beim Erstellen und | |
| Bewerten von Leitlinien mitwirken sollen. „Sie haben, sofern auf ihr Wissen | |
| nicht verzichtet werden kann, den Status von externen Experten“, rät die | |
| AWMF an. Zudem müsse transparent gemacht werden, mit welchen Verfahren | |
| publizierte Interessenkonflikte erfasst und bewertet wurden. | |
| Bis dies lückenlos und für jedermann verständlich geschieht, dürfte noch | |
| unbestimmte Zeit vergehen. Die im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte | |
| Analyse belegt immerhin, dass nach Einführung der AWMF-Regeln | |
| Interessen-konflikterklärungen „deutlich häufiger abgegeben“ werden: 95 | |
| Prozent der seitdem publizierten 41 Leitlinien enthalten solche Angaben, | |
| zuvor geschah dies bei lediglich 8 Prozent der untersuchten, älteren 256 | |
| Leitlinien. | |
| Die neue Offenheit dokumentiert nach Einschätzung der Studien-MacherInnen | |
| allerdings auch, dass die AWMF-Empfehlungen bislang nicht dazu geführt | |
| haben, die Beteiligung von WissenschaftlerInnen mit finanziellen | |
| Interessenkonflikten zu verringern. | |
| Ein Tipp, den nicht nur MedizinerInnen, sondern auch ratsuchende | |
| PatientInnen beherzigen können, steht im Fazit der Analyse: „Nutzer von | |
| Leitlinien sollten kritisch prüfen, welche Informationen zum Umgang mit | |
| Interessenkonflikten eine Leitlinie enthält und für welche Empfehlungen die | |
| Interessenkonflikte der beteiligten Personen von Bedeutung sein könnten.“ | |
| 27 Jan 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.awmf.org/?id=71 | |
| [2] http://www.arztbibliothek.de/ | |
| [3] http://www.aerzteblatt.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Peter Görlitzer | |
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