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# taz.de -- Interessenkonflikte im Gesundheitswesen: Fehlende Transparenz
> Zunehmend verlangen Fachzeitschriften, dass ihre Autoren offenlegen, ob
> geschäftliche Verbindungen zu Pharmafirmen bestehen.
Bild: Pharmafirmen versuchen immer wieder ihre Produkte zu puschen.
HAMBURG taz | Honorare für Beratertätigkeiten, Aufträge für klinische
Studien, Aktienbesitz, mitunter sogar Firmenbeteiligungen- geschäftli- che
Verbindungen zwischen ÄrztInnen und der Gesundheitsindustrie werden
zunehmend kritisch beäugt. Zwar gibt es reichlich ExpertInnen, die
behaupten, Geld und Anerkennung von Pharmaunternehmen beeinflussten sie
keineswegs. Nicht so selbstgewiss ist dagegen David Klemperer, Vorsitzender
des Deutschen Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin. Er warnt vor - teils
unbewussten - Nebenwirkungen: "Interessenkonflikte können das
Urteilsvermögen beeinträchtigen."
Wer sich für Beziehungsgeflechte interessiere, solle die Möglichkeit haben,
sich selbst ein Bild zu machen. Deshalb fordert Klemperer öffentlich
zugängliche Register, in denen Personen und Organisationen mit
Selbstauskünften für Transparenz sorgen. Aufgelistet werden sollen etwa
haupt- und nebenberufliche Tätigkeiten, Honorare und Zeitaufwand, auch
Selbsteinschätzungen zu "gefühlter Beeinflussung".
Der Professor für Sozialmedizin aus Regensburg ist beispielhaft
vorangegangen. Auf seiner Homepage [1][www.davidklemperer.de] steht
tatsächlich schon ein persönliches "Interessenregister". Dort erfährt man
unter anderem, dass er seine Mitgliedschaften in diversen Beratungsgremien
durchaus als "Imagegewinn" wertet. Und dass er 240 Euro für einen Aufsatz
über Interessenkonflikte (zeitlicher Aufwand: "zwei Wochen") erhalten hat,
den das Deutsche Ärzteblatt (DÄB) veröffentlichte.
Klemperers - eher geringe - Nebeneinnahmen sind für MedizinprofessorInnen
sicher untypisch, sein offener Umgang damit ebenfalls. Die Sensibilität in
Fachkreisen ist indes gewachsen, sichtbar auch im DÄB. Hier werden seit
2005 alle AutorInnen wissenschaftlicher Artikel gebeten, eine schriftliche
Erklärung zu möglichen "Interessenkonflikten" abzugeben.
Auskunft geben sollen sie insbesondere über finanzielle Verbindungen zu
Unternehmen, "deren Produkte im Artikel mittelbar oder unmittelbar berührt
sind". Sieht der publikationswillige Wissenschaftler keine
Interessenkollision, wird auch diese Selbsteinschätzung am Ende seines
Textes vermerkt.
Erste Erfahrungen mit den Vorgaben beschrieb das DÄB im Oktober 2008. Der
Leiter der Medizinisch-Wissenschaftlichen Redaktion, Christopher Baethge,
bilanzierte unter der Überschrift "Transparente Texte": "In den Jahren 2006
und 2007 bestand bei 65 von 207 Original- und Übersichtsartikeln (31,4
Prozent) in der Rubrik Medizin des Deutschen Ärzteblattes ein
Interessenkonflikt bei mindestens einem der Verfasser."
Dabei habe es sich "ganz überwiegend" um "finanzielle Verbindungen zur
pharmazeutischen Industrie" gehandelt.
Manuskripte "gesponserter Autoren" grundsätzlich nicht zu drucken, wie dies
ein niedergelassener Arzt und DÄB-Leser angeregt habe, hält Baethge für
falsch, Begründung: Nicht immer gehe ein Interessenkonflikt mit einem
Fehlverhalten einher. "Was tun?", fragt Baethge rhetorisch und antwortet:
"Da es nicht gerechtfertigt ist, Artikel allein aufgrund der
Interessenkonflikte ihrer Autoren abzulehnen, gibt es außer dem kritischen
Lesen keinen anderen Weg, um herauszufinden, wann ein Artikel wirklich
verzerrt ist."
Dieser Hinweis, der im Prinzip für alle Fachzeitschriften gilt, ist ernst
zu nehmen. Wer auf den Wissenschaftsseiten des DÄB einen interessanten
Artikel über Krankheiten, Therapieoptionen oder medizinische Leitlinien zur
Kenntnis genommen hat, sollte in den folgenden Wochen regelmäßig die kleine
DÄB-Rubrik "Berichtigung" anschauen. Dort findet man nicht nur Korrekturen
sinnentstellender Setzfehler. Es tauchen auch immer mal wieder
nachgereichte Erklärungen zu Interessenkonflikten auf - mit Angaben, die
AutorInnen beim Abgeben ihres Originalmanuskripts wohl vergessen hatten.
Etwa der Professor, der über "Impfsicherheit heute" schrieb und ausweislich
der Berichtigung später einräumte, Vortragshonorare bestimmter
Impfstoffhersteller erhalten zu haben. Oder eine Autorengruppe, die über
eine Klinische Leitlinie zum kolorektalen Karzinom (Darmkrebs) informierte,
pharmazeutische Therapien inklusive.
In diesem Fall füllten die nachträglich offenbarten Interessenkonflikte
vergleichsweise viele Zeilen: Allein dem Hauptverfasser war noch
eingefallen, dass er Honorare von drei großen Pharmafirmen für "beratende
Tätigkeit" kassiert hat, außerdem Referentenhonorare bei diesen drei und
vier weiteren Unternehmen. Durch wen oder was Berichtigungen veranlasst
wurden, teilt die DÄB-Redaktion leider regelmäßig ebenso wenig mit wie die
Höhe der finanziellen Zuwendungen.
Wohl gemerkt: Das DÄB, das auch gratis im Internet zu lesen ist und so
nicht nur Fachkreise erreicht, ist erkennbar um Transparenz bemüht. Aber
was machen in dieser Hinsicht eigentlich die DÄB-Herausgeber, namentlich
die Bundesärztekammer (BÄK)? Sie verfasst zum Beispiel Richtlinien,
Leitlinien und Empfehlungen, die auch von PolitikerInnen und RichterInnen
zu Rate gezogen werden.
BÄK-Richtlinien stehen im Wortlaut auf der Website der Kammer. Ihre Inhalte
sind weit gefächert, und sie berühren nicht nur das Leben von ExpertInnen:
Die Richtlinienpalette reicht von Vorgaben zur Feststellung des "Hirntods"
über Richtlinien zur pränatalen Diagnostik bis hin zur Qualitätssicherung
labormedizinischer Untersuchungen.
WissenschaftlerInnen, die an solchen Papieren mitgeschrieben haben, werden
in den Dokumenten in der Regel aufgelistet. Mehr Details erfährt man aber
nicht: Wer einen Eindruck davon bekommen möchte, ob und welche Interessen
die honorigen Fachleute leiten (könnten), muss mühsam selbst recherchieren.
Es gibt hierzulande immer noch keine Studie, die VerfasserInnen
medizinischer Leitlinien und ihre ökonomischen Vernetzungen systematisch
beleuchtet; öffentliche Interessenregister à la Klemperer, die solche
Forschungsprojekte unterstützen könnten, fehlen weitgehend.
Um Transparenzforderungen abzuwehren, wird mitunter vorgebracht, Zeit und
Geld für einschlägige Recherchen könne man sich sparen, da es in vielen
Bereichen der Medizin sowieso kaum noch unabhängige Sachverständige gebe.
Das wäre - sollte es wirklich stimmen - ein Armutszeugnis medizinischer
Wissenschaften.
4 Jun 2010
## LINKS
[1] http://www.davidklemperer.de/
## AUTOREN
Klaus-Peter Görlitzer
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