| # taz.de -- Don Giovanni in Hamburg: Die Kraft der Verführung | |
| > Keine Oper, lustvoll gesungen wird trotzdem – auch vom Publikum: Das | |
| > Thalia Theater eröffnet die Lessingtage mit „Don Giovanni. Die letzte | |
| > Party“. | |
| Bild: Irgendwann kriegt er sie alle: Sebastian Zimmler als Don Giovanni. | |
| Wir kennen die Geschichte: Der verknallte Zeus verwandelt sich in einen | |
| prächtigen Stier und entführt eine hübsche Prinzessin aus Kleinasien nach | |
| Kreta. Auf die Frage der Königstochter, wie der Ort, der von nun an ihr | |
| neues Zuhause sein soll, denn heiße, beschließt Zeus, den ganzen Kontinent | |
| kurzerhand nach ihr zu benennen. Europa. | |
| Die diesjährigen Lessingtage im Hamburger Thalia Theater stehen im Zeichen | |
| dieses verliebten Stiers. Zwei Wochen lang finden unter dem Motto „Um alles | |
| in der Welt“ mehr als 60 Veranstaltungen statt. Viele nationale und | |
| internationale Gastspiele wird es geben, aber auch Lesungen, | |
| Filmvorführungen, Konzerte und Ausstellungen. | |
| Ausgehend von den aufklärerischen Idealen des Namensgebers soll es um einen | |
| versöhnlicheren Blick auf den Alten Kontinent gehen. Und um das, was trotz | |
| aller kulturellen und politischen Differenzen die Verbindungen schlägt. | |
| Zum Auftakt wurde kein Stier, sondern ein anderer großer Verführer zum | |
| Verbindungsmann erkoren: Antú Romero Nunes’ Inszenierung „Don Giovanni. Die | |
| letzte Party“ eröffnete das vierzehntägige Festival. Nunes und sein | |
| musikalischer Leiter Johannes Hofmann haben dabei Mozarts „Oper aller | |
| Opern“, selbst ein frühes Beispiel interkultureller Zusammenarbeit, auf die | |
| Möglichkeiten des Sprechtheaters zurechtgestutzt. Keine großen Arien, keine | |
| Oper. Nunes hat sich in seiner Übersetzung des Librettos für die | |
| Bezeichnung „Bastardkomödie“ entschieden. | |
| ## Frauenband im Rokoko-Gothic-Pomp | |
| Statt eines Orchesters gibt es eine siebenköpfige Frauenband im dunklen | |
| Rokoko-Gothic-Pomp-Kostüm, die das Stück nicht nur begleitet, sondern auch | |
| mal mit einer klanglichen Pointe ins Geschehen eingreift. Wie ein weiterer | |
| Mitspieler agiert auch die aufwendige Lichtkonstruktion, die die ansonsten | |
| karge Bühne dominiert (Bühne: Florian Lösche, Licht: Paulus Vogt). Aus drei | |
| separat beweglichen Scheinwerferkreisen bestehend, bringt sie sich immer | |
| wieder in eine neue Konstellation und beleuchtet damit jede Szene anders. | |
| Nunes’ „Don Giovanni“ ist keine Oper, aber gesungen wird hier trotzdem – | |
| frei nach Mozart. Gleich zu Beginn des Stücks steht Mirko Kreibich als | |
| Leporello, der Diener des Don Giovanni, mit einer weißen, abgehalfterten | |
| Perücke am Rand der Bühne und dirigiert das Publikum wie ein Amadeus. | |
| Und vielleicht liegt in der Verwundbarkeit, die Kreibich seinem Leporello | |
| gibt, etwas Anrührendes und damit auch Verführerisches. Denn umgehend | |
| verwandelt sich das Hamburger Publikum zu einem lautstarken Chor und singt | |
| seine Einsingübungen nach. „Singen macht glücklich“, heißt es im | |
| Programmheft. Und in dieser Oper, die keine Oper ist, wollte das | |
| Premierenpublikum glücklich sein. | |
| Das wollen nun die Frauen, die Don Giovanni verfallen, freilich auch. So | |
| erfährt der Zuschauer schon an sich selbst etwas von der ambivalenten Kraft | |
| der Verführung, noch bevor der Frauenflüsterer die Bühne betritt. Zugleich | |
| stellt sich damit eine gesangliche Gleichstellung ein. Eine entwaffnende | |
| Augenhöhe zwischen Darsteller und Publikum. Die Schauspieler werden nicht | |
| viel besser singen als ihr Publikum, aber sie werden es genauso lustvoll | |
| tun. Inszenatorisch ist das eine simple, aber keineswegs banale Idee. Und | |
| die Aufführung hat viele Kunstgriffe dieser Art parat. | |
| ## Ob Baroness oder Zofe | |
| Wie bei Mozart ist Nunes’ Don Giovanni auch ein adliger Lebemann, den nur | |
| eines im Leben antreibt, die Liebe zu den Frauen. Unmöglich ist es ihm, | |
| diese Liebe im Plural zu begrenzen. Darin ist er gewissermaßen ein großer | |
| Europäer. Ob Italienerinnen, Deutsche, Französinnen, Türkinnen oder | |
| Spanierinnen, ob Zofe oder Baronesse, „im Winter mag er die Dicken, im | |
| Sommer die Dünnen“ – seine berühmte Eroberungsliste deckt weite Teile | |
| Europas ab. | |
| Sebastian Zimmler spielt und trällert den Herzensbrecher als einen | |
| gedankenlosen Partyhengst. Mit nacktem Oberkörper, schiefer Perücke und | |
| einem Schuss Wahn in den Augen stolziert er über die Bühne und verführt, | |
| als gäbe es kein Morgen. Den anschließenden Scherbenhaufen überlässt er | |
| dann seinem Diener Leporello. | |
| Unbedingt hervorzuheben aus dem durchweg glänzend besetzten Ensemble ist | |
| die charismatische Karin Neuhäuser, die zu Beginn als Donna Annas Vater mit | |
| einem dickbäuchigen Bariton überrascht und später als Todesfigur in der | |
| Gestalt einer Femme Fatale den lüsternen Helden heimsucht. Als höhnisch | |
| lachender Todes-Vamp wird sie den Frauenhelden schließlich ins Jenseits | |
| (ver)führen. | |
| Nunes’ Inszenierung hat tatsächlich die Leichtigkeit eines Festes, das bei | |
| allem Einfallsreichtum nie sein Thema aus den Augen verliert. Als Don | |
| Giovanni kurz vor der Pause 100 Frauen aus dem Premierenpublikum auf die | |
| Bühne lud, um seine letzte Party zu feiern, standen die Damen tatsächlich | |
| Schlange. | |
| „Don Giovanni. Die letzte Party“; Eine Bastardkomödie frei nach Wolfgang | |
| Amadeus Mozart/Lorenzo da Ponte; Regie Antú Romero Nunes; Nächste | |
| Vorstellungen: 10./12./22. Februar – [1][alle Termine]. | |
| 3 Feb 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.thalia-theater.de/h/repertoire_33_de.php?play=782 | |
| ## AUTOREN | |
| Samuel Moon | |
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