# taz.de -- Frauen als Familienernährerinnen: Wenn sie zweimal ran muss | |
> Weil immer mehr Männer arbeitslos werden, verdienen mehr Frauen denn je | |
> das Familieneinkommen. Die Hausarbeit klebt trotzdem noch an ihnen. | |
Bild: Mädels, kümmert euch. Vielleicht müsst ihr bald für Mann und Kinder s… | |
BERLIN taz | Mal brauchte die Kleine neue Schuhe, dann die große Tochter | |
teure Bücher für die Schule. Urlaub war generell nicht drin – jahrelang | |
verbrachte die vierköpfige Berliner Familie den Sommer in der Stadt. | |
Judith und Marco N. lebten fast fünfzehn Jahre von einem einzigen Gehalt, | |
von Judiths. Die 55-jährige Historikerin arbeitet Vollzeit in einem Museum, | |
dafür bekommt sie monatlich rund 2.000 Euro netto. Bis vor anderthalb | |
Jahren, als ihr Mann endlich eine feste Stelle im öffentlichen Dienst fand, | |
war der Grafikdesigner das, was man einen Zuverdiener nennt. Das ist | |
ungewöhnlich, in Deutschland ist das eine weitgehend weibliche Rolle. | |
Allerdings ändert sich das gerade: Wirtschaftskrise und steigende | |
Arbeitslosigkeit von Männern – vor allem in Industrieberufen – sorgen | |
dafür, dass inzwischen in jedem fünften Mehrpersonenhaushalt die Frauen die | |
Haupternährerinnen sind. Das hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in | |
einer Studie herausgefunden. Grund genug für die Arbeitnehmervertretung, | |
gemeinsam mit dem Familienministerium am heutigen Mittwoch in Berlin | |
darüber zu debattieren. | |
Christina Klenner, Referatsleiterin für Frauen und Geschlechterforschung am | |
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der | |
Hans-Böckler-Stiftung, sieht in dem Phänomen einen Wandel der | |
Geschlechterverhältnisse: „Der männliche Familienernährer ist nicht mehr in | |
jedem Fall die Regel.“ Bei Familie N. war der ökonomische „Rollenwechsel“ | |
nicht geplant. „Ich hätte gern weniger gearbeitet“, sagt Judith N.: | |
„Darüber hinaus hatte ich stets das Gefühl, dass die gesamte Verantwortung | |
allein auf meinen Schultern lastet.“ | |
## Männer ohne Geld sind nicht attraktiv | |
Vor sechzehn Jahren haben Judith und Marco N. geheiratet, ein Jahr zuvor | |
war der Peruaner nach Deutschland gekommen. Weder er noch seine Frau hätten | |
jemals geglaubt, dass der Mann hier beruflich nicht Fuß fasse. Wie | |
verändert diese Entwicklung die Beziehungen? „Am Anfang dachte ich noch: | |
Ist doch egal, wer das Geld nach Hause bringt“, sagt Judith N. „Heute weiß | |
ich: Das stimmt nicht.“ | |
Der britische Wirtschaftswissenschaftler Andrew Oswald fand heraus, dass | |
Beziehungen, bei denen die Frau die finanzielle Führung übernimmt, | |
schneller zerbrechen als Verbindungen, in denen der Mann der Hauptverdiener | |
ist oder beide etwa gleich viel zum Familieneinkommen beitragen. „Ein Mann, | |
der sich nicht selbst ernähren kann, ist für viele Frauen unattraktiv“, | |
erfährt auch Jutta Resch-Treuwerth. Als Ehe- und Familienberaterin in | |
Brandenburg trifft sie viele Frauen und Männer, die sich in den „richtigen“ | |
Partner verlieben wollen. Und dazu gehört heute in jedem Fall die | |
ökonomische Unabhängigkeit. | |
In Ostdeutschland verdienen heute laut WSI 15 Prozent der Frauen in | |
Paarhaushalten das Geld, in Westdeutschland sind es knapp 10 Prozent. | |
Während Frauen in den neuen Bundesländern sich laut DGB-Studie eher mit der | |
Ernährerinnenrolle identifizieren können, haben es Frauen in den alten | |
Bundesländern schwerer: Sie steigen wegen der Kinder häufiger und länger | |
aus dem Beruf aus oder arbeiten Teilzeit. | |
Judith und Marco N. empfinden ihre Beziehung als egalitär. Doch die | |
Machtfrage stellte sich auch bei ihnen. „Ich habe entschieden, was gekauft | |
wird“, sagt Judith N.: „Für meinen Mann war das nicht leicht.“ Geld werde | |
mit Macht gleichgesetzt, sagt der Psychologe und Buchautor Wolfgang Krüger: | |
„Wird es weggenommen, fühlt sich der Betroffene seiner Macht beraubt.“ | |
## Frauen wollen ein neues Familienleitbild | |
Frauen geraten unfreiwillig in die Rolle der Familienernährerin, hat die | |
DGB-Studie ergeben. „Unvorbereitet aus der Not heraus“, sagt Christina | |
Klenner. Trotz der neuen Rollenverteilung lasten auf Frauen nach wie vor | |
die Haushaltspflichten. Das hat auch Judith N. erlebt: „Wenn ich nach Hause | |
kam, konnte ich meine Beine nicht einfach hochlegen.“ In der DGB-Studie | |
heißt es: „Familienernährerinnen wünschen sich vor allem ein neues | |
familiäres Leitbild.“ | |
Wie gehen die Männer damit um? Als Philipp Schwarz, 39, heute Arzt in | |
Dresden, vor sieben Jahren seine Frau kennen lernte, studierte er noch. | |
Seine Freundin war damals bereits berufstätig. Sie lud ihn oft zum Essen | |
ein und bezahlte hauptsächlich die Urlaube. Das störte beide nicht, im | |
Gegenteil. „Ich finde es gut, wenn eine Frau sagt, wo es langgeht“, sagt | |
Philipp Schwarz. | |
Doch das änderte sich – als er seine erste feste Stelle und sie ein Kind | |
bekam. „Plötzlich kamen Seiten zum Vorschein, die wir an uns nicht | |
kannten.“ Jetzt nimmt sie sich zurück und er bestimmt, was gekauft wird und | |
wohin es in den Urlaub geht. Das Paar richtete sich in einem weitgehend | |
traditionellen Rollenverhalten ein. Das irritierte ihn zunächst, sagt er. | |
Und heute? Philipp Schwarz sagt: „Heute finde ich es ganz normal.“ | |
30 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
Simone Schmollack | |
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