| # taz.de -- Schwatzend durch die Level wirbeln: Die Spielevermittler | |
| > Die Helden der jungen Gamer heißen „Sarazar“ und „Gronkh“: Auf Youtu… | |
| > und MyVideo sehen und hören ihnen Hunderttausende beim Zocken zu. | |
| Bild: Hier spielt und quatscht Erik Range. | |
| „Das Publikum fühlt sich in den Darsteller nur ein, indem es sich in den | |
| Apparat einfühlt. Es übernimmt also dessen Haltung: es testet“, schrieb | |
| Walter Benjamin in seiner Abhandlung „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner | |
| technischen Reproduzierbarkeit“ 1936 über ein visuelles Phänomen, das die | |
| Massen in seinen Bann schlug: den Film. | |
| Heute, zwei mediale Revolutionen später, die die Erfindungen von Fernsehen | |
| und Internet mit sich brachten, wabert Benjamins Theorem durch die | |
| digitalen Welten. Es findet eine pragmatische Entsprechung, ergänzt um den | |
| Aspekt der Interaktivität, in einer Symbiose aus Film, Fernsehen und | |
| Internet: dem Computerspiel. | |
| Konkret sieht das dann so aus: In den Katakomben der Kathedrale von | |
| Neu-Tristram steht Magier Sarazar und zerlegt ein paar Untote mit einem | |
| Froststrahl. „Ich bin zu einem Eismagier geworden – Magnum Mandel frei | |
| Haus“, ordnet der Zauberer seine Aktion im Rollenspiel „Diablo 3“ zufried… | |
| ein. | |
| Sarazar heißt eigentlich Valentin Rahmel, ist Anfang dreißig und hat sein | |
| Hobby zum Beruf gemacht: Er zockt und kommentiert seinen Spielfortschritt – | |
| doppelte Narration schafft doppelte Unterhaltung. Die Plattform dafür heißt | |
| Youtube. | |
| ## PlayMassive | |
| Über 400.000 Abonnenten hat er auf dem eigenen Kanal beim Webvideo-Portal | |
| angesammelt. Gemeinsam mit seinem Freund Erik Range hat er vor vier Jahren | |
| die Firma [1][PlayMassive], die mehrere Webseiten wie [2][gronkh.de] rund | |
| um das Thema Games unterhält, in Köln gegründet. Zusätzlich gehen beide auf | |
| der Youtube-Konkurrenz MyVideo, die der ProsiebenSat.1-Gruppe gehört, jeden | |
| Freitag mit einem Liveformat auf Sendung. Range, Informatiker, ist der | |
| Chefunterhalter der Szene. | |
| „Let’s Play“ heißt das Genre, in dem Rahmel und Range munter schwatzend | |
| durch die Level wirbeln – solo oder im Team. Gronkh, so lautet Ranges | |
| Pseudonym im Digitaldeutsch, hat Ende Januar die Millionenmarke in der | |
| Kategorie Zuschauerabos geknackt. Sein Spiel ist die legoartig verpixelte | |
| Open-World-Simulation „Minecraft“. | |
| All seine Videohappen wurden über 530 Millionen Mal aufgerufen. Eine | |
| Einschaltquote, von der öffentlich-rechtliche Fernseh-IntendantInnen | |
| träumen dürften – ganz zu schweigen von der Zielgruppe. | |
| 73 Prozent der 14- bis 29-Jährigen daddeln. Jeder dritte Deutsche spielt | |
| laut dem „Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue | |
| Medien“ regelmäßig. | |
| Die „simultane Kollektivrezeption“, die Benjamin in den 30er Jahren dem | |
| Film oder seinem Publikum zuschrieb, ist heute im Netz asynchron und | |
| zeitsouverän organisiert. Der ideelle Nachwuchs der Kino- und | |
| Fernsehenthusiasten hat sich zu einer heterogenen Netzgemeinde umgeformt. | |
| Gronkhs Erfolgsgeschichte lässt sich direkt in alle relevanten | |
| Online-Währungen umrechnen: über 400.000 Facebook-Fans und 113.000 Follower | |
| auf Twitter verfolgen seine Spielwut. | |
| ## Danke, Gronkh! | |
| Auf dem Mikroblogging-Forum Tumblr finden sich mengenweise Fotos. Die | |
| Wertschätzung für den Moderator scheint unbegrenzt: „Gronkh ist ein Mensch, | |
| den ich mehr zu schätzen weiß, als jeder [sic] andere der Welt. Danke für | |
| all die Worte.“ Für Dr. Jörg Müller-Lietzkow, der an der Uni Paderborn zu | |
| Computerspielen und -spielerInnen forscht, zeigt sich am Fan-Phänomen Let’s | |
| Play „der Show-up-Aspekt einer ebenso breiten wie stabilen Community“. | |
| Viele der heutigen Top-Spiele würden zunehmend langweiliger, meint | |
| Müller-Lietzkow. Ein persönliches moderiertes ironisierendes Let’s Play – | |
| der Markenkern von Gronkh und Sarazar – liefere eine versteckte Form der | |
| Spielkritik gleich mit. Die Erwartungshaltung der Gamer sei riesig, da täte | |
| „gemeinsame Frustration“ gut. | |
| Der Medienwissenschaftler sieht in dem Web-Format eine „eigene | |
| Kommunikationsplattform, die längst in der Jugendkultur verankert ist“. | |
| Unter den Videos finden sich zahllose überwiegend positive Kommentare. In | |
| den einschlägigen Foren wird pausenlos über Spiele, Gesellschaft, aber auch | |
| die Politk diskutiert. | |
| Für Valentin Rahmel alias Sarazar ist der Erfolg immer noch überraschend. | |
| Das Konzept vom Zockernerd, der mit fettigen Haaren im dunklen Zimmer vor | |
| dem Bildschirm hockt, sieht er als lange überholt an. | |
| „Eigentlich bin ich in den Videos genau der Mensch, der ich auch sonst | |
| bin.“ Das Publikumsinteresse an den authentisch wirkenden Helden ist | |
| mittlerweile so groß, dass in der Kölner Redaktion von PlayMassive das | |
| Telefon kaum stillsteht. | |
| Stalkende Tennies gebe es aber nicht, sagt Rahmel lachend und wird wieder | |
| ernst: „Wir sind uns unserer Vorbildfunktion bewusst. Auch deswegen weisen | |
| wir regelmäßig die Community auf einen respektvollen Umgang miteinander | |
| hin. Trotzdem, die Reflexionsbereitschaft, gerade bei den pubertierenden | |
| 13- bis 15-Jährigen, ist immens.“ | |
| Diese Einschätzung teilt auch Martin Lorber, PR-Chef und | |
| Jugendschutzbeauftragter beim Hersteller Electronic Arts: „Große Teile der | |
| Spielerschaft sind engagiert und spätestens seit der Egoshooter-Debatte | |
| entsprechend politisiert. Da sind die Youtuber sehr lebendig.“ | |
| Grundsätzlich freue man sich über die „Let’s Play“-Szene und toleriere … | |
| die damit einhergehende Urheberrechtsverletzung durch die Videos. | |
| Benedikt Schüler, Marketing Director bei Ubisoft, deren aktuelles | |
| Action-Adventure „Assassin’s Creed 3“ im Dezember 2012 die Marke von 7 | |
| Millionen verkauften Exemplaren überschritten hat, sieht die Kooperation | |
| mit den „Let’s Playern“ als klassische „Win-win-Situation“ an. Konkret | |
| heißt das: kostenlose Werbung für das hauseigene Produkt. „Es wird | |
| Leidenschaft und Emotionalität in Form einer kreativen Auseinandersetzung | |
| vermittelt. Die Videos geben anderen spielerisch Orientierung“, glaubt | |
| Schüler. | |
| Abseits vom Youtube-Kosmos überzeugen seit Langem die Let’s-Play-Reihen aus | |
| der [3][GameOne-Redaktion] in Hamburg. Auch dort setzt man auf die | |
| Eigendynamik zwischen den Moderatoren Wolf Speer und Christian Gürnth. Ihre | |
| Videos gibt es offiziell nur auf der Internetseite der Redaktion zu sehen. | |
| In puncto Gameplay „lebt das Format von den Machern“, weiß Gürnth. So | |
| werden längst nicht nur aktuelle Top-Titel gezeigt, es rücken auch alte | |
| oder wenig bekannte Spiele in den Fokus. | |
| Die zweite Staffel von „Knallhart durchgenommen“ drehte sich um das zehn | |
| Jahre alte „Eternal Darkness“, ein Gruselabenteuer basierend auf den Werken | |
| des amerikanischen Horrorautors H. P. Lovecraft. „Die Aufnahmen machen wir | |
| nach der regulären Arbeitszeit. Wenn wir dann noch die Moderation | |
| absprechen würden, verlangt das zu viel Vorbereitung – wäre aber vor allem | |
| nicht mehr spontan“, meint Gürnth. | |
| Der direkte Einblick in den Spielverlauf birgt aber auch ein beachtliches | |
| Werbepotenzial. War das Action-Adventure „Deadly Premonition“ (2010) vor | |
| „Knallhart Durchgenommen“ ein Low-Price-Titel bei Amazon, stieg das Spiel | |
| nach dem Start der Staffel schnell im Preis. Zu sehen, wie jemand das Spiel | |
| selbst spielt, ist deutlich effektiver als jeder Fachartikel oder Trailer – | |
| ein entscheidender Faktor für viele potenzielle Käufer. | |
| ## Potenzielle Millionäre | |
| Insofern überrascht es kaum, dass im Netz auch Erik Range und Rahmel als | |
| potenzielle Start-up-Millionäre gehandelt werden. Zumindest können sie von | |
| den erspielten Werbegeldern, im Youtube-Jargon Monetarisierung genannt, gut | |
| leben und sechs feste Mitarbeiter bezahlen. | |
| Genauere Auskünfte über die Einnahmen sind weder von PlayMassive, noch von | |
| Vertragspartner Youtube zu bekommen, die laut eigenen Angaben „über 50 | |
| Prozent der Werbeausgaben“ an die Eigentümer der lizenzierten Kanäle | |
| ausschütten. Wer wie viel bekommt, errechnet ein Algorithmus. Hinter diesem | |
| automatisierten Prinzip dürfte der Eigner des Videoportals stecken: Google. | |
| Für den Such-Konzern findet sich bei Walter Benjamin dann auch ein schöner | |
| Begriff. Es ist der vom „gewinnlüsternen Dritten“. | |
| 5 Feb 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.playmassive.de/ | |
| [2] http://gronkh.de | |
| [3] http://www.gameone.de | |
| ## AUTOREN | |
| J. Scheper | |
| P. Delabar | |
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