# taz.de -- Kassiererin „Emmely“: Die aufmüpfige Kollegin | |
> Man hatte ihr gekündigt – wegen eines Pfandbons von 1,30 Euro und wegen | |
> eines Verdachts. Zu Unrecht. Und wie geht es „Emmely“ jetzt? | |
Bild: Alles wie früher und doch ganz anders. Emmely an der Kasse. | |
Barbara Emme öffnet eine Schatulle. Drin sind Krokodilkacke und eine | |
getrocknete Bohne. Letztere wird auch als Musikinstrument genutzt. „Das ist | |
ein Geschenk von Gewerkschaftern aus Mali“, sagt sie. Krokodilkacke steht | |
für Stärke und die Bohne für ein langes Leben. Traditionell vergräbt man | |
die Schatulle unter dem Grundstein, wenn man sich ein Haus baut. Das hat | |
Barbara Emme gemacht – wenngleich nicht aus Steinen. | |
Bekannt geworden ist die Supermarktkassiererin mit ihrem Spitznamen | |
„Emmely“. Ihr Arbeitgeber, Kaiser’s, hatte ihr im Jahr 2007 vorgeworfen, | |
zwei Flaschenpfandbons im Wert von 1,30 Euro zu ihren Gunsten eingelöst zu | |
haben. Sie wurde gekündigt, obwohl man ihr nichts nachweisen konnte. | |
„Manchmal kommt alles auf einmal“, erinnert sich die alleinerziehende | |
Mutter von drei Kindern. | |
Job weg, Wohnung weg, Kinder ausgezogen, Vater verletzt. Trotzdem, sagt | |
sie, sei es nur ein kurzes Tief gewesen. Im Nachhinein sind zweieinhalb | |
Jahre, in denen sie um ihre Würde kämpfte, vielleicht auch kurz. Sie | |
versinkt auf ihrem Sofa im Wohnzimmer, gemütlich in Jeans und Wolljacke, | |
mit weißen Pantoffeln, die Haare zum Zopf gebunden. | |
## Die Kündigung | |
Nach ihrer Kündigung – dem Schock, der Kränkung und Erniedrigung – hat sie | |
ihre Sachen gepackt und ist aus der großen Wohnung in eine kleine in | |
Hohenschönhausen gezogen, einem Berliner Bezirk im ehemaligen Ostteil der | |
Stadt, zweiter Stock, Plattenbau. Sie lächelt, lehnt sich zurück, springt | |
wieder auf und holt von ihrem Schreibtisch einen weiteren Schatz: In | |
Flieder gehalten steht handgeschrieben „Mein Soli-Buch“ darauf. | |
„Ich bin dankbar für alles, was mir widerfahren ist“, sagt sie und schlägt | |
das Album auf: Solidaritätsbekundungen, Briefe, Bilder von Montagsdemos, | |
ausgewählte Artikel, Mutmachsätze von Promis und Unbekannten, ein | |
beeindruckendes Allerlei, auch ein Kassenbon klebt darin, den sie | |
aufbewahrt hat, auf dem „Meine Hochachtung“ steht. „Den hat mir eine frem… | |
Frau geschenkt. Verstehen Sie jetzt, was ich meine, wenn ich sage, dass ich | |
dankbar bin?“ | |
Emmely blättert weiter. „Ach, und hier, ganz wichtig: mein Urteil.“ Das | |
Papier, das für sie so viel verändert hat, könnte formaler nicht sein. „In | |
Sachen Emme / Kaiser’s / Tengelmann GmbH“ steht darauf. Mit ihrem | |
Zeigefinger deutet sie auf den Satz „Im Namen des Volkes!“ Dann blättert | |
sie weiter und sagt: „Recht haben und recht kriegen sind völlig | |
unterschiedliche Dinge.“ | |
Sie hat vor Gericht gekämpft und gewonnen. Sie hat ihren Job wieder, sie | |
sitzt wieder an der Kasse, zehn Minuten Fußweg von zu Hause. Alles wie | |
früher und doch ganz anders. Vortragsreisen würde sie wohl keine machen, | |
gäbe es den Kampf nicht, Bücher hätte sie vermutlich auch keine | |
geschrieben. Gerade ist ihr zweites rausgekommen: „Emmely und die Folgen“ | |
heißt es. Drin steht, wie es ihr ergangen ist. Und wie man sich verhalten | |
sollte, wenn eine Kündigung droht. Es geht darum, wie man seine Rechte | |
einfordert. „Man darf nicht aufgeben“, sagt sie. | |
Mit Barbara Emmes Kampf gegen ihre Kündigung wurde eine Schieflage | |
öffentlich: auf der einen Seite Bankmanager und Politiker, die großen | |
volkswirtschaftlichen Schaden anrichten können, ohne persönlich zu haften, | |
auf der anderen Seite Leute, die Essensreste mitnehmen, die sonst | |
weggeworfen würden, und denen wegen persönlicher Bereicherung gekündigt | |
wird. Bagatellkündigungen lautet das Fachwort. | |
Genauer: gekündigt wegen Bagatellen. Alles basierte auf einem Urteil von | |
1984. Eine Angestellte hatte ein Stück Bienenstich verzehrt und wurde dafür | |
fristlos gekündigt – völlig zu Recht, wie das Bundesarbeitsgericht damals | |
entschied. 26 Jahre lang orientierte sich die Rechtsprechung an diesem | |
arbeitgeberfreundlichen Urteil. „Bienenstich esse ich nur, wenn meine | |
Mutter ihn bäckt“, sagt sie. | |
## Der Kampf | |
Emme kann sich zugutehalten, dass sich durch ihren Kampf die Rechtsprechung | |
in diesem Bereich positiv verändert hat. Sie hat die Kündigung wegen der | |
zwei Kassenbons nicht hingenommen und musste sich durchkämpfen – wieder bis | |
zum Bundesarbeitsgericht. | |
Für viele ist Emmely ein Vorbild. Sie selbst würde sich nie so bezeichnen, | |
niemals. „Ich bin eine einfache Person, die etwas gewagt hat“, sagt sie, | |
„nicht mehr und nicht weniger.“ So einfach ist es dann aber auch nicht, | |
denn etwas Widerspenstiges hat Emme doch. Manchmal müsste man ihr auf den | |
Mund hauen, habe ihre Mutter immer gesagt. | |
„Ich sage oft, was ich denke. Das ist auch ein Grund, warum ich gehen | |
musste, weil ich meinem Chef die Meinung gesagt habe, weil ich, so wie er | |
mich behandelt hatte, nicht behandelt werden wollte.“ | |
Im Herbst 2007 hatte sich Emmely mit sieben weiteren KollegInnen ihrer | |
Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik beteiligt gegen weitere | |
Kürzungen, gegen die Streichung von Zuschlägen. „Wissen Sie, ich bin eine | |
hoch bezahlte Arbeitsfachkraft, heute könnte man für mein Gehalt zwei Leute | |
einstellen.“ In den Augen ihres Arbeitgebers war sie eine „aufmüpfige | |
Kollegin, völlig überbezahlt und gern ersetzt gesehen“. Dann kamen der | |
Vorwurf mit den Kassenbons und die Kündigung. | |
Emme stammt aus einer Arbeiterfamilie aus Mecklenburg, sie ist in der DDR | |
groß geworden, sie ist gelernte „Fachverkäuferin für Waren des täglichen | |
Bedarfs“. Ihren Vertrag, den sie noch aus DDR-Zeiten hat, sichert ihr im | |
Vergleich zu heute mehr Einkommen. Mitglied in der Gewerkschaft war sie | |
auch schon immer, seit 1974, seit ihrer Ausbildung – erst in der FDGB, dann | |
in der HBV, heute bei Ver.di. | |
Nachdem das Gericht am 10. Juni 2010 feststellte, dass Emmelys Kündigung | |
rechtswidrig war, musste sie sofort wieder eingestellt werden. Zwölf Tage | |
später bekam sie wie gewünscht eine Stelle in ihrem Wohnviertel | |
Hohenschönhausen. | |
Seit zweieinhalb Jahren arbeitet sie jetzt wieder an der Kasse, 143 Stunden | |
im Monat. Der Anfang sei schwer gewesen, sie bekam die unbeliebtesten | |
Schichten, massive Kassenkontrollen, Freundlichkeitstests wurden gemacht. | |
Viele ihrer neuen Kolleginnen waren ihr gegenüber zurückhaltend. Das legte | |
sich später. Denn es gibt Kunden und Kundinnen, die wollen nur von ihr | |
bedient werden, manche wollen Autogramme, es kommen sogar welche aus der | |
alten Filiale, um extra bei ihr einzukaufen. Diese Solidarität färbe ab. | |
## Die Solidarität | |
Aber ihr Alltag, ihre Freizeitgestaltung hat sich seither sehr verändert. | |
Durch ihren Kündigungsprozess hat sie sich ein großes Netzwerk aufgebaut. | |
Sie wird für Podiumssitzungen angefragt, sie besucht regelmäßig | |
Gewerkschafter in Paris, sie lernt Französisch, um sich noch besser | |
verständigen zu können, dann lacht sie, sie sei kein Sprachgenie, sie | |
gestikuliert mit den Händen, Merci, bonjour. 2011 war sie gemeinsam mit | |
Delegierten auf der Weltfrauenkonferenz in Venezuela. Es war ihr erster | |
Flug überhaupt. | |
Manchmal begleitet sie auch Menschen bei ihren Prozessen vor Gericht. Ihr | |
scheint, als fielen Urteile immer besser aus, wenn sie dabei ist. Woher sie | |
die Kraft für all das hat, hat sie sich nie gefragt. Sie tut, was sie tun | |
muss. Ich habe nach meiner Kündigung immer gedacht: „Na ja, es heißt ja | |
immer ’Im Zweifel für den Angeklagten‘. Ich wusste natürlich nicht, dass | |
das nur für das Strafrecht und nicht für das Arbeitsrecht gilt.“ Im Zweifel | |
für den Stärkeren also? | |
Emmely steht auf, geht ans Fenster und zieht die weißen Häkelgardinen zur | |
Seite. Auf ihrer Fensterbank stehen lauter Orchideen, sie blühen, in Weiß, | |
in Lila. „Ich brauch gar nichts zu machen, die brauchen nur Wasser und | |
Licht.“ | |
8 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
## TAGS | |
Pfand | |
Bundesarbeitsgericht | |
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