| # taz.de -- Schorsch Kamerun über Pathos: „Sonst wäre es Befindlichkeitssch… | |
| > Der Goldene-Zitronen-Sänger und Regisseur Schorsch Kamerun über sein | |
| > neues Album, Selbstvermarktung und Klaus Maria Brandauers weißen Schal. | |
| Bild: „Ich mag das Pathos, das gebe ich zu, ich vertrete auch Kitsch.“ | |
| sonntaz: In einer Theaterinszenierung in Wien haben Sie Ihren Gästen die | |
| Frage gestellt, ob Popkultur gefährlich ist oder einfach nur nett. Was ist | |
| Ihre eigene Antwort auf diese Frage? | |
| Schorsch Kamerun: In unseren Breitengraden, nennen wir sie mal „westlich“, | |
| ist Popkultur derart etabliert, dass sie niemandem mehr gefährlich werden | |
| kann. Aber in Russland oder China zum Beispiel lässt sich mit grellen | |
| Äußerlichkeiten noch etwas erreichen, siehe Pussy Riot. | |
| Ich habe gerade zwei Aktivisten der Kunstgruppe Wojna kennengelernt, die im | |
| Exil leben müssen, weil sie in Russland per Haftbefehl gesucht werden. | |
| Unsere Gesellschaft ist heute dafür eher subtil autoritär, und da taugt Pop | |
| kaum noch als Gegenkultur – einer der Gründe, warum ich daran glaube, dass | |
| Aufführungen aktuell eher „schlecht mitgehbar“ sein sollten. | |
| Aber so sperrig Sie sein möchten, Ihrer Musik zumindest fehlt es ja nicht | |
| gerade an Pathos. | |
| Ich mag das Pathos, das gebe ich zu, ich vertrete auch Kitsch. Und ich | |
| glaube, Beklemmung, die man ja durchaus hat in dieser Welt, davon muss es | |
| andererseits auch handeln. Ich bin jemand, der in ständigen Ängsten lebt, | |
| und in der künstlerischen Überwindung dieser ist mir nun mal unironisches | |
| Pathos lieber als zu Tode gebrochenes Augenzwinkern. | |
| David Bowie oder Suicide hatten Pathos, selbst Meat Loaf kann ein | |
| erregendes Konzert geben. Den weißen Künstlerschal von Klaus Maria | |
| Brandauer dagegen, den mag ich gar nicht. Weil er so selbstzweifelsfrei um | |
| Bedeutung buhlt, und dieser erhobene Künstleranspruch kotzt mich echt an. | |
| Da gibt es schon Unterschiede. | |
| Aber führt das Pathos nicht dazu, dass manche schon stöhnen: der Kamerun | |
| schon wieder, der muss immer Politisches raunen? | |
| Es geht eher darum, dass die Moral, dass der Zeigefinger nicht zu feste | |
| drückt, dass man bei aller, auch trockener Behauptung trotzdem attraktiv | |
| bleibt, das stimmt schon. Sonst hört auch keiner hin. Aber ich kenne die | |
| Mahnungen natürlich schon urlange, auch in Bezug auf die Goldenen Zitronen, | |
| dieses: „Was stimmt denn nun schon wieder nicht? Können die denn nicht mal | |
| lockerlassen?“ | |
| Das ist mir echt scheißegal. Unser Empfinden ist anscheinend nah dran an | |
| politischen Themen, und das können wir nicht einfach wegblenden. Sicherlich | |
| sind auch einige etwas länger bestehende Ideale dabei. Der Versuch ist | |
| halt, das jeweils zeitgemäß abzubilden, was gerade relevant erscheint, | |
| solange es uns Bock bringt, basta. | |
| Welche Rolle spielen die Lieder in Ihren Theaterstücken? | |
| Ich habe in den letzten Jahren, wenn ich das durfte an den Theaterhäusern, | |
| eher so Installationen versucht und das dann Musiktheater genannt. Da gab | |
| es Aufführungen, die nahezu reines Konzert waren. Wo man dann frei durch | |
| eine begehbare Installation lief und dazu nur – meist gesungene – Texte | |
| plus die Musik gehört hat. Zum Teil auch ohne Schauspieler und mit ganz | |
| vielen Mitmachenden, die andere „Laien“ nennen. | |
| Manchmal zwingen sie einen aber doch, Theater zu machen, oder man muss das | |
| Ensemble benutzen. Was natürlich auch super sein kann. Die Lieder auf „Der | |
| Mensch lässt nach“ jedenfalls stammen aus meinen letzten fünf – man sagt … | |
| „Arbeiten“, auch wenn man hofft, dass es gar nicht zu Arbeitssituationen | |
| kommt. | |
| Die Texte Ihrer Lieder bestehen viel aus Zitaten, Sie arbeiten sehr | |
| collagenhaft. | |
| Ich ziehe viele meiner Texte aus den Interviews, die ich auch für die | |
| Theaterstücke mache. Zu „Das Ende der Selbstverwirklichung“, so hieß ein | |
| Stück, das in Leipzig lief, habe ich mich mit den 50 Leuten unterhalten, | |
| die da auch mitgespielt haben, und daraus die Lied- und auch die | |
| Sprechtexte gemacht. Und dann dichtet man noch was dazu oder fügt noch von | |
| irgendwo ein Zitat ein. Gerade arbeite ich in Oberhausen an einer | |
| „Bürgeroper“ – „Alle im Wunderland“, nach „Alice im Wunderland“. | |
| Auch da machen wieder ganz viele Leute mit, mit denen ich Gespräche führe. | |
| Ich finde diese Methode gut. Es ist mühevoll, aber das Tolle daran ist, | |
| dass die unterschiedlichsten Leute zu den Themen absolut was zu sagen | |
| haben, zu Angststörungen, Selbstverwirklichungsdruck, zu Möglichkeiten des | |
| Aufbegehrens. Da bekommt man ein gutes Abbild der Gegenwart. Und vor allem | |
| muss man nicht als Autor so tun, als würde man sich alleine auskennen. | |
| Jetzt sind Sie durchaus selbst eine Marke: Sänger in einer linken Band, mit | |
| Punk-Sozialisation, so werden Sie auch als Garant für eine widerständige | |
| Haltung von den Theatern eingekauft. Wie gehen Sie damit um? | |
| Ich thematisiere ja das Markentum ständig mit, auch in Songs wie | |
| „Übereigendarstellerei“. Aber ich glaube, keiner kann verhindern, dass er | |
| permanent gepunktet wird, gutes oder schlechtes Standing hat. Das ist ja | |
| ein Teil der Problematik unseres heutigen Lebens, diese schnellen Höhen und | |
| Tiefen, das Selbstvermarktungsmuss, das sind auch meine zentralen Themen. | |
| Ähnlich stark schwanken meine Aufführungen, und ich denke, ich werde nur | |
| aus dem einen Grund an den Theatern gebucht: weil ich das wirklich | |
| thematisieren will. Sonst wäre es nur Befindlichkeitsschrott. | |
| Dabei weigere ich mich, einschätzbar zu sein in meinen Formen, und versuche | |
| auch damit einem festen Labeling aus dem Weg zu gehen. Nenn es kokett oder | |
| Strategie. Anders geht es eben nicht. Eine künstlerische Position hat immer | |
| auch mit einkaufbarer Sichtbarkeit zu tun, daran glaube ich. Aber ich will | |
| das aushalten, wenn mal eine meiner Marken fällt, sozusagen. | |
| Und wenn das alles nicht mehr läuft, dann arbeite ich eben wieder in der | |
| Kneipe. Dann ist man auch frei, das muss man auch sein. Sonst würde das | |
| dazu führen, dass man sich an seinen vielfach überprüften Stil klammert, | |
| und dann wird’s unappetitlich. Wenn man im Theater so rumläuft, sieht man | |
| da überall solche Klammeraffen, und das ist einfach sehr traurig, denn eine | |
| zu sehr umarmte Kunstposition fängt irgendwann an zu muffeln. | |
| 9 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Dirk Schneider | |
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