# taz.de -- Medientheoretiker über Filter Bubbles: „Was ich nicht finde, feh… | |
> Jeder Nutzer bekommt bei Google personalisierte Treffer angezeigt. Der | |
> Medientheoretiker Felix Stalder fragt sich, woher das Unternehmen weiß, | |
> was das Beste für einen ist. | |
Bild: Unterschiedliche Nutzer erhalten von Google verschiedene Ergebnisse – t… | |
sonntaz: Herr Stalder, was haben Sie zuletzt gegoogelt? | |
Felix Stalder: Oh je, das mache ich so oft, das fällt mir kaum mehr auf. | |
Ich glaube, das Letzte war eine Suche nach einem Text des französischen | |
Philosophen Georges Simondon. | |
Und kam ein brauchbares Ergebnis heraus? | |
Ja. Wie so oft kam zuoberst Wikipedia, und da war der Text verlinkt. | |
Haben Sie bei dieser Suche gemerkt, dass Google seine Suchergebnisse | |
personalisiert, unterschiedliche Nutzer also mit demselben Suchbegriff | |
verschiedene Ergebnisse erhalten? | |
Konkret bei der Suche nicht. Aber so eine Personalisierung ist für den | |
Einzelnen ja auch fast nicht zu bemerken. Schließlich weiß man in der Regel | |
nicht, wie die Suchergebnisse aussehen würden, wären sie nicht | |
personalisiert oder wenn Google andere Informationen über einen gespeichert | |
hätte. | |
Sie haben in einem Experiment mit extra dafür angelegten Google-Konten | |
untersucht, wie stark sich die Ergebnisse unterscheiden und im Fazit | |
geschrieben, das Ausmaß sei „überraschend“. Wieso? | |
Weil es gezeigt hat, dass diese ursprüngliche Idee, dass es so etwas wie | |
allgemeines Ranking gibt, wo das Wichtigste oben steht und die weniger | |
wichtigen Sachen weiter unten, kaum mehr stimmt. Was wir finden, hängt in | |
ganz großem Maße von unserer Person ab – oder von dem, wofür uns Google | |
hält. Das fängt bei dem Standort an, von dem wir suchen, unseren | |
Spracheinstellungen und geht weiter über das, was wir in der Vergangenheit | |
gesucht haben, bis hin zu den Informationen, die Google aus seinen anderen | |
Diensten wie etwa Gmail und Adsense über uns gesammelt hat. | |
Der Autor Eli Pariser, auf den der Begriff der Filter Bubble zurückgeht, | |
bringt ein Beispiel, in dem der eine Benutzer auf Google das Stichwort „BP“ | |
suchte und Nachrichten zu Investitionsmöglichkeiten erhielt, während ein | |
anderer Nutzer mit derselben Suchanfrage Informationen über die von der | |
BP-Bohrplattform „Deepwater Horizon“ verursachte Ölpest bekam. Ist das | |
nicht ein sehr extremes Beispiel? | |
Das ist sicher extrem. Aber ich denke, es ist in der Tendenz nicht | |
ungewöhnlich, weil es in der Logik der Personalisierung die Nutzer in | |
Gruppen einteilt. Und dann wird gefragt: Mit welchen Augen sieht diese | |
Gruppe die Welt? Denen eines Investors oder denen eines Umweltschützers? | |
Google sagt, sie wollen nur die besten Ergebnisse für den Nutzer. | |
Das sagen auch Eltern zu ihren Kindern, und trotzdem will niemand ewig Kind | |
bleiben. Woher weiß Google denn im Voraus, was das Beste ist? Weiß ich als | |
Nutzer das überhaupt, wenn ich suche? Das Problem ist: Was ich nicht finde, | |
das fehlt mir nicht. Es kommt immer etwas Passendes, und ob es noch etwas | |
Besseres gibt, das weiß ich ja gar nicht. Insofern lässt sich individuell | |
gar nicht sagen, ob die Ergebnisse so toll sind. Dazu kommt eine Art sich | |
selbst erfüllende Prophezeiung: Nur aus dem Grund, dass etwas oben in den | |
Suchergebnissen auftaucht, schließen viele auf eine hohe Relevanz. Und | |
klicken drauf. Und deshalb taucht es wieder oben in den Suchergebnissen | |
auf. | |
Zumindest bei Google können Nutzer selbst die Personalisierung abschwächen, | |
indem sie etwa Cookies und den Browserverlauf löschen. | |
Ja, das hilft zumindest zum Teil. Aber es wird den Nutzern immer | |
unattraktiver gemacht. Google, Facebook und andere geben einem möglichst | |
viele Gründe, immer eingeloggt zu sein. Dazu kommt: Die Personalisierung | |
ist nicht nur falsch. Prinzipiell soll mir eine Suchmaschine aus 500.000 | |
möglichen Resultaten die fünf rausgeben, die für mich relevant sind. Google | |
und Facebook sind ja nicht von außen aufgedrängte bösartige Dienste, die | |
ich zwangsweise nutzen muss. Sie sind in vielerlei Hinsicht wirklich | |
nützlich. Aber mit dem Dienst, den der User zu nutzen glaubt, kommen eben | |
noch andere Sachen mit, die für ihn nicht sichtbar sind, wie diese Art | |
goldener Informationskäfig. | |
Also ist das Problem vor allem, dass der Nutzer gar nicht weiß, was da | |
passiert. | |
Genau, die Mechanismen sind völlig intransparent. Und die Kunden von | |
Google, aber auch von Facebook, das mit ähnlichen Konzepten arbeitet, sind | |
ja nicht wir, die Nutzer, sondern die Werbetreibenden. Die Personalisierung | |
dient nicht nur dazu, die Welt für den Nutzer zu personalisieren, sondern | |
den Nutzer selbst zu personalisieren. So kann Werbung passgenau präsentiert | |
werden. Jede Suche ist also eine doppelte Suche: Der Nutzer sucht nach | |
Information und der Werbetreibende nach Kunden oder potenziell | |
beeinflussbaren Subjekten. | |
Das werden die Nutzer nicht gern hören. | |
Na ja, Google sagt, es ist eine Win-win-Situation. Werbung sei ja auch | |
nützliche Information. Aber Werbung ist genau nicht Information, sondern | |
der Versuch, Verhalten zu beeinflussen. | |
Und welchen Einfluss hat die Personalisierung auf eine Gesellschaft? | |
Wir haben eine Vielzahl von Mechanismen, die uns erlauben, das, was wir von | |
der Welt wahrnehmen, zu filtern. Das ist nicht grundsätzlich neu, wir | |
können die Welt immer nur selektiv wahrnehmen, aber diese Filter werden | |
immer feiner und immer umfassender. Und dadurch nimmt der | |
gesamtgesellschaftliche Vorrat an geteiltem Wissen ab. Wir haben immer mehr | |
Menschen mit ganz viel Nischenwissen und ganz viel Spezialistentum. Die | |
Piratenpartei ist ein gutes Beispiel dafür. Deren Mitglieder sind | |
unglaublich communityorientiert und haben wenig Interesse, mit der | |
Allgemeinheit, der Öffentlichkeit im alten Sinne, zu kommunizieren. Die | |
verstehen das Internet ja eh nicht, ist die Haltung. | |
Und wieso ist das jetzt problematisch? | |
Es ist dann problematisch, wenn sie nicht mehr nur in einzelnen Bereichen – | |
etwa der Berufswelt – normal ist, sondern überall. | |
Warum? | |
Weil verschiedene Gruppen mit ihrer jeweils eigenen Sichtweise auf die Welt | |
sich dann zunehmend einander nicht mehr verständlich machen können. Wir | |
haben das beispielsweise gerade in den USA gesehen, wo die Republikaner | |
total erstaunt waren, die Wahlen zu verlieren, weil sie in einer Welt | |
gelebt haben, in der alle Anzeichen darauf hingedeutet haben, dass sie die | |
Wahlen gewinnen werden. Sie sahen nur noch die Welt, die sie sehen wollten. | |
Wenn man da auf politischer Ebene agieren, Kompromisse finden muss, dann | |
ist diese eingeschränkte Weltsicht ein echtes Hindernis. | |
Sehen Sie eine Möglichkeit, das wieder aufzufangen? | |
Notwendig wäre eine stärkere Auseinandersetzung mit der Realität, die von | |
allen gemacht wird. Am Ende drang die Wahlniederlage auch in die stärkste | |
Filter Bubble durch und hat einen Nachdenkprozess ausgelöst. Ein Mittel, | |
dieses Engagement zu erweitern, wäre etwa durch mehr Partizipation. Mit | |
mehr Elementen der direkten Demokratie, Volksentscheiden etwa, kann man den | |
Diskurs wieder zurück auf eine gemeinschaftliche Ebene zurückbringen und | |
die Menschen aus ihrem Kokon herausholen. | |
15 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
## TAGS | |
Tracking | |
Suchmaschine | |
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