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# taz.de -- Ex-MDR-Intendant Udo Reiter: „Natürlich bin ich eitel“
> Der langjährige MDR-Intendant Udo Reiter über seine Zockereien auf dem
> Finanzmarkt und sein Leben als Führungskraft im Rollstuhl.
Bild: „Wenn ich etwas anpacke, gebe ich nicht klein bei“, sagt Udo Reiter �…
taz: Herr Reiter, Sie schreiben in Ihrer gerade erschienenen Biografie,
dass die Welt in den sechziger Jahren „voller Treppen und Bordsteinkanten
war“. Ist das heute nicht mehr so?
Udo Reiter: Es ist zumindest viel besser geworden. So viele Rollstuhlklos,
wie es heute an Autobahnen gibt, so viele können Sie gar nicht benutzen.
Und wie war die gerade untergegangene DDR 1991, als Sie nach Leipzig kamen,
um den MDR aufzubauen, auf Rollstuhlfahrer vorbereitet?
Ganz schlecht. Es gab ja in der DDR keine Behindertenpolitik in dem Sinn,
dass man den Betroffenen die Integration ins Leben erleichtern wollte. Die
wurden eher aussortiert und saßen zu Hause rum.
Hatten Sie sich darüber denn keine Gedanken gemacht, bevor Sie von Bayern
nach Leipzig gezogen sind?
Dass es so schwierig sein würde, wusste ich nicht. Außerdem reizte mich so
was auch. Etwas auszuprobieren, wo die Wege nicht so eben sein würden, das
hat mir Spaß gemacht.
Wie wurden Sie denn anfangs wahrgenommen: als Besserwessi oder als
Behinderter?
Es war eine Mischung. Die Mitglieder des Rundfunkbeirats haben schon sehr
verwundert geguckt, als da einer auf dem Rollstuhl zur Tür reinkam. Aber
ich bin dann doch gewählt worden, sogar einstimmig.
Und der Besserwessi-Vorwurf kam nicht?
Gegen mich anfangs wenig. Der Vorwurf kam dann später massiv gegen die neue
MDR-Führung. Ich hatte ja nur ein halbes Jahr Vorbereitungszeit, um den
Betrieb aufzubauen, und kannte hier keinen. Also habe ich Leute aus dem
Westen geholt, von denen ich wusste, dass die das können. Und so waren zum
Start sechs von sieben Direktoren aus dem Westen. Das haben wir dann
möglichst schnell zu korrigieren versucht. Ich habe festgelegt, dass jeder
Direktor einen Stellvertreter aus der ehemaligen DDR bekommen sollte.
Und im Westen? Hatten die ehemaligen BR-Kollegen Mitleid mit Ihnen, als Sie
nach Leipzig gingen?
Hie und da wurde schon der Kopf geschüttelt. Aber hauptsächlich, weil ich
mehr und mehr zum Anwalt der neuen Länder wurde.
In welcher Sache?
Hauptsächlich, wenn die Journalisten hier hochmütig verurteilt wurden: SED,
wie konnte man denn?, überall IMs - und all solche Vorwürfe. Einmal ist mir
in einer Direktorenrunde in München der Kragen geplatzt: „Ihr seid alle nur
in der CSU, weil euch die abendländischen Werte so am Herzen liegen? An
Karriere hat von euch keiner gedacht?“ Da sind die an die Decke gegangen.
Außer Ihnen und Wolfgang Schäuble gibt es kaum Rollstuhlfahrer in
Spitzenpositionen. Warum eigentlich?
Es gibt schlicht objektive Schwierigkeiten. So eine Rollstuhlexistenz
bringt gesundheitliche Probleme mit sich. Und wenn Sie einen Spitzenjob
haben, können Sie nicht einfach sagen: Ach, heute tut mir der Hintern weh,
ich ruhe mich lieber ein bisschen aus. Da gibt es nur „ganz oder gar
nicht“. Ich hatte genau die gleiche Erfahrung wie Schäuble, als der seinen
Dekubitus hatte, im Krankenhaus lag und gleichzeitig diese ganzen
Finanzministertreffen wegen des Euros liefen. Was hat er gemacht? Er ist zu
früh aufgestanden. Und dann geht die ganze Malaise erst richtig los.
Sie schreiben von „Qualen“, von „Dabeisein oder aufhören“, von „Elen…
Sind Sie Masochist?
Wenn ich etwas anpacke, gebe ich nicht klein bei. Ich war aber 2005, als
ich meinen Dekubitus hatte, kurz davor aufzuhören. Aber ich habe die Kurve
dann doch noch gekriegt. Ich neige halt nicht zum Kapitulieren. Und ein
bisschen Glück war auch dabei.
Aber Sie neigen zum Zocken. Sind Sie ein Zocker?
„Zocker“ ist so ein hässliches Wort. Sagen wir lieber: Ich habe eine
spielerische Ader.
Immerhin haben Sie die Anschubfinanzierung durch Finanzgeschäfte verdoppelt
und schreiben selbst darüber, dass Sie beim MDR vom Hof gejagt worden
wären, wenn der Neue Markt zwei Jahre früher zusammengebrochen wäre.
Was wäre denn die Alternative gewesen? Wir hatten 560 Millionen Mark. Dabei
waren sich alle Experten einig, dass wir 1,2 Milliarden bräuchten für den
im Staatsvertrag vorgeschriebenen Aufbau des MDR. Hätten wir den Fehlbetrag
durch Schulden finanzieren sollen? Das wäre ja eine Hypothek auf Ewigkeit
geworden. Und auf der anderen Seite stand halt dieser boomende Markt – und
da dachte ich mir: Komm, du musst auch mal was riskieren.
Worin haben Sie eigentlich investiert?
In alles. In Fonds, in Staatsanleihen. Wir waren ja unglaublich
erfolgreich. Mit Ausnahme dieser Peanuts da in Ecuador.
Na ja, Sie haben im Jahr 2000 immerhin 2,6 Millionen Mark da verloren.
Aber schauen Sie, in demselben Jahr haben wir durch andere Anlagen 79
Millionen Mark Gewinn gemacht. Die Gewinne wurden nicht zur Kenntnis
genommen, aber für die 2,6 Millionen hätten sie uns fast aufgehängt.
2009 zockten Sie noch einmal und kandidierten erneut für die Intendanz.
Ärgern Sie sich heute, dass Sie damals Ihr Glück überreizten und sich noch
einmal haben wählen lassen?
Im Nachhinein wäre es gescheiter gewesen, das nicht zu machen.
Dann kamen die Skandale, erst um den ehemaligen MDR-Sportchef Wilfried
Mohren, dann um den Unterhaltungschef Udo Foht und auch um den Kinderkanal
Kika.
Der Fall Mohren: Mein Gott, so was kommt vor. Der Hessische Rundfunk hatte
Jürgen Emig, der Norddeutsche Rundfunk die Fernsehspielchefin Doris Heinze.
Es passiert mitunter, dass Leute betrügen, auffliegen und dann entlassen
werden. Durch Mohren ist dem MDR ja kein Cent Schaden entstanden. Die Sache
ist abgehakt. Und bei Foht war es eher eine skurrile Geschichte: Der hat an
allen Dienstanweisungen vorbei dieses merkwürdige
Zwischenfinanzierungsmodell aufgebaut, sich hier was geliehen und damit
woanders wieder Schulden beglichen. Ich bin davon überzeugt, dass er sich
nicht persönlich bereichert hat, und dem MDR ist nach allem, was man weiß,
auch kein Schaden entstanden.
Bleibt der Kika, wo ein ehemaliger Herstellungsleiter über fünf Jahre 8,2
Millionen Euro unterschlagen hat.
Das ist das einzige Ereignis, das dem Begriff Skandal gerecht wird. Das war
eine scheußliche Affäre, die mich auch persönlich getroffen hat. Der
Kinderkanal war meine Idee, ich hatte viel dafür getan, dass der in Erfurt
angesiedelt wird. Dass dann so ein Gauner das derartig diskreditiert, hat
mich sehr getroffen.
Hat die Kontrolle gefehlt?
Man kann nicht sagen, dass der Kinderkanal nicht kontrolliert wurde: Die
Rechnungshöfe waren da jedes zweite Jahr, die Wirtschaftsprüfer waren jedes
Jahr da, die interne Revision von Hessischem Rundfunk und vom ZDF hat
geprüft. Keiner ist drauf gekommen. Es war eine Mischung aus hoher
Intelligenz, hoher krimineller Energie und Glück.
War Ihr Herstellungsleiter überhaupt zeichnungsberechtigt für solch hohe
Summen?
Das Hauptproblem war, dass er auch noch zuständig war für die
Controllingberichte.
Das hört sich aber schon stark nach mangelnder Kontrolle an.
Klar. Aber darauf kommen Sie erst, wenn es schiefgegangen ist. Vorher
wurden wir für die schlanken Strukturen gelobt.
Und dann mussten Sie 2011 im Zuge dieser Skandale abtreten.
Mir war klar, dass ich nach 20 Jahren aufhören würde. Ich hätte das auch
schon früher verkündet, aber dann kam diese Kika-Geschichte. Da konnte ich
nicht einfach gehen. Also habe ich noch die Grundbereinigung vorgenommen
und bin dann gegangen. Natürlich hätte es einen schöneren Abschied geben
können.
Wie fühlt es sich denn an, wenn nun ehemalige Mitarbeiter auf Distanz zu
Ihnen gehen?
Der König ist tot, es lebe der König. Die Neuen können ja nicht einfach als
Regierungsprogramm verkünden, dass sie das Denkmal des Chefs möglichst gut
pflegen werden. Die müssen sagen, dass nun eine neue Zeit komme. Aber was
wir hingestellt haben, das steht.
Aber Sie sind doch schon eitel, was Ihr Vermächtnis angeht. In Ihrem Buch
steht, dass Sie nach Ihrem schweren Unfall noch den Doktor für den
Grabstein machen wollten.
Natürlich bin ich eitel. Sie finden in unserem Gewerbe kaum einen, der das
nicht ist.
Der Grabstein hätte einmal fast schon bestellt werden müssen. Sie haben,
kurz nachdem feststand, dass Sie querschnittsgelähmt bleiben würden,
darüber nachgedacht, sich das Leben zu nehmen. Wie konkret waren diese
Gedankenspiele?
Die waren absolut ernst. Ich hatte das Gefühl, so nicht leben zu wollen,
und hab mir dann überlegt, wie ich das machen kann und hab mir dann ganz
legal einen Revolver besorgt. Und ich weiß noch genau, wie ich mir eines
Abends im Studentenwohnheim dachte: So, das soll es jetzt sein. Ich hab mir
noch ein Bier aufgemacht, einen Brief an meine Eltern geschrieben, den
Revolver bereitgelegt, und in dem Moment habe ich gemerkt, dass ich gar
nicht tot sein will. Von irgendwo her brach die Vitalität durch: lieber das
beschissenste Leben als gar keins.
23 Feb 2013
## AUTOREN
Jürn Kruse
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NDR
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