# taz.de -- Die Oscar-Nacht: Wie Kirche | |
> Bescheiden-trotzig, angemessen beeindruckt und immer nah am Kinogott: Die | |
> Oscars entfalteten wieder einmal ihre Sogwirkung, boten aber wenig | |
> Überraschendes. | |
Bild: Ihre Gebete wurden erhöht: Oscar-Preisträger Daniel Day Lewis, Jennifer… | |
Die Oscars haben viele Namen – von „Olympiade des Films“ bis zu „Mutter | |
aller Preiszeremonien“. Der diesjährige Showmoderator Seth MacFarlane fügte | |
im Laufe des Sonntagabends in Los Angeles einen weiteren Vergleich hinzu: | |
„Ein Sonntag, alle sind fein gekleidet – es ist wie Kirche, nur dass mehr | |
Menschen beten.“ Und dass ihnen dabei weltweit ein paar Hundert Millionen | |
vom Fernseher aus zuschauen, möchte man hinzufügen. Wobei einige dieser | |
Zuschauer wohl selbst mitbeten. | |
Denn das ist das eigentlich Unglaubliche an den Oscars: welche Sogkraft sie | |
entwickeln können, damit man sich mit ihnen beschäftigt. Sind im Dezember | |
noch die meisten Filmfans der Ansicht, dass die Goldstatuen doch eigentlich | |
nichts bedeuten, weil viel zu oft diejenigen, die es wirklich verdient | |
hätten, übersehen wurden (aus dem Hintergrund ruft es „Hitchcock!“), gibt | |
es unmittelbar vor der Verleihung kaum jemanden, der nicht heimlich | |
irgendwo ein „Oscar Ballot“, einen eigenen Stimmzettel ausgefüllt oder doch | |
wenigstens eine Wette über die Wahl des besten Films abgeschlossen hat. | |
Nach der Verleihung aber, passenderweise ist das in Europa schon der Tag | |
danach und dazu der frühe Montagmorgen, kratzt sich alles wie verkatert den | |
Kopf: Das soll mal wieder alles gewesen sein? Und die Ironie will es, dass | |
sich sowohl diejenigen, die es richtig vorhergesagt haben, als auch die, | |
die falsch getippt haben, irgendwie enttäuscht fühlen. | |
## Die sprichwörtlichen Spatzen | |
Die ersteren klagen über zu wenig Überraschung, die letzteren darüber, dass | |
eben mal wieder nicht die Richtigen (und aus dem Hintergrund wieder: | |
„Hitchcock!“) gewonnen haben. | |
Dass Ben Afflecks „Argo“ als bester Film ausgezeichnet würde, das hatten | |
zuletzt die sprichwörtlichen Spatzen von den Dächern gepfiffen. Für das | |
Warum gibt es hinreichende Erklärungen: ein Film, in dem Hollywood selbst | |
vorkommt und zwar als verschworene Truppe gewiefter Veteranen, die heimlich | |
(!) die Leben von sechs im Iran festsitzenden Amerikanern retten – wie | |
könnte die „Academy“ diesem schmeichelnden Selbstporträt widerstehen. | |
Zumal Regisseur Ben Affleck gerade dadurch, dass ihm eine Nominierung für | |
die beste Regie vorenthalten wurde, zu jener Art „Underdog“ wurde, den man | |
besonders gerne am Ende, in aller Bescheidenheit natürlich, triumphieren | |
sieht. Und auch wenn unter den neun Mitbewerberfilmen solche sind, die | |
gewichtigere Themen behandeln („Lincoln“, „Zero Dark Thirty“), visuell | |
(„Life of Pi“), spirituell („Amour“) oder einfach insgesamt interessant… | |
(„Beasts of The Southern Wild“) sind, so kann man sich bei „Argo“ doch … | |
eines einigen: er ist ausgesprochen unterhaltsam. | |
Die Überraschung des Abends war denn auch keine mehr: dass Steven | |
Spielbergs „Lincoln“, einst mit 12 Nominierungen als haushoher Favorit | |
angetreten, nur zwei Oscars mit nach Hause nehmen konnte, das hatte sich | |
lange schon abgezeichnet – und bildet sicher Stoff für künftiges | |
Kopfschütteln. | |
## Unergründlicher Kirchengott | |
Ang Lee, der Spielberg in der Kategorie Bester Regisseur schlug, dankte | |
gewissermaßen konsequent dem „movie god“. Wie MacFarlane sagte, die Oscars | |
sind eben doch „wie Kirche“ und die Wege des Herrn Kinogott unergründlich. | |
In den vier Schauspielkategorien lief alles sozusagen nach Plan. Christoph | |
Waltz durfte mit seinem bereits zweiten Oscar als bester Nebendarsteller | |
Tarantinos den Abend eröffnen, den in einer Nebengeschichte die | |
Österreicher als den Ihren bezeichnen – später gewann Michael Haneke für | |
„Amour“ den Auslandsoscar. Ann Hathaway nahm erwartet tränenerstickt ihre | |
Auszeichnung für ihren Auftritt im Musical „Les Misérables“ an. Jennifer | |
Lawrence („Silver Linings Playbook“) siegte über Emmanuelle Riva („Amour… | |
der viele Kritiker den Vorzug gegeben hätten. | |
Aber dann stolperte Lawrence beim auf die Bühne Klettern über ihr | |
prächtiges Kleid, bedankte sich so bescheiden-trotzig für die „standing | |
ovation“, die sie bekam („Ihr seid doch nur aufgestanden, weil ich | |
gestolpert bin“) und war überhaupt so umwerfend charmant und lebendig, dass | |
man ihr den Oscar doch noch aus vollen Herzen gönnte. Zumal sie die Grazie | |
besaß, „Emmanuelle“ einen herzlichen Geburtstagsgruß zuzurufen. Riva | |
nämlich ist am Oscar-Tag 86 geworden. | |
Wer nun gedacht hätte, dass Lawrence‘ Auftritt an Charme und Rührung nicht | |
beizukommen wäre, den belehrte Daniel Day-Lewis in der nur ihm eigenen | |
Mischung aus Humor und Demut eines Besseren. Day-Lewis war als bester | |
Schauspieler kein Favorit mehr, sein „Sieg“ hatte als so sicher gegolten | |
wie sonst nur noch Hanekes Auslandsoscar für „Amour“. | |
## Die „Eiserne Lady“ Lewis | |
Und trotzdem zeigte der britisch-irische Schauspieler sich so angemessen | |
beeindruckt von der Würdigung, wie es das Oscar-Publikum eben verlangt. Und | |
dazu machte er liebevolle Scherze darüber, dass er und Meryl Streep, die | |
ihm die Statuette übergab, erst vor wenigen Jahren getauscht hätten – | |
eigentlich hätte nämlich er die „Eiserne Lady“ spielen sollen... | |
Apropos Rührung: Tränen in die Augen des Publikums trieb auch der Auftritt | |
der 76-jährigen Shirley Bassey, die außerdem bewies, dass man nicht jeden | |
Ton richtig treffen muss, um einen Saal zu bewegen. Oder auch Christopher | |
Plummer, der als Trophäen-Überreicher wohl der einzige war, der seine | |
Ansprache selbst geschrieben hat. Oder auch Adele, die für ihren Song | |
„Skyfall“ einen der raren Oscars für die Bond-Serie holte, und wohl die | |
einzige war, die das Mikrofon bei der Dankesrede vorzeitig von sich stieß, | |
weil sie vor Rührung nicht mehr konnte. | |
So musste bei ihr einmal nicht das Orchester einschreiten, das in diesem | |
Jahr ausgerechnet mit dem „Weißen Hai“-Thema diejenigen von der Bühne | |
jagte, die zu lang redeten. | |
Als eine der wenigen echten Überraschungen galt am Ende die Zuschaltung aus | |
dem Weißen Haus, als der Oscar für den besten Film verkündet wurde. | |
Michelle Obama höchstselbst öffnete den Umschlag und machte in diesem | |
Moment sogar vergessen, dass Seth MacFarlane den Abend Stunden vorher noch | |
mit einem Song begonnen hatte, der Schauspielerinnen mit dem recht | |
geschmacklosen Refrain besang: „We Saw Your Boobs“ („Wir haben deine Brü… | |
gesehen“). | |
25 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhofer | |
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