# taz.de -- Interkonfessionelle Ehen im Libanon: Einfach heiraten geht nicht | |
> Tausende Libanesen fliegen jedes Jahr nach Zypern, um zu heiraten. | |
> Menschen unterschiedlicher Religion werden im Libanon nicht getraut. Ein | |
> säkularer Staat wird gefordert. | |
Bild: Die libanesische Regierung wird hart angegangen, hier im Februar wegen Ge… | |
Man stellt sich Leute, die das eigene politische System herausfordern, | |
anders vor. Bestimmter. Menschen, die Fäuste recken. Kholoud Sukkarieh und | |
Nidal Derwisch sitzen auf der Terrasse eines Fitnessstudios in Beirut und | |
machen nicht viel Aufhebens um ihre Person. Und das, obwohl sie derzeit am | |
Fundament des politischen Systems ihres Landes rütteln. | |
„Wir haben uns 2010 getroffen, haben uns verliebt und wollten heiraten“, | |
sagt Sukkarieh, die als Koordinatorin in einer Sprachschule arbeitet. „Wir | |
wollten standesamtlich heiraten, doch es war unklar, ob das möglich ist.“ | |
Seit der Staatsgründung des Libanon bestimmen Religionszugehörigkeiten das | |
öffentliche Leben. Unter anderem sieht das System vor, dass der Präsident | |
immer ein Christ, der Premier ein Sunnit und der Parlamentssprecher ein | |
Schiit sein muss. Und auch personenrechtliche Angelegenheiten werden vom | |
Klerus verhandelt. Geboren, geheiratet, geschieden, gestorben und geerbt | |
wird in der Kirche, Moschee und im Fall der Drusen in der Khalwa. | |
Für Paare unterschiedlichen Glaubens stellt dies ein Problem dar. Entweder | |
ein Partner konvertiert oder die Ehe wird in einem anderen Land | |
geschlossen. Tausende Menschen fliegen jedes Jahr nach Zypern, um sich das | |
Jawort zu geben. | |
Sukkarieh und Nidal sahen das nicht ein. „Warum sollten wir nach Zypern | |
fliegen und dort heiraten, anstatt uns wie Bürger unseres eigenes Landes zu | |
fühlen?“, sagt Sukkarieh. „Ich bin zuerst Libanese und dann Mitglied meiner | |
Religion“, sagt Derwisch. | |
## Französische Kolonialzeit | |
Laut einem Gesetz aus der französischen Kolonialzeit fallen alle, die | |
keiner anerkannten Religion zugehören, unter das Zivilrecht. Seit 2009 ist | |
es möglich, die eigene Konfession aus allen personenbezogenen Dokumenten zu | |
entfernen. Was vor drei Jahren scheinbar einen rein symbolischen Wert | |
hatte, eröffnet jetzt den Weg in die Zivilehe. „Für zehn Monate studierten | |
wir die Gesetze und besorgten alle notwendigen Papiere“, sagt Sukkarieh. | |
„Dann gingen wir zum Notar.“ Als die beiden ihre Ehe zwei Monate später | |
bekannt gaben, brach ein Sturm los. | |
„Jeder, der die Zivilehe unterstützt, ist ein Apostat“, sagte der oberste | |
sunnitische Mufti Mohammed Raschid Kabbani in einer Stellungnahme. Den | |
Unterstützern sei eine Beerdigung nach islamischer Tradition zu versagen. | |
Christliche und schiitische Geistliche äußerten sich ähnlich. „Die | |
Geistlichen benutzen Religion, um die Menschen zu kontrollieren. Doch immer | |
mehr Menschen wollen das nicht mehr“, sagt Sukkarieh. „Wir sind gläubig, | |
aber nicht blind.“ | |
Gleichzeitig kam vonseiten der Zivilgesellschaft Unterstützung. Auf | |
Demonstrationen in Beirut hielten Menschen Schilder mit der Aufschrift „Wir | |
sind alle Kholoud und Nidal“. „Was wir wollen, ist nicht nur die Zivilehe, | |
sondern einen säkularen Staat“, sagt Roger Bejjani, einer der Organisatoren | |
des Protests. „Libanons konfessionelles System erzeugt unter den Menschen | |
nur Feindschaft, Angst und Hass.“ | |
Bejjani ist Teil einer wachsenden Bewegung, die sich gegen das | |
konfessionelle System des Libanons auflehnen. „Die Zivilehe ist der erste | |
Schritt, um die Mauer der Konfessionalismus niederzureißen“, sagt er. Laut | |
Umfragen ist die Mehrheit der Libanesen und der Parlamentsabgeordneten für | |
die Zivilehe. Die Rechtmäßigkeit von Sukkariehs und Derwischs Ehe wurde nun | |
vom Justizministerium bestätigt. Innenminister Marwan Charbel, hat jedoch | |
angekündigt, die Ehe nicht eintragen zu lassen. | |
Ein Erfolg der Zivilehe wäre der bisher größte Erfolg hin zu einem | |
säkularen Staat „Es ist der erste Stein, den wir aus der Mauer des | |
Konfessionalismus herausschlagen“, sagt Bejjani. | |
27 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Raphael Thelen | |
## TAGS | |
Libanon | |
Kinderehe | |
Schwerpunkt Syrien | |
Bürgerkrieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zwangsheirat im Libanon: Kampf gegen die Kinderbräute | |
14, 15, 16 Jahre: Schon in diesem Alter werden Mädchen im Libanon | |
verheiratet. Mit aggressiven Kampagnen gehen AktivistInnen dagegen vor. | |
Kämpfe und Regierungskrise: Libanon gerät ins Taumeln | |
Bei bewaffneten Auseinandersetzungen im Nordlibanon sind 12 Menschen | |
getötet worden. Die libanesische Regierung ist unterdessen zurückgetreten. | |
Moschee in der Kirche: Die letzten knien draußen | |
Eine der größten muslimischen Gemeinden Hamburgs will umziehen – aus ihrem | |
unterirdischen Gebetsraum in eine entwidmete Kirche. Denn die Gläubigen | |
sitzen heute in der Einfahrt einer Tiefgarage. | |
Libanesischer Ex-Geheimdienstchef: „Wie ein kleiner Gott“ | |
Im libanesischen Bürgerkrieg ließ Assaad Chaftary foltern und morden. Heute | |
setzt er sich für Frieden und Versöhnung ein. |