# taz.de -- Skandal bei Magdeburger „Volksstimme“: Tschüss, Mitbestimmung | |
> Die Zerschlagung der Mantelredaktion der „Volksstimme“ wird als „modern… | |
> gepriesen. Dabei entledigt sich der Verlag auch eines unbequemen | |
> Betriebsrats. | |
Bild: Müssen „Volksstimme“-Leser so etwas mitbekommen? Offenbar nicht. | |
Eigentlich sind die Messen gesungen für die bisherige Zentralredaktion der | |
Magdeburger Volksstimme. Zum 1. Februar ist sie zerschlagen und in drei | |
Mini-GmbHs aufgeteilt worden. Etwa 30 Journalisten, die bislang den Mantel | |
der Regionalzeitung produzierten, arbeiten nun nebeneinander in den | |
Bereichen Produktion, Recherche und Online. Fünf Kollegen, darunter der | |
Betriebsrat, wurden bei dieser Gelegenheit entlassen. | |
Was jetzt folgt, sind gerichtliche Nachspiele. Am Dienstag gab es einen | |
ersten ergebnislosen Anhörungstermin beim Arbeitsgericht in einem | |
sogenannten Beschlussverfahren über Behinderungen des Betriebsrats. Aber | |
auch für die Landegesetzgebung könnte der Volksstimme-Skandal Konsequenzen | |
haben. | |
Die ehemals sozialdemokratisch orientierte und seit 1952 als Bezirksorgan | |
der SED herausgegebene Volksstimme wurde 1991 durch die Treuhand | |
meistbietend verscherbelt. Der sonst eher im seichten Medienmarkt rührende | |
Hamburger Bauer-Konzern riss sich das Blatt unter den Nagel. Dank der Rolle | |
als früherer Bezirkszeitung ist die Volksstimme im Norden Sachsen-Anhalts | |
praktisch Monopolist und erreicht noch eine Auflage von rund 187.000 | |
Exemplaren. | |
Trotz der rückläufigen Auflage leistet die Zeitung weiterhin „einen | |
erfreulichen Beitrag zum Ergebnis der Bauer Media Group“, wie der | |
Familienkonzern selbst mitteilte. Wie erfreulich der ist, kann wegen der | |
Geheimnistuerei des Konzerns nur geschätzt werden. | |
## 18 Lokalredaktionen ausgegliedert | |
Bei einem Jahresumsatz in der Größenordnung von 120 Millionen Euro warf die | |
Volksstimme in den besten Zeiten Renditen bis 20 Prozent ab. Auch wenn | |
diese besten Zeiten jetzt vorüber sein dürften, wurden auch mit den neuen | |
GmbHs Erlösabführungsverträge geschlossen. | |
„Für den seit Jahren hochprofitablen Verlag gab es keinerlei | |
wirtschaftliche Notwendigkeit, die Redaktion zu zerschlagen“, sagt der | |
inzwischen gekündigte Betriebsratsvorsitzende Winfried Borchert. In den | |
vergangen Jahren wurden bereits alle 18 Lokalredaktionen ausgegliedert und | |
Personal reduziert. Die nunmehr vielfach scheinselbstständigen Mitarbeiter | |
können weit unter Tarif honoriert werden und bleiben ohne soziale | |
Sicherung. | |
Diese Absicht steckt auch hinter der Zerschlagung der Mantelredaktion. Im | |
September 2012 wurden vier Sportredakteure „outgesourct“, jetzt die | |
übrigen. Nach den „Abschmelzungsverträgen“ für die neuen Mini-GmbHs | |
verzichten sie zunächst auf ein Viertel ihres Gehalts, dann jedes Jahr auf | |
weitere 100 Euro monatlich. | |
Für die in Einzelverträgen bisher nach Tarif bezahlten Mitarbeiter sinke | |
das Gehalt damit auf Durchschnittsniveau Ost, räumt Chefredakteur Alois | |
Kösters in einem Schreiben an seine Rotarier-Freunde ein. Er verweist | |
zugleich auf wenige Neueinstellungen und neue Technik. Die Geschäftsführung | |
der Magdeburger Verlags- und Druckhaus GmbH spricht in einem Schreiben an | |
die Belegschaft von der Absicht, „eine moderne Produktionsstruktur zu | |
schaffen, die den Anforderungen des Wettbewerbs und des Marktes standhält“. | |
„ ’Modern‘ kann nicht heißen, bei der Mitbestimmung in Kaisers Zeiten | |
hinter das Reichsbetriebsrätegesetz von 1920 zurückzufallen“, kommentiert | |
Winfried Borchert. Denn mit der Zerschlagung der Zentralredaktion entledigt | |
sich der Verlag künftig auch eines unbequemen Betriebsrats. Borchert | |
spricht sogar von „Feindschaft“, die die Betriebsleitung gegen die | |
Arbeitnehmervertretung entwickelt habe, die gemäß Betriebsverfassungsgesetz | |
zuletzt aus drei Mitgliedern bestand. Bei den mittlerweile 40 Mini-GmbHs | |
des Verlagshauses existiert praktisch keine Mitbestimmung mehr. | |
## Strafanzeige gegen Geschäftsführer | |
Nun klagt der formal noch fortbestehende Betriebsrat in | |
Kündigungsschutzfragen und wegen fehlender Sozialpläne. Rückblickend aber | |
auch wegen der Verletzung des Schutzparagrafen 78 im | |
Betriebsverfassungsgesetz, also gegen die massive Behinderung vor allem im | |
Jahr 2012. Außerdem hat der Deutsche Journalistenverband (DJV) gegen | |
Geschäftsführer Klaus Lange und Chefredakteur Kösters Strafanzeige | |
erstattet, nachdem dem DJV-Landesvorsitzenden Uwe Gajowski durch | |
Sicherheitskräfte der Zutritt zu einer Betriebsratssitzung verwehrt wurde. | |
„Wir wollen die Verletzung der inneren Pressefreiheit nicht einfach | |
hinnehmen“, sagt Gajowski. Winfried Borchert sieht auch die Politik | |
gefordert, „ehe das Beispiel Volksstimme Schule macht“. Dort tut sich | |
immerhin etwas. Alle vier im Magdeburger Landtag vertretenen Fraktionen | |
haben sich Ende Februar in einem Entschließungsantrag für eine Stärkung der | |
inneren Pressefreiheit durch eine freiwillige Einführung von | |
Redakteursversammlungen, Redakteursräten und Redaktionsstatuten | |
ausgesprochen. In die jüngste Novelle des Landespressegesetzes konnte diese | |
Absicht aber noch nicht einfließen. | |
13 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
Michael Bartsch | |
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