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# taz.de -- Häusliche Gewalt in Russland: Horror hinter der Familienfassade
> 14.000 Frauen werden jedes Jahr von ihren Partnern umgebracht. Jetzt
> liegt ein Gesetzentwurf vor, der prügelnde Ehemänner bestraft.
Bild: Hochzeit in St. Petersburg. Noch scheint alles in Ordnung zu sein ...
MOSKAU taz | Valeria war Sängerin, Glamourgirl, Mutter dreier Kinder und
Ehefrau eines bekannten Produzenten. Ein Star, erfolgreich und finanziell
unabhängig. Niemand hätte geahnt, was sich hinter der Fassade verbirgt.
Jahre dauerte es, bis die Sängerin die Öffentlichkeit suchte und von
häuslicher Folter und einem sadistischen Ehemann berichtete.
Gewalt gegen Frauen war lange ein Tabuthema in Russland, das nicht in das
traditionalistische Selbstbildnis des Landes passte. Bis heute gibt es kein
Gesetz, das häusliche Gewalt unter Strafe stellt. Frauen, die sich an
Polizei und Justiz wenden, müssen damit rechnen, abgewiesen zu werden.
Denn für den gewöhnlichen Ordnungshüter galt lange ein anderes Regelwerk:
die mittelalterliche Hausordnung des „domostroi“, die dem Patriarchen
ausdrücklich nahelegte, zu züchtigen, wenn es Grund zur Unzufriedenheit
gebe. Schließlich werde eine Frau, die von ihrem Mann nicht geschlagen
werde, auch nicht geliebt, heißt es in einem Sprichwort.
Zwar wurden erste Versuche einer gesetzlichen Regelung schon in den 1990er
unternommen. Damals sei die Gesellschaft aber noch nicht reif dafür
gewesen, meint Marina Parker-Pisklakowa. Sie ist Leiterin der
Nichtregierungsorganisation ANNA, die sich seit 20 Jahren in Moskau um
Frauen kümmert, die Opfer familiärer Gewalt wurden. ANNA richtete 1993 auch
Russlands erste Hotline ein. Inzwischen liegt der Duma ein neuer
Gesetzentwurf vor, der erstmals Chancen hat, im Frühjahr auch verabschiedet
zu werden.
„In 20 Jahren hat sich viel getan“, meint Marina Parker-Pisklakowa. Noch
vor zehn Jahren hätte die Gesellschaft Gewalt gegen Frauen für kein
wichtiges Thema gehalten. Heute stelle die Notwendigkeit eines Gesetzes
kaum ein Politiker infrage.
## Antirussische Verschwörung
Es gibt jedoch noch Kräfte, die das Gesetz ablehnen. Das Onlineportal
„wsglad“ kommentierte den Entwurf: „Sind die verrückten Liberalen jetzt
dabei, ein westliches Modell einzuführen, um die Familie endgültig zu
zerstören?“ Sie sehen dahinter wieder eine antirussische Verschwörung. „Es
gibt immer noch genügend Menschen, die wollen, dass sich der Staat aus
familiären Angelegenheiten heraushält“, meint auch Ilmira Malikow von der
NGO Soprotiwlenie (Widerstand), die sich mit der Betreuung von Opfern
befasst.
Im Vergleich zu anderen postsowjetischen Staaten hinkt Russland bei der
Gewaltprophylaxe hinterher. In Litauen hat das Gesetz den Missbrauch durch
Ehepartner um 70 Prozent verringert. In Russland werden jährlich an die
14.000 Frauen von ihren Partnern umgebracht. Laut Amnesty International
sind es in Russland täglich 36 000 Frauen, die von ihren Männern verprügelt
werden. Nach einer UN-Studie sind fast 90 Prozent aller Frauen in Russland
häuslicher Gewalt ausgesetzt.
Das neue Gesetz will nicht nur Gewalt unter Strafe stellen, sondern auch
vorbeugend wirken. Der Entwurf berücksichtigt daher auch die finanziellen
Abhängigkeiten von Frauen und emotionale Kontrolle durch Partner. In einer
Umfrage 2008 meinten 73 Prozent, der Staat widme dem Gewaltproblem nicht
genügend Aufmerksamkeit. Heute meinen 87 Prozent, die Bedrohung durch
häusliche Gewalt werde staatlicherseits nicht ernst genug genommen. Nur
jedes dritte Opfer wendet sich auch an die Polizei. Zwei Drittel fürchten
nach wie vor Konsequenzen. Wo kommen sie im Konfliktfall unter, wenn sie
mit dem Partner zusammenleben und keine eigene Wohnung haben? Inzwischen
gibt es zwar Frauenhäuser. Die Plätze reichen aber nicht.
Soziologen ermittelten, dass 22 Prozent der Frauen in Russland einmal
vergewaltigt wurden, aber nur 8 Prozent die Vergewaltigung auch anzeigen.
2012 meldeten sich bei ANNA 7.000 Frauen, 30 Prozent räumten ein,
missbraucht worden zu sein. Marina Pisklakowa ist dennoch zuversichtlich.
„Ich weiß, dass ich nicht mehr für meine Generation arbeite.“ Ein Gesetz
sei jedoch erst dann sinnvoll, wenn es dem Bedürfnis der Gesellschaft
entspringe.
20 Mar 2013
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Frauen
Russland
Gewalt
Gesetz
Russland
Finanzen
häusliche Gewalt
häusliche Gewalt
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