# taz.de -- Eurokolumne: Europas pathologischer Lernprozess | |
> Bisher ist die Geschichte der Eurowährung die Geschichte ihrer | |
> dramatischen Rettung. Daran wird sich auch nach dem Kompromiss für Zypern | |
> nichts ändern. | |
Bild: Nach der Rettung ist vor der Rettung | |
Bisher ist die noch junge Geschichte der Eurowährung die Geschichte ihrer | |
immer dramatischer ausfallenden Rettung. Daran wird sich auch nach dem | |
Kompromiss für Zypern mit dem Ziel, den überdimensionierten Bankensektor | |
abzuschmelzen, nichts ändern. | |
Die Krisendynamik hat in den schweren Gründungsfehlern dieses Währungsraums | |
ihre Ursachen. Der Ende 1990 verhandelte Maastrichter Vertrag konzentrierte | |
sich ausschließlich auf die monetäre Integration mit dem Epizentrum | |
Europäische Zentralbank. Auf Regelungen zum parallelen Ausbau zu einer | |
Fiskal- und Wirtschaftsunion verzichtet dieses Vertragswerk komplett. | |
Den Fall, dass Länder vor allem unter dem Druck Deutschlands ökonomisch und | |
fiskalisch nicht mithalten können, schloss das Vertragswerk autoritär aus. | |
Wenn nicht sein kann, was nicht sein darf, dann sind auch solidarische | |
Hilfen der Gemeinschaft unzulässig. Dafür steht die berühmt-berüchtigte | |
No-Bail-out-Klausel. | |
Die Realität der ökonomischen Spaltung zwischen den Mitgliedsländern, auch | |
durch die aggressive Exportpolitik Deutschlands vorangetrieben, hat diese | |
Gründungsignoranz zu Fall gebracht. Unter dem massiven Druck setzte viel zu | |
spät ein Lernprozess ein. Die Schlagworte sind: Rettungspakete, | |
Europäischer Rettungsfonds, den Krisenländern verordnete | |
Austeritätsprogramme, aber auch der Schuldenschnitt in Griechenland, d. h. | |
eine Teilenteignung der Gläubiger. | |
Durch die nationalstaatlich orientierten Widerstände gegen den Ausbau zu | |
einer Haftungsunion und eine wachsende ökonomische und fiskalische | |
Vergemeinschaftung sind immer wieder Rückschläge vorprogrammiert. Die Logik | |
wird durch das Prinzip „nach der Rettung ist vor der Rettung“ bestimmt. | |
Diese Rettungsabfolge gilt auch für Zypern. Denn die | |
wirtschaftsstrukturellen Folgen für Zypern aber auch der erzeugte | |
Vertrauensverlust im Eurosystem sind vom Retterteam ignoriert worden. Mit | |
dem Zypern-Kompromiss ist eine neue, extrem gefährliche Etappe im | |
Lernprozess erreicht worden. Sicherlich sind durch die Wucht der Krise auf | |
dieser Bankeninsel auch mutige Tabubrüche erfolgt. Allerdings zeigt der | |
Lernprozess pathologische Züge. Die wichtigsten Elemente dieser jüngsten | |
Rettungsetappe sind: | |
Erstens: Ob der Rauswurf Zyperns aus dem Euroland zu einer Systemkrise | |
geführt hätte, ist umstritten. Gewiss ist jedoch, dass erst die Euroretter | |
durch ihren ursprünglichen Vorschlag, die Kleinanleger mit 6,75 Prozent zu | |
enteignen, das gesamte Eurosystem in eine tiefe Vertrauenskrise gestürzt | |
haben. | |
Die durch die EU gesicherte Garantie der Einlagen bis zu 100.000 Euro bei | |
Banken sollte erstmals im Dienste der Eurorettung ausgehebelt werden. Auch | |
Deutschland blieb von der Angst nicht verschont, Girokonten und | |
Spareinlagen seien nicht mehr innerhalb der Mindestgarantie sicher. | |
Zweitens: Erst die massiven Proteste nicht nur in Zypern haben die | |
Streichung der Zwangsabgabe für Kleinanleger erzwungen. Jetzt wird der | |
Bankensektor zerschlagen. Die Abwicklung der Laiki-Bankengruppe sowie die | |
teuere Rettung der Bank of Cyprus bindet Aktionäre, Gläubiger und vor allem | |
Einlageneigentümer ab 100.000 Euro in die Finanzierung ein. | |
Diese Teilprivatisierung der Krisenkosten geht in die richtige Richtung. So | |
bitter es für die dort Beschäftigten ist, das bisherige Geschäftsmodell der | |
Bankeninsel konnte nicht finanziert durch Rettungsmittel bestehen. | |
Schließlich beruht es auf viel zu hohen Zinszahlungen, massiven | |
Steuerersparnissen für ausländische Akteure und wohl auch Möglichkeiten der | |
Geldwäsche. | |
Die Lehre ist klar: Ein einheitlicher Währungsraum kann nicht mit einzelnen | |
Ländern, die sich als Steuerparadies anbieten, funktionieren. Die Politik | |
darf jedoch nicht bei Zypern stehen bleiben. Es ist ein Skandal, dass sich | |
Luxemburg immer noch durch Steuerdumping als Drehscheibe für international | |
agierende Investmentfonds und Holdinggesellschaften anbietet. In einem | |
ersten Schritt sollten Luxemburg und Österreich verpflichtet werden, die | |
Besteuerung von Kapitalerträgen nicht billig abzugelten, sondern wie in den | |
anderen EU-Ländern steuerlich voll zu erfassen. | |
Drittens: Erstmals in der Geschichte der EU werden | |
Kapitalverkehrskontrollen gegen Kapitalflucht eingeführt. Dabei schien der | |
Artikel 65 des heutigen EU-Vertrags (AEUV), der Kapitalverkehrskontrollen | |
„aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“ rechtfertigt, durch | |
die Ideologie der segensreichen Wirkungen freien Kapitalverkehrs verdrängt | |
worden zu sein. Kapitalverkehrskontrollen hätten schon beim ersten | |
Rettungsprogramm für Griechenland im Frühjahr 2010 eingesetzt werden | |
sollen. | |
Am Ende dieses Rettungsdramas steht fest: Zypern ist mit diesem | |
Bankenschnitt noch lange nicht über den Berg. Zügig muss dem Verlust von | |
Arbeitsplätzen in der Finanzindustrie durch den strukturellen Umbau der | |
Wirtschaft entgegengewirkt werden. | |
Darüber hinaus wird die gesamtwirtschaftliche Entwicklung belastet durch | |
die verlangte „Gegenleistung“, Staatsausgaben vor allem im Bereich Soziales | |
abzubauen und öffentliche Unternehmen zu privatisieren. Anstatt dieser | |
Schrumpfpolitik bedarf es gesamtwirtschaftlicher Maßnahmen auch gegen die | |
durch den Rettungsschock drohende tiefe Rezession. | |
29 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Hickel | |
Rudolf Hickel | |
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