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# taz.de -- Nordkoreanische Propaganda: Wir Linkskoreaner
> Ein Propagandavideo zeigt, wie Nordkorea die westliche Welt sieht. Das
> Ergebnis: Ungefähr so, wie viele Linke in aller Welt auch.
Bild: In Nordkorea weiß man, wie das gute, wahre Leben aussieht
Professionelle Lügner verfälschen die Realität und manipulieren unser
Denken. Wir werden abgelenkt, eingelullt, ruhiggestellt. Man bringt uns
dazu, ständig vor dem Fernseher zu sitzen, Klatschmagazine zu lesen und
große Mengen giftiger Nahrung zu essen. Wir geben uns jeder neuen Mode und
jedem neuen Trend hin. Und natürlich Shopping, immer wieder Shopping. All
das dient aber nur dazu, uns zu kontrollieren und zu betäuben, damit die
Herrschenden ungestört ihre Kriege führen und ihren imperialistischen
Interessen nachgehen können.
Nein, das stammt nicht aus einem Flugblatt der Ortsgruppe Hildesheim der
Linkspartei oder einiger paar versprengter Basisgrüner, es ist auch kein
Manifest, das unter Besuchern des Ökumenischen Kirchentages die Runde
macht. Weder tragen hier an der 9/11-Forschung geschulte
[1][Internetspinner] ihre Erkenntnisse zusammen, noch sind dies Zitate aus
einem im Nachlass von Stéphane Hessel gefundenen Text. Und
Leserbriefschreiber sind hier ebenfalls nicht am Werk.
All diese Erkenntnisse stammen vielmehr aus einem nordkoreanischen
Propagandafilm. Es ist kein Propagandafilm der üblichen Sorte, keine
kämpferischen Soldaten, fröhlichen Arbeiter und winkende Kims. Denn in
diesem Film geht es nicht um Nordkorea, jenes [2][geheimnisvolle Land],
über das Christopher Hitchens [3][einmal geschrieben hat], man habe dort
eine neue Spezies von Mensch erschaffen.
Ob dem wirklich so ist, kann niemand überprüfen. Dafür gewährt dieser Film
einen Einblick darin, wie die nordkoreanische Staatspropaganda die
westliche Welt sieht. Das erstaunliche Ergebnis: Etwa so wie ein guter Teil
der Linken in Deutschland und anderswo.
Der irgendwann zwischen 2009 und 2011 entstandene Film wurde von
[4][freiwilligen Helfern] erst ins Englische und dann ins Deutsche
übersetzt. Er kommt wie eine Mischung aus Videoclip und Dokumentation im
History Channel daher; Bilder von vorzugsweise amerikanischen Politikern
werden mit Kriegsbildern und Szenen aus der „Konsumwelt“
zusammengeschnitten und natürlich darf auch der Führer – nicht der
Geliebte, sonder der [5][Größte] – nicht fehlen, weil erst durch ihn eine
Condoleezza Rice ins rechte Licht gerückt wird. Die Sprache ist kein
spätstalinistischer Barock, es fehlt auch der hysterisch-schwülstige Ton,
in dem [6][nordkoreanische Nachrichtensprecherinnen] gelungene
Raketenstests vermelden.
## Borat und Chomsky
Wie es sich für eine ordentliche Doku gehört, kommt zwischendurch ein
Experte zu Wort, dessen Gesicht aber in der Bearbeitung verpixelt wurde –
offenbar damit dieser nordkoreanische Borat auch weiterhin unerkannt in
Südkorea auf Safari gehen kann. Dazu werden weitere Expertenzitate
eingestreut, von Noam Chomsky etwa.
Dem deutschen Synchronsprecher merkt man das Unbehagen an, wenn er
nordkoreanische Propagandafloskeln wie die vom „Geliebten Führer“
aussprechen muss. Er dürfte kein deutscher Anhänger der Juche-Ideologie
sein – die gibt es tatsächlich, zumindest im [7][Internet] –, kein Fan
Nordkoreas. Nur eben einer, der die kapitalistische Gesellschaft der
Gegenwart ungefähr genauso sieht wie die nordkoreanische Propaganda und
dies, wie er auf [8][Youtube schreibt], „bemerkenswert“ findet, freilich
ohne dabei etwas zu bemerken.
Wie also sehen sie aus, die tatsächlichen Zustände im Westen? Die
Propagandisten der Herrschenden haben uns durch ihre Lügen, durch Mode,
Musik, Technologie und Sex zu Konsumsklaven verwandelt, die härter und
härter arbeiten, um Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen. Drogensüchtige
Popstars wie Elvis Presley gehören ebenso zu ihren Machtinstrumenten wie
Sneakers und iPhones.
Demokratie ist eine so genannte, Freiheit ebenso. 68 war gut, wurde von den
Protagonisten des Establishments kanalisiert und befriedet. Das
unkontrollierte Streben nach Profit hat zu enormem menschlichen Leid und zu
großer Umweltverschmutzung geführt. Amerika ist schlimm, aber nicht der
einzige Täter. Imperialismus steckt auch in den Briten, Franzosen und
Japanern sowie in der Weltbank und dem IWF – aber gottlob nicht in den
Deutschen. Das klingt nicht bizarr, sondern vertraut.
Und spätestens, als im vierten Teil die Gründung des Staates Israel
geschildert wird, ein „bösartiges wie unnötiges“ Unterfangen, das die
britischen Imperialisten gemeinsam mit den „Rothschild-Zionisten“
ausgeheckt haben, um die arabische Bevölkerung zu kolonialisieren, als –
natürlich nicht ohne jüdische Kronzeugen – in Wort und Bild nahegelegt
wird, die Israelis seien die Wiedergänger der Nazis und als schließlich
erläutert wird, wie Israel den Holocaust dazu ausnutzt, um Kritik an seiner
Politik als antisemitisch abzuschmettern, spätestens dann also fragt man
sich: Warum nur bleibt die Linke in aller Welt so teilnahmslos angesichts
der [9][imperialistischen Bedrohung], der die Genossinnen und Genossen im
friedliebenden Nordkorea ausgesetzt sind? [10][Herr Augstein], übernehmen
Sie!
***
Nachtrag: Einige Leser sowie der [11][„Bild-Blog“] behaupten nun, mir sei
ein Fehler unterlaufen. Der Film „Propaganda“ sei in Wirklichkeit kein
nordkoreanischer Propagandafilm, sondern [12][ein Film des neuseeländischen
Regisseurs] Slavko Martinov über Propaganda.
Das ist richtig. Und doch nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist die
Erzählperspektive als nordkoreanischer Dokumentarfilm, der in einer
Umkehrung des Wortes vom „Schurkenstaat“ die westliche Welt als Ansammlung
von Schurkenstaaten dämonisiert, fiktiv.
Aber der entscheidende Punkt ist: Was hier dargestellt wird, ist die
nordkoreanische Sicht auf die westliche Welt. Man vergleiche beispielsweise
die Einlassungen des Films über den Staat Israel mit den [13][Tiraden der
staatlichen Nachrichtenagentur KCNA]. Und man vergleiche beides mit dem
Zuspruch, auf den diese propagandistisch verzerrte Sicht in den Kommentaren
bei [14][Youtube] oder auch bei [15][taz.de] trifft. Das Ergebnis ist ein
Maß an Übereinstimmung, das auch im Text beschrieben wird.
[16][Regisseur Martinov sagt], dass er seinen Film als nordkoreanischen
Propagandafilm ausgegeben habe, damit der Fake nicht sofort als solcher
erkennbar wird. Ob er nur die Funktionsweise von Propaganda darstellen
wollte oder sich eine – unter Linken, aber ebenso unter Rechten und
religiösen Fundamentalisten – verbreitete Kritik an der kapitalistischen
Konsumgesellschaft wenigstens teilweise zueigen macht, ist weniger
interessant. Viel interessanter ist, dass der Film durch diesen Trick eben
nicht als fiktive Dokumention zu erkennen ist.
Einen Text über einen fiktiven Film zu schreiben und diesen als fiktiv
auszuweisen, wäre eine gewöhnliche Besprechung. Aber wenn man einen solchen
Film so authentisch darstellt, wie er sich selber gibt, eine gefakte
Rezension über eine gefakte Dokumentaion, wird daraus ein soziales
Experiment: In den Raum wird die Behauptung gestellt, dass das Denken
vieler Linker nicht so weit entfernt ist von der Propaganda einer
völkisch-stalinistischen Diktatur wie Nordkorea. Die Überprüfung dieser
Behauptung findet in der Realität statt.
Googeln, liebe [17][Erbsenzähler] vom „Bildblog“, kann ich genauso gut wie
ihr. Deniz Yücel
5 Apr 2013
## LINKS
[1] http://juergenelsaesser.wordpress.com/2013/03/23/turkische-gewalt-gangs-war…
[2] http://www.titanic-magazin.de/uploads/pics/card_2023304888.jpg
[3] http://www.slate.com/articles/news_and_politics/fighting_words/2010/02/a_na…
[4] http://www.youtube.com/watch?v=6NMr2VrhmFI&feature=plcp
[5] /!105167/
[6] http://www.youtube.com/watch?v=h7N5HJso9e8
[7] http://www.nordkorea-info.de/landesinfo/politik/juche-ideologie
[8] http://www.youtube.com/watch?v=PZ3OJWLWxDQ
[9] /!113966/
[10] /!109018/
[11] http://www.bildblog.de/48096/das-kommt-ihm-nordkoreanisch-vor/
[12] http://propagandafilm.net/Propaganda/?page_id=4
[13] http://www.kcna.co.jp/item/2004/200404/news04/21.htm
[14] http://www.youtube.com/all_comments?v=PZ3OJWLWxDQ
[15] /!c114030/
[16] http://www.youtube.com/watch?v=SVwPs-3nlYc
[17] http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/niggemeier_co_die_lau…
## AUTOREN
Deniz Yücel
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