# taz.de -- Bürgernähe bei der CDU: Die Schwarzwald-Connection | |
> Branntweinhändler erfahren durch einen Brief von Finanzminister Wolfgang | |
> Schäuble, dass ein Ermittlungsverfahren gegen sie läuft. Kriminologen | |
> sind entsetzt. | |
Bild: Hach, der Schwarzwald. Hier reden die Leute noch miteinander. | |
BERLIN taz | Der normale Bürger, er schaut voll Erstaunen auf einen Vorgang | |
in Baden-Württemberg. Denn dort setzten sich Spitzenpolitiker der CDU für | |
einen angesehenen Weinhändler ein, gegen den der dortige Zoll unter anderem | |
wegen eines Steuerdelikts ermittelte. | |
Begonnen hatten die Ermittlungen im Dezember 2009. Eifrigen Zollfahndern | |
fiel der Handel mit unversteuertem reinem Alkohol auf. Das führte zu einem | |
aufwendigen Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit zigtausend Litern | |
schwarzgebranntem reinem Alkohol, die einem zu versteuernden Betrag von | |
mindestens 5 Millionen Euro entsprechen. Das Ermittlungsverfahren läuft | |
noch immer. | |
Ermittelt wird gegen eine Gruppe von Branntweinhändlern aus dem lauschigen | |
Schwarzwald. Einer der Betroffenen fühlte sich jedoch zu Unrecht vom Zoll | |
behelligt, wie sein Anwalt schrieb. Sein Mandant würde „von Zollbeamten | |
geringschätzig behandelt und abgekanzelt, wie ein Hehler behandelt“. Der | |
Grund dafür war, dass bei ihm im Dezember 2009 eine Wagenladung Branntwein | |
im Wert von rund 55.000 Euro beschlagnahmt wurde. | |
Sein Rechtsanwalt schrieb daraufhin am 23. Februar 2010 an den Weinhändler | |
unter anderem: „Derweil sollten Sie sich überlegen, mit Ihrem Anliegen bei | |
Ihrem Wahlkreisabgeordneten vorzusprechen. Oberster Dienstherr des | |
Hauptzollamtes ist der Bundesfinanzminister Schäuble. [ …] Ein persönlicher | |
Kontakt über die politische Schiene kann oftmals mehr bewirken als ein | |
Rechtsweg.“ Und er schrieb weiter: „Zudem kann es nicht schaden, wenn Sie | |
sich schriftlich an das Bundesfinanzministerium wenden und sich dann über | |
das Hauptzollamt beschweren […], dann erkennt er nämlich, dass der Vorgang | |
nicht im stillen Kämmerlein vor sich hin schmoren kann.“ | |
## Die Bitte des Weinhändlers | |
Der Weinhändler nahm sich den Vorschlag zu Herzen und sprach seinen | |
zuständigen Abgeordneten in seinem Wahlkreis an. Es war kein Geringerer als | |
Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Im | |
Frühjahr 2010 wurde er übrigens zum „Bierbotschafter Deutschlands“ gekür… | |
2008 hatte er den Vorschlag der Bundesdrogenbeauftragten Sabine Bätzing, | |
zur Alkoholsuchtprävention höhere Steuern auf Bier und Wein zu erheben, | |
rüde abgelehnt. Denn mit Steuerpolitik könne man keine Prävention für | |
Jugendliche machen, diese würden dann „auf noch billigeren Fusel“ | |
ausweichen“, argumentierte er. | |
Nun nahm Kauder die Sorgen des in seinem Wahlkreis einflussreichen | |
Weinhändlers ernst. Statt dem Unternehmer zu sagen, dass er sich in ein | |
laufendes Verfahren nicht einmischen darf, damit der Eindruck der | |
politischen Einflussnahme auf Ermittlungen gar nicht erst entstehen kann, | |
schrieb Volker Kauder zwei Tage nach dem Gespräch direkt an seinen | |
Parteifreund Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (Wahlkreis Offenburg) | |
und bat ihn um Aufklärung des Vorgangs. | |
Schäuble ist der Chef der obersten Bundesbehörde der Zollverwaltung. Den | |
kurzen Weg einer Beschwerde vom CDU-Fraktionsvorsitzenden zum | |
Bundesfinanzminister – das nennt man Bürgernähe. Für die Unterstützung | |
durch Kauder bedankte sich der Steuerberater des Unternehmers per E-Mail am | |
8. April 2010. „Ich möchte mich nochmals auf unseren Besprechungstermin in | |
Ihrem Büro in Tuttlingen beziehen und mich für Ihr Engagement bedanken.“ | |
Sein Mandant, der von Zollfahndern so belästigt wurde, habe sich „sehr | |
darüber gefreut, dass Sie die Unterlagen so schnell an die entsprechenden | |
Stellen im Bundesfinanzministerium weitergeleitet haben und dass sich Ihr | |
Mitarbeiter H. umgehend mit meinem Mandanten in Verbindung gesetzt hat […] | |
Nun möchte ich mich im Auftrag [meines Mandanten] nochmals bei Ihnen | |
melden, mit der Bitte, mir Ihren aktuellen Kenntnisstand in der Sache | |
mitzuteilen.“ Denn für seinen Mandanten „wäre eine rasche Klärung der Sa… | |
nach wie vor sehr wichtig“. | |
Nun passierte nicht das, was eigentlich angesagt gewesen wäre, dass | |
zumindest Finanzminister Schäuble seinem Parteifreund Kauder erklärt, dass | |
er sich in ein laufendes Verfahren nicht einschalten kann und darf. Nein, | |
er ließ sich bei seinen ihm unterstellten Finanzbehörden über das Verfahren | |
informieren. Damit war schon einmal sichergestellt, dass auch die Ermittler | |
vor Ort wussten, dass höchste Vorsicht bei den Ermittlungen angesagt war, | |
wenn sich schon ihr oberster Dienstherr um den Vorgang persönlich bemühte. | |
## „Sehr geehrte Kollegen, lieber Volker“ | |
Jetzt ging alles sehr schnell: Am 15. April 2010 antwortete Wolfgang | |
Schäuble – auf dem offiziellem Briefbogen als Bundesminister der Finanzen – | |
seinem CDU-Kollegen Volker Kauder. Der Eingangsstempel des Briefs im Büro | |
des CDU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder trägt das Datum 20. April 2010. | |
In dem Brief an den „Sehr geehrten Kollegen, lieber Volker“, schreibt | |
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: „Nach den bisherigen Erkenntnissen | |
wurde der Branntwein gegenüber dem Betroffenen rechtmäßig sichergestellt. | |
[…] Da die staatsanwaltlichen Ermittlungen in der Angelegenheit noch | |
andauern, liegt meinem Haus ein abschließendes Ergebnis des Verfahrens noch | |
nicht vor. Dein Wolfgang“ | |
Zwei Tage später, am 22. April 2010, schrieb Volker Kauder an den | |
Bittsteller aus dem Schwarzwald zurück: „In meiner Bürgersprechstunde | |
hatten Sie mich um Unterstützung gebeten. Ich habe daraufhin den | |
Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble um Aufklärung gebeten. Sein | |
Antwortschreiben liegt mir nun vor, und ich möchte Ihnen gerne anbei eine | |
Kopie zukommen lassen.“ | |
Jetzt wusste der Empfänger des Schreibens, dass gegen ihn ein | |
staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren lief, was ihm zuvor nicht bekannt | |
war. „In dem Brief vom Bundesfinanzminister Herrn Schäuble an Herrn Kauder | |
haben wir erfahren, dass unsere Sicherstellung jetzt bei der | |
Staatsanwaltschaft liegt. Das war uns bisher nicht bekannt“, schrieb der | |
Händler seinem Anwalt. | |
Dieser Umstand löste bei den Ermittlern in Baden-Württemberg großes | |
Entsetzen aus. „Spätere Durchsuchungen bei ihm führten daher ins Leere“, | |
klagte ein Fahnder. Immerhin stießen sie noch auf den Schriftverkehr | |
zwischen Kauder und Schäuble. | |
Uwe Dolata, Würzburger Wirtschaftskriminologe und Korruptionsexperte des | |
Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK), bewertete die Schreiben des | |
CDU-Fraktionsvorsitzenden Kauder und des CDU-Finanzministers Schäuble | |
folgendermaßen: „Die Gewaltenteilung der Bundesrepublik Deutschland sieht | |
vor, dass an laufenden Ermittlungsverfahren Polizei respektive eine | |
anderweitige Ermittlungsbehörde, Staatsanwaltschaft und Gericht beteiligt | |
sind. Jegliche Einmischung der Politik verbietet sich deshalb von selbst. | |
So ist dieses Vorgehen des ’Kümmerns' unter Lobbyismus einzuordnen und mit | |
unserer Verfassung nicht vereinbar.“ | |
## Inakzeptable Betätigung | |
Für ihn, so der Kriminologe weiter, dränge sich der Eindruck auf, dass es | |
„seitens der sich mittels Nachfragen einmischender Politiker Interessen | |
gegeben haben muss, die Ermittlungen zu beeinflussen. Der weitergehende | |
Eindruck, dass letztendlich ein Minister der Regierung im Interesse einer | |
Person tätig wurde, wäre einem objektiven Verfahrensausgang und | |
unabhängigen Ermittlungen nicht förderlich – somit inakzeptabel.“ | |
Diese Meinung teilten 35 Kriminalbeamte aus Deutschland, Österreich und der | |
Schweiz, denen im Dezember 2012 anlässlich eines Seminars der International | |
Police Association (IPA) über organisierte Kriminalität im Gimborn der | |
Briefwechsel vorgetragen wurde. Sie nannten das Vorgehen von Kauder und | |
Schäuble einen Skandal, weil damit Druck auf die Ermittler ausgeübt worden | |
sei. Außerdem seien Dienstgeheimnisse verraten und Ermittlungen behindert | |
worden. Den ganzen Vorgang müsste eigentlich die Staatsanwaltschaft | |
überprüfen. | |
Einer der Kripobeamten sagte: „Wenn ich von einem solchen Vorgang wüsste, | |
würde ich mich als Ermittler wie ein Terrier in den Vorgang verbeißen. Denn | |
eine solche Einflussnahme auf laufende Ermittlungen geht überhaupt nicht.“ | |
Daraufhin erwiderte ihm ein Kollege: „Das machst du nur, wenn du keine | |
Karriere mehr machen willst.“ | |
Für den renommierten Frankfurter Strafverteidiger Armin Golzem hat dieser | |
Vorgang ein „Gschmäckle“ und riecht nach Begünstigung. „Denn ein | |
Bundesfinanzminister hat sich als Amtsperson nicht um solche privaten | |
Vorgänge zu kümmern.“ Für die Fahnder bedeutete es jedenfalls, dass von | |
oben Druck ausgeübt wurde, um das „laufende Verfahren ruhigzustellen“, wie | |
der Fachausdruck für „Vorsicht bei den Ermittlungen“ lautet, abgesehen | |
davon, dass dadurch die Ermittlungen behindert wurden. Denn nach ihren | |
damaligen Erkenntnissen ist das, was im Schwarzwald mit nicht versteuertem | |
Branntwein läuft, organisierte Kriminalität. Und dann noch die politische | |
Einflussnahme auf die Ermittlungen – es ist ein starkes Stück deutscher | |
Realität. | |
Diese und ähnliche Geschichten hat Jürgen Roth für sein neues Buch | |
„Spinnennetz der Macht – Wie die politische und wirtschaftliche Elite unser | |
Land zerstört“ recherchiert. Es ist gerade bei Econ erschienen und kostet | |
19,99 Euro | |
5 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Roth | |
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