# taz.de -- Debatte Nordkorea: Ein Anruf von Obama | |
> Kim Jong Un ist nicht der Irre von Pjöngjang. Er setzt auf eine | |
> Legitimierung seiner Herrschaft durch Verhandlungen mit den USA. | |
Bild: Völlig außer Rand und Band: Staatsdelegierte feiern den 101. Geburtstag… | |
Wieder einmal können viele Medien der Versuchung nicht widerstehen, den | |
Führer von Nordkorea als Irren zu porträtieren. Dabei wird übersehen, dass | |
die Kim-Familie ihr Land schon in der dritten Generation und seit fast 65 | |
Jahren im eisernen Griff hält. So etwas gelingt nur mit viel rationalem | |
Machtwillen. | |
Auch die jetzige Koreakrise entspringt keiner Laune. Jeder Schritt wirkt | |
wohlkalkuliert und wird sorgfältig mit „feindseligen“ Handlungen der USA | |
und ihrer Verbündeten Südkorea und Japan gerechtfertigt. Die UN-Sanktionen | |
erklärt sich Pjöngjang ebenfalls als Machenschaft der USA, zumal | |
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ein Südkoreaner ist. | |
Trotz Kriegsrhetorik gibt es bisher keine Indizien für | |
Angriffsvorbereitungen. Eigene Manöver finden fernab der feindlichen | |
Truppen statt. Die 1,2 Millionen Soldaten bleiben in den Kasernen. | |
Diese Diskrepanz spricht dafür, dass es Kim Jong Un um eine Demonstration | |
der Stärke nach außen und innen geht. Im Umkehrschluss heißt dies: Der neue | |
Führer sitzt immer noch nicht fest im Sattel. Aus seiner Sicht wollen die | |
USA mit ihrer Aufrüstungs- und Sanktionspolitik einen Regimewechsel | |
erzwingen. Zugleich muss er befürchten, dass ihm die Nomenklatura und das | |
Generalskorps wegen seiner Unerfahrenheit nicht folgen. Und trotz | |
Dauerfeuer der Propaganda muss er auch das einfache Volk von seiner | |
Legitimität als Machthaber überzeugen. Auf alle drei Herausforderungen hat | |
Kim eine Antwort gefunden – die Atombombe. | |
## Die Atombombe als Antwort | |
Nach außen garantiert der Besitz von Atomwaffen und Trägerraketen die | |
Souveränität von Nordkorea. Ein Nuklearstaat habe noch nie eine | |
militärische Aggression erlitten, sagte Kim Ende März vor dem | |
Zentralkomitee der Arbeiterpartei. Anders formuliert: Nur aus Angst vor | |
einem nuklearen Gegenschlag schicken die USA Kim Jong Un keinen | |
Marschflugkörper in seinen Amtssitz. Kim verwies in seiner Rede indirekt | |
auf das Schicksal von Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi, die mangels | |
Atomwaffen ihre Macht verloren. Daher brauche Nordkorea „mehr Trägerwaffen“ | |
mit „kleineren und präziseren“ Atomwaffen. | |
Nach innen dient die Konzentration auf Atomwaffen als Ersatz für | |
konventionelle Rüstung. Das soll Mittel für den Wirtschaftsumbau | |
freisetzen. Dafür hat die Arbeiterpartei sogar die Parole „Fortschritt im | |
Tandem“ (Byungjin) ausgegeben. Geplant sind mehr Freiheiten für | |
Staatsbetriebe, eine Steigerung der Agrarproduktion und eine | |
leistungsabhängige Bezahlung. Als neuer Regierungschef wurde Park Pong Ju | |
zurückgeholt, der schon vor zehn Jahren ähnliche Veränderungen probiert | |
hatte. | |
Macht abgeben will der Führer aber nicht. Privateigentum wie in China soll | |
es nicht geben. Stattdessen will er – wie schon sein Vater – die Wirtschaft | |
mit „Wissenschaft und Technologie“ modernisieren. Zugleich sichert sich Kim | |
mit der Forcierung der Atombewaffnung die Loyalität der Generäle, die an | |
wirtschaftlichem Einfluss verlieren sollen. | |
## Papiertiger Kim | |
Doch diese Strategie hat Kim und seine Hintermänner – vor allem seinen | |
Onkel Jang Song Taek und den faktischen Armeechef Choe Ryong Hae – in eine | |
Sackgasse geführt. Nicht nur die USA, auch China und Russland wollen | |
Nordkorea nicht als Atommacht anerkennen, vor allem aus Sorge vor einem | |
nuklearen Wettrüsten in der Region. | |
Auch Südkorea spielt nicht mit. Seoul will neuerdings jede Provokation | |
militärisch beantworten, ohne die politischen Folgen zu beachten. Damit | |
wächst die Gefahr einer bewaffneten Konfrontation, die Kim als Papiertiger | |
entlarven würde. Einen Krieg kann er nicht gewinnen, die Mittel für einen | |
Atomschlag hat er auch nicht. | |
Zwei Szenarien sind nun denkbar: Die USA erhöhen ihren Druck auf Pjöngjang, | |
um einen Kollaps des Regimes zu erzwingen. Die extreme Kriegsrhetorik des | |
jungen Kim liefert dem US-Militär den perfekten Vorwand, um den Störenfried | |
in Ostasien endlich zu beseitigen und die US-Polizistenrolle in Ostasien zu | |
festigen. Die Angriffspläne liegen im Pentagon schon lange in der | |
Schublade. War es Absicht oder Ignoranz, dass die USA kürzlich zwei | |
Atombomber sichtbar über Korea fliegen ließen? Mit dieser Taktik hatte | |
schon General Douglas MacArthur im Koreakrieg die Zivilbevölkerung | |
terrorisiert, die nach Hiroshima und Nagasaki einen weiteren Atomschlag | |
fürchten musste. | |
## Frieden als Destabilisierung | |
Kalkulierbarer wäre es, einen Gesprächskanal mit Pjöngjang zu suchen, etwa | |
über Peking. Wie sein Vater und Großvater wünscht sich Kim Jong Un direkte | |
Gespräche mit den USA. Auch China verlangt hinter den Kulissen bilaterale | |
Verhandlungen. Eine Sicherheitsgarantie der USA wäre ein Anfang. Beide | |
Seiten könnten über die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen verhandeln. | |
Das war schon das mittelfristige Ziel von Staatsgründer Kim Il Sung, als er | |
1993/94 das erste Atomgeschäft mit den USA aushandelte. Kim Jong Il rollte | |
im Jahr 2000 den roten Teppich für US-Außenministerin Madeleine Albright | |
aus. Im Februar vertraute Kim Jong Un dem US-Basketball-Star Dennis Rodman | |
an, er wünsche sich nichts mehr als einen Anruf von Barack Obama. | |
Der heutige Führer und seine Hintermänner werden daher wohl so lange an der | |
Eskalationsspirale drehen, bis sich die Krise wie vor zwei Jahrzehnten so | |
zuspitzt, dass direkte Gespräche notwendig werden, um einen Krieg | |
abzuwenden. Das Drehbuch liefert die Krise von 1993/94. Käme ein ähnlich | |
hochrangiger US-Vermittler wie 1994, als Jimmy Carter nach Pjöngjang flog, | |
stünde der 30-jährige Kim Jong Un so staatsmännisch und souverän da wie | |
sein Großvater. Als Herrscher wäre er im Inneren gestärkt und legitimiert. | |
Bisher wollen ihm die USA einen solchen Triumph nicht gönnen. | |
Verglichen mit den menschlichen und ökonomischen Kosten eines zweiten | |
Koreakrieges wäre dies aber das kleinere Übel. Ohne Feindbild könnte die | |
Propaganda Armut und Mangel nicht mehr so leicht als Folge von Blockade und | |
Sanktionen durch die USA erklären, und es gäbe weniger patriotische | |
Solidarität mit der politischen Führung. Wer das Regime von Kim Jong Un | |
ohne Krieg destabilisieren will, sollte Frieden mit Nordkorea schließen. | |
15 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
Martin Fritz | |
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