# taz.de -- Digitales Lernen: Mobile Erlösung gesucht | |
> Berlin, Hamburg, Frankfurt – überall wird konferiert, um das mobile | |
> Lernen zu feiern. Wo bleibt der Praxistest mit Lehrern? Und was ist | |
> digitale Didaktik? | |
Bild: Lernen am iPad? Ja, sicher, aber noch ohne Konzept. | |
Ja, was denn nun? Ist das digitale Lernen mit Tablets, Wikis, Blogs, Apps | |
etc. pp. nun die Zukunft? Oder ist es die weitere Verdünnung und | |
Verflüssigung der didaktischen und kognitiven Substanz des Lernens? | |
Man weiß es nicht. In Hamburg ging es gerade wieder 1:1 aus. Auf dem 11. | |
[1][EduCamp in Hamburg], der größten selbst organisierten Un-Konferenz der | |
pädagogischen digitalen Intelligenz bisher, trafen sich 200 Cracks – und | |
Dilettanten. | |
Der Lehrer Thorsten Groß, so berichtete er dort in einer Session, trug das | |
Format BarCamp ins Gymnasium. Informelles Lernen goes superregulierte | |
Anstalt, intrinsisches Arbeiten erobert äußerliche Lehrplanbefolgung. Die | |
Schüler bauten bei Groß, unter anderem, mit dem [2][Programm MineCraft] ihr | |
Gymnasium virtuell nach, als 3-D-Modell. | |
Bei einem GamesCamp an der Schule. Und beantworteten bei einem späteren | |
AbiCamp Anfang 2013 jegliche Fragen künftiger Oberstufler. „Alle Kollegen, | |
die bei dem BarCamp mitgemacht haben, waren begeistert. Die anderen | |
verstanden oft noch nicht, worum es geht.“ Ein Highlight in der Schule – | |
und zugleich eine gelungene Session beim Hamburger EduCamp. | |
## Minecraft-Schule in 3-D | |
Aber es gab eben auch das in Hamburg. Eine Sitzung zur Gretchenfrage der | |
Didaktik: Wie können iPads, Wikis, Blogs und so weiter die Eroberung der | |
Lerngegenstände vereinfachen? Kurz: didaktische Modelle für digitale | |
Medien. In der stinknormalen Schule sind die Fachdidaktiker so etwas wie | |
die revolutionären Garden der Zitadelle Gymnasium. Wer das Lernen verändern | |
will, muss da also ran. In der EduCamp-Session kein Wort davon. In einer | |
Einführungsrunde versprachen sich alle Teilgeber, wie man die Insassen | |
einer BarCamp-Session nennt, wie sehr sie daran interessiert seien, | |
didaktische Kniffe mal ganz konkret kennen zu lernen. | |
Und das war’s dann auch. | |
Keiner, niemand konnte ein konkretes Unterrichtsbeispiel aus einer Schule | |
und/oder einem Fach berichten, wo ein App, ein Gerät oder eine Plattform | |
das Lernen irgendwie verbessert hätten. Schmerzlich wurden die Lehrer | |
Torsten Larbig aus Frankfurt oder der Kölner André Spang vermisst, die an | |
ihren Gymnasien mit allerlei digitalem Schnickschnack das Lernen von morgen | |
bereits praktizieren. | |
„Ich setze die Tablets ganz gezielt ein, die Schüler müssen bei mir ein | |
Blog führen!“, behauptete hingegen in Hamburg eine Lehrerin. Und in welchem | |
Fach? „In Informatik“. Mehr war nicht – und das in der für die | |
Breitenwirkung vielleicht wichtigsten Session am Wochenende, der zu | |
Didaktik. Nicht einmal der Begriff Didaktik ließ sich klären. Stattdessen | |
wurde plötzlich der „postheroische Unterricht“ (nach David Klett) | |
beschworen. | |
## Nur noch digitale Schulbücher | |
Die Bildungsrepublik ist nervös, das neue Lernen steht irgendwie vor der | |
Tür. Vielleicht. Korea wird in zwei Jahren nur noch digitale Schulbücher | |
haben. Jeder koreanische Schüler dort soll bis 2015 Besitzer eines | |
kostenloses Tablets werden. Sogar die Türkei hat die kleinen, flachen | |
Wunderdinger ausgeschrieben. In Deutschland aber ruht der See still. Die | |
föderale Bildungspolitik ist viel zu dement, um auch nur darüber | |
nachzudenken, ob man darüber nachdenken sollte, ob man Schulen | |
digitalisieren könnte. | |
Immerhin: Allenthalben treffen sich Initiativen und Gruppen, um das neue | |
Lernen zu sondieren. Autodidakten und Einzelkönner aus Schulen, Pfadfinder | |
der Industrie und Nerdcrowds wie das [3][Co:llaboratory Lab]. Nicht nur in | |
Hamburg. Am Montag tagte in Berlin die Konrad-Adenauer-Stiftung zu Jugend | |
und Medien. Am Dienstag luden Zeit und Telekom-Stiftung zur | |
Bildungskonferenz 2013. Der Ablauf beider Tagungen war typisch: Bei der | |
Adenauer-Stiftung redeten dreieinhalb Stunden lang nur Experten und | |
Erwachsene über den jungen Medienkonsum, erst dann durften drei | |
Vorzeigejugendliche ran – für 20 Minuten. | |
Bei Zeit und Telekom wurden Von-Angesicht-zu-Angesicht-Befragungen von | |
Allensbach unter 507 Lehrern und 614 Schülern vorgestellt. Die Ergebnisse | |
offenbarten die digitale Spaltung: Nur 18 Prozent der Lehrer „nutzen im | |
Unterricht häufig digitale Medien“ – der Rest nur ab und zu bis nie. Und | |
die Spaltung ist eine doppelte. Sie trennt Lehrer und Schüler, die sich | |
besser mit Internet und Computer auskennen als Pädagogen. Und sie trennt | |
Gymnasien vom Rest der Schulwelt, weil der Computereinsatz an Gymnasien | |
viel verbreiteter ist. Laut Allensbach geben 47 Prozent der Lehrer an, dass | |
sie „alles in allem einen ganz guten Überblick über die Möglichkeiten der | |
digitalen Medien in der Unterrichtsgestaltung haben“. | |
Als dieses Ergebnis über den Nachrichtendienst Twitter verbreitet wurde, | |
kam es spontan zu Unmutsbekundungen von Lehrerbloggern – diese Zahl sei in | |
Wahrheit niemals so groß. Allensbach förderte zutage, dass die Skepsis der | |
Lehrer gegenüber digitalen Medien groß ist: Die Hälfte denkt, dass Schüler | |
selbst im Unterricht etwas anderes auf dem Bildschirm machen, als zu | |
lernen; gar zwei Drittel meinen, dass Schüler dächten, sie müssten nicht | |
mehr selbst lernen. Was man daran sieht ist: Otto Normallehrer tangieren | |
digitale Medien und Nerd-Treffen kaum. | |
## Virtuelles Feedback | |
Dabei gibt es bereits Beispiele, wo das mobile Lernen in der Realität | |
erkennbar wird – und sich als Gewinn erweist. In Hamburg präsentierte eine | |
Berufsschullehrerin der Elly-Heuss-Knapp-Schule Neumünster einen | |
Blended-learning-Ansatz, einen Verschnitt von virtuellem und realem Lernen, | |
der auf seine Art ausgefeilt ist. Friederike Pelz bildet Fachkräfte für | |
Pflegeassistenz aus, sie will nicht, dass ihre Schüler „sich im Altenheim | |
falsche Handgriffe angewöhnen, die für die Patienten schmerzhaft sind“. | |
Deswegen schätzt sie „das direkte und schnelle Feedback über die virtuellen | |
Instrumente“. | |
Das Format EduCamp war bisher viel schneller und innovativer als etwa die | |
Zeit-Konferenzen. Weil es viel Know-how zusammenbringt und immer die | |
experimentellsten Formate probiert. Aber trotz der großen Zahl an Leuten in | |
Hamburg zeigte sich so etwas wie eine Entfremdung. Zwischen den superklugen | |
Bloggern wie [4][Guido Brombach] oder [5][Jöran Muuß-Merholz], die Apps | |
konstruieren und diffizile didaktische Fragen aufwerfen | |
(„Anti-Copy-Paste-Aufgaben“) auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite | |
jenen, die wieder zu ganz normalen Teilnehmern werden. Allzu oft sah man in | |
Hamburg simple Frontalveranstaltungen – oder Laberrunden mit Non-Themen wie | |
„Lernen gestern – heute – morgen“. | |
Eine anderen Weg geht ausdrücklich in Frankfurt Ende nächster Woche die | |
Bundesarbeitsgemeinschaft Freier Alternativschulen. Sie will | |
„selbstbestimmtes Lernen in der digitalen Gesellschaft“ diskutieren – | |
ausdrücklich mit ihrer Lehrerklientel, die den nicht mehr ganz so neuen | |
Medien sehr kritisch gegenübersteht. Die Tagung ist übrigens für | |
jedermensch offen – auch für Nerds. | |
17 Apr 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://educamp.mixxt.de/ | |
[2] http://minecraft.net | |
[3] http://www.collaboratory.de/w/Hauptseite | |
[4] http://www.dotcomblog.de/ | |
[5] http://www.joeran.de/ | |
## AUTOREN | |
Christian Füller | |
## TAGS | |
Lernen | |
iPad | |
Blog | |
UN-Konferenz | |
Schule | |
Waldorfschule | |
Spiele | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Digitale Schulzeit: Das Ende der Kreidezeit | |
Können Bremens Schulen mit dem digitalen Wandel Schritt halten? Neben | |
pädagogischer Kompetenz und technischer Investition drängen auch soziale | |
Fragen. | |
Erste staatliche Waldorfschule: Lernen mit den Schmuddelkindern | |
In Hamburg will sich die erste staatliche Waldorfschule gründen. Der | |
Gegenwind ist stark. Dabei taugt die Schule als Zukunftsmodell für das | |
Bildungswesen. | |
Wissenschaftsspiele für Zuhause: Das Entdecker-Abonnement | |
Die Ex-Phorms-Managerin Béa Beste schickt Familien monatlich eine Schachtel | |
mit Entdeckerspielen. Erbsen und Zahnstocher kommen an bei den Kindern. |