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# taz.de -- Bostons mutmaßliche Attentäter: Fastfood und Bomben
> Die mutmaßlichen Attentäter von Boston stammen aus dem Kaukasus. Einer
> liebte Hamburger und Luxuswagen. Der andere sammelte seltsame Videos.
Bild: Kommilitonen beschreiben den jüngeren (rechts) als kontaktfreudigen, gut…
WASHINGTON taz | „Wir hoffen, dass er überlebt“, sagt der Gouverneur von
Massachusetts, Deval Patrick, „wir haben eine Million Fragen an ihn“.
Dschochar Zarnajew liegt nach einer der spektakulärsten Menschenjagden in
der Geschichte der USA in demselben Bostoner Krankenhaus, das zahlreiche
Opfer des doppelten Bombenanschlags in der Zielgeraden des Marathons
betreut.
Der 19-Jährige hat mehrere Schussverletzungen. Er wird künstlich beatmet.
Aus dem Justizministerium in Washington verlautet, dass er wegen der
„öffentlichen Sicherheit“ eines Teils seiner Rechte beraubt werden soll:
Sobald er vernehmungsfähig ist, wird er ohne Rechtsbelehrung und
Rechtsbeistand verhört werden. Alle Aussagen können später gegen ihn
verwandt werden.
Auf den Straßen von Boston werden die Spezialeinheiten, die den 19-Jährigen
am Freitagabend verhafteten, als Helden gefeiert. „Danke, Polizei“ steht
auf schnell geschriebenen Schildern. Menschen skandieren „USA, USA“. Und
klatschen. Von „Sieg“ ist die Rede.
Bei Anwälten und Menschenrechtsgruppen bricht dagegen Sorge aus, als sie
die Ankündigung von Mitarbeitern des Justizministeriums hören. Die
„Miranda“ genannten Verteidigungsrechte sind Grundrecht für jeden
Inhaftierten. Sie werden in den USA sonst nur Gefangenen des
Internierungslagers Guantánamo verweigert.
## Noch nie in Tschetschenien
Diese sind Ausländer und gelten als „feindliche Kämpfer“. Der 19-jährige
Dschochar Zarnajew hat aber, seit er acht Jahre alt ist, legal in den USA
gelebt und ist seit dem vergangenen Jahr US-Staatsangehöriger. In
Tschetschenien, woher seine Vorfahren stammen, ist er nach dem
gegenwärtigen Stand der Ermittlungen noch nie gewesen.
Die Zarnajews sind eine Flüchtlingsfamilie. Sie leben verteilt über den
Kaukasus, Kanada und die USA. Verwandte der Verdächtigen melden sich mit
ganz unterschiedlichen Meinungen zu Wort. Zwei in den USA lebende Onkel
distanzieren sich von den Jungen. Einer bezeichnet sie als „Verlierer“ und
sagt, sie verdienten es nicht, „auf dieser Erde zu leben“.
Eine Tante, die in Toronto lebt, will „Beweise“ vom FBI sehen. Aus dem
Kaukasus bezeichnet der Vater, der dort wieder lebt, seine beiden Söhne als
„Engel“. Und die Mutter versichert, die beiden Söhne seien unschuldig. Sie
fügt hinzu, das FBI habe ihren älteren Sohn Tamerlan „fünf Jahre lang
beraten“.
Der noch lebende jüngere Bruder ist bis wenige Tage vor der Tat zur
Universität gegangen. Kommilitonen beschreiben ihn als kontaktfreudigen,
gut integrierten und begabten Studenten. Er hatte ein Stipendium von 2.500
Dollar. Er sprach Englisch mit einem kleinen Akzent. Ihn interessierten
Fastfood und Luxusautos. Niemand sah in ihm einen potenziellen Bombenleger.
## Der ältere lebte zurückgezogen
Sein älterer Bruder, Tamerlan, den die Ermittler jetzt als eine Art
Rädelsführer beschreiben, hatte offenbar weniger Kontakte. Nach Auskunft
von Verwandten war er mit einer „aus einer christlichen Familie stammenden“
Frau verheiratet, die zum Islam übergetreten ist. Bis 2010 war er als Boxer
aktiv. Seinem früheren Trainer ist nichts Verdächtiges aufgefallen. Doch
vor drei bis vier Jahren soll sich Tamerlan Zarnajew aus seinem vorherigen
geselligen Leben zurückgezogen haben.
Anfang des vergangenen Jahres fuhr Tamerlan Zarnajew für sechs Monate außer
Landes. Er reiste in den Kaukasus. Sein Vater sagt, er sei bei ihm gewesen.
Die Ermittler in den USA vermuten, dass Tamerlan verändert zurückgekehrt
ist.
Tamerlan Zarnajews YouTube-Seite vom August 2012 zeigt unterschiedliche
Facetten eines jungen Mannes. Dort steht ein Video mit Bildern aus London,
in dem es heißt: „Töten ist immer falsch. Es ist gegen den Koran.“
Auf einem anderen Video ist der russische Sänger Wasja Oblomow vor
Wodkaflaschen zu sehen, wie er sich über russische Soldaten lustig macht.
Und dann gibt es noch Bilder, auf denen schwer bewaffnete junge
Dschihadisten durch eine Berglandschaft marschieren und für den Krieg üben.
## Gewalttätige Übergriffe auf Muslime
Das FBI ist im Jahr 2012 von der russischen Regierung auf Tamerlan Zarnajew
aufmerksam gemacht worden. Heute verlautet, man habe den Mann damals
getroffen und für nicht gefährlich gehalten. Die Einbürgerung wurde
Tamerlan allerdings, anders als seinem jüngeren Bruder, verweigert.
In Massachusetts glaubt Polizeichef Edward Deveau aus Watertown, dem Ort,
wohin sich der jüngere Bruder am Freitagabend in ein Boot auf dem
Trockendock geflüchtet hatte, dass die beiden Brüder Einzeltäter waren. Sie
hätten ein umfangreiches Explosivlabor besessen, in dem sie die
Drucktopfbomben bauten.
Unter den sieben Millionen Muslimen in den USA haben unterdessen viele
Angst. In Massachusetts und im Bundesstaat New York gab es bereits
vergangene Woche gewalttätige Übergriffe auf Muslime.
Das erinnert viele an die Zeit nach den Attentaten von Oklahoma und New
York City. Zahlreiche muslimische Sprecher verurteilten die Attentate, noch
bevor klar war, wer sie überhaupt verübt hat.
Der Council of American Islamic Relations rät: Das Wichtigste sind gute
Beziehungen in die Gesellschaft.
21 Apr 2013
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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Boston
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