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# taz.de -- Die Wahrheit: Am Grenzübergang
> Wie merkt man im Unions-Europa, dass man in Deutschland ist? Und wie
> merkt man, dass man sich in der Schweiz befindet?
Wie merkt man im Unions-Europa, dass man in Deutschland ist? An den
Feuilletons, die mal die Infantilisierung des Publikums durch
Fantasy-Schnickschnack und halbseidene Gesangswettbewerbe als „ästhetische
Revolution“ feiern oder das „kalte Licht“ der Energiesparlampen als
Untergang des Abendlandes heulsusenmäßig betrauern. Und wie merkt man, dass
man sich in der Schweiz befindet? Am Grenzregime, das in der Tat
grenzwertig ist und aus dem Jahr 1925 stammt.
Ortstermin: ein Grenzübergang vom französischen in den schweizerischen
Jura. Der französische Zöllner winkt den Wagen durch. Und man glaubt sich
fast in Europa, denn auf der Schweizer Seite steht kein Zollbeamter. Sollte
es mit Europa wirklich vorangehen?
Die Freude dauerte nur Minuten. Wenige Kilometer hinter der Schweizer
Grenze wird der Wagen mit deutschem Nummernschild auf offener Straße von
zwei Schweizer Zöllnern angehalten. „Führen Sie Waren mit?“ Das ebenso
Unnötige wie Übliche also, und wahrheitsgemäß meldet die Fahrerin eine
größere Zahl von Flaschen aus dem Burgund und Arbois – „so zwischen 100 u…
150 Flaschen“.
Damit beginnt die Maschinerie zu laufen. Chancenlos der Versuch,
klarzustellen, dass der Wein nicht in der Schweiz bleibt oder getrunken
wird, sondern nur durch diese hindurch auf dem Weg nach Frankfurt sei.
Einer der Zöllner belehrt die Reisenden, dass am Grenzübergang ein Schild
stehe, mit dem Touristen aufgefordert würden, mitgeführte Waren im
Zollgebäude selbst anzumelden, einen Transitschein zu lösen und ein Depot
zu hinterlegen, falls beim Grenzübertritt kein Beamter auf der Straße
stehe.
Das Schild steht tatsächlich da, aber wegen der Freude über die
unbürokratische Abfertigung hat man es übersehen. Die Touristen mussten den
Wagen drehen und zum Grenzübergang zurückfahren, entladen und die
Weinkartons im Büro öffnen. Ein dritter Zöllner half sogar dabei.
Die beiden anderen Beamten waren ein gute halbe Stunde damit beschäftigt,
aus einer größeren Anzahl von Ordnern, mit einem Taschenrechner und einem
Computer sowie etwa sechs Stempeln den „Strafbescheid im abgekürzten
Verfahren“ auszufertigen, also den Wert des Weines zu „errechnen“, denn
Kaufbelege führten die Touristen nicht mit, da sie zwar Wein trinken, aber
nicht verkaufen. Aus dem geschätzten Wert ergab sich die Höhe der Buße – so
Pi mal Daumen.
Während der ganzen Zeit kontrollierten die drei Beamten kein einziges der
durchfahrenden Autos, sondern unterhielten sich mit den Delinquenten über
Weinpreise. Erst nach der Unterschrift unter ein Formular und der Zahlung
von 150 Franken Bußgeld wegen „Unterlassung Waren zur Zollbehandlung
anzumelden“ (Artikel 74, 75, 77, 80 des Zollgesetzes von 1925) stellte der
Delinquent fest, dass er obendrein „mit der Buße einverstanden war, auf
jedes Rechtsmittel verzichtet“ und derlei Verfahren als „rechtmäßiges
Urteil“ ebenso anerkennt wie die piratenhafte Kontrollmethode, mit der die
Schweiz dafür sorgt, dass etwas zu erzählen hat, wer da hin fährt.
22 Apr 2013
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Schweiß
Grenzkontrollen
Wein
Touristen
EU
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