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# taz.de -- Straße für Silvio Meier: Das Leben toter Helden
> Die Gabelsberger Straße wird umbenannt: Nach Silvio Meier, 1992 von
> Neonazis ermordet. Warum das wichtig ist, schreibt Dirk Moldt, ein Freund
> Meiers – der die Idee lange ablehnte.
Bild: "Wenn ihr Helden braucht, werdet gefälligst selbst welche." - Szenerie a…
Am Freitag wird die Gabelsberger Straße in Friedrichshain nach Silvio Meier
benannt, der 1992 von jugendlichen Neonazis umgebracht wurde. Es ist das
zweite Mal in Deutschland, dass eine Straße den Namen eines Vertreters der
jüngeren ostdeutschen Widerstandsbewegung gegen die SED-Diktatur erhält.
Als Freund des Ermordeten sehe ich die Umbenennung mit gemischten Gefühlen.
Die erste Straße wurde 1996 im thüringischen Jena nach Matthias Domaschk
benannt. Er starb 1981 im Alter von 23 Jahren unter bis heute nicht
vollständig geklärten Umständen in MfS-Untersuchungshaft. Domaschk hatte
sich in der Jenaer Friedensbewegung engagiert. Seine Freunde schildern ihn
als offen, interessiert und humorvoll. Zu DDR-Bürgern, die sich im Alltag
eingerichtet hatten, hatte er ein kritisches Verhältnis. Er war ein
lockerer Typ, immer unterwegs, aber auch zuverlässig und besonnen. Genau
wie Silvio Meier.
Domaschk und Meier teilten Vorstellungen von einer besseren Gesellschaft:
Meinungs- und Bildungsfreiheit, Chancengleichheit, ressourcenorientiertes
Wirtschaften. Beide ordneten diese Ideen, wie damals üblich, einer freien
sozialistischen Gesellschaftsordnung zu. Beide kamen aus politischen
Gründen in der DDR in Untersuchungshaft. Wir Protagonisten der Ostberliner
Szene und unsere Freunde in Jena betrachteten uns stets als gemeinsame
Bewegung. Es gab viele regelmäßige Kontakte, manche aus der Jenaer Szene
wurden später selbst zu Hausbesetzern, wie Silvio Meier. Nur: Der eine wird
heute als Bürgerrechtler geehrt, der sich für die freiheitlich
demokratische Grundordnung einsetzte, der andere als linker Aktivist und
Antifaschist. Damit erscheinen sie wie politische Gegner.
Als sich die Gruppe Aktives Gedenken vor Jahren mit der Idee einer
Straßenumbenennung an uns wandte, gab es bei einigen Freunden Silvio Meiers
großes Unbehagen. Genauso, wie Matthias Domaschk darüber lachen würde, dass
eine Straße nach ihm benannt würde, würde uns Silvio Meier einen Vogel
zeigen. „Wenn ihr Helden braucht“, sagten wir, „dann werdet gefälligst
selbst welche. Silvio Meier kann sich nicht mehr wehren.“
Wie schnell die politische Vereinnahmung des Mordes vor sich ging, erlebten
wir schon bei der großen Demonstration im Dezember 1992, als eine
Vertreterin irgendeiner Splittergruppe wie ein Mantra durch den
Lautsprecher sang: „Die Arbeiterklasse wird Genossen Silvio Meier rächen!“
Da waren sie wieder, die Dogmatiker, gegen die wir uns immer gewehrt
hatten. Das war sehr bitter.
## Sie ließen nicht locker
Doch die Leute aus der Initiative ließen nicht locker, und das war sehr
wichtig. Gezwungen, mich noch einmal mit dem Leben meines Freundes zu
befassen, wurde ich mir über die Ursachen meines Unbehagens klar: Die
extrem gegensätzliche Heldenrezeption liegt in erster Linie daran, dass
Silvio Meier von Nazi-Nachwuchs umgebracht wurde und nicht im Gewahrsam der
Staatssicherheit starb wie Domaschk. Wie beide gelebt haben, wofür sie sich
einsetzten, scheint für manche zweitrangig zu sein.
Mit den Jahren hat der Name Silvio Meier ein Eigenleben entwickelt.
Nichtssagende Biografien kursieren im Internet. Texte machen die Runde, die
Bruchstücke der Erklärungen enthalten, die wir in jenen Tagen verfassten,
als wir gezwungen waren, den Mord öffentlich als faschistisch motiviert
darzustellen. Die Polizei sprach damals nämlich zuerst von einem Streit
zwischen Jugendgruppen.
Die Oberflächlichkeit, mit der Silvios Leben von jugendlichen Antifas
rezipiert wurde und wird, scheint der Jugend, der Unerfahrenheit, aber auch
der Ideologie geschuldet. Aber spätestens als mir eine gestandene
Journalistin eines bürgerlichen Blattes unumwunden eingestand, für Silvio
Meiers biografische Notiz den Unsinn aus Wikipedia abgeschrieben zu haben,
stand für mich fest: Die interessieren sich gar nicht für ihn. Das Label
Silvio Meier hat kaum noch etwas mit meinem ermordeten Freund zu tun. Ich
weiß, dass es auch Freunden von Matthias Domaschk ein wenig so geht, wenn
sie verklärende Worte hören oder lesen, wie unerschrocken standhaft dieser
im Kampf für die Demokratie gestorben sei.
Nicht nur das Leben der toten Helden, auch unser eigenes wird inzwischen
verklärt. Es beginnt mit dem Begriff „Bürgerbewegung“. Wir kritisierten ja
das Stillhalten der DDR-Bürger heftig. Das Wort „Bürger“ galt uns als
Schimpfwort, als Synonym für „Spießbürger“. Heute ist es anders. Viele
Protagonisten der Widerstandsszene, einst antibürgerlich im besten Sinne,
haarige und wilde Rebellen, die laute Musik hörten, fühlen sich inzwischen
von dieser Bezeichnung geehrt. Sie klingt besser als „Aussteiger“,
„Totalverweigerer“ oder „Dissident“, und ein wenig scheint auch eine
Wiedergutmachung für ihr jahrelanges Agieren in den extrem unsicheren
DDR-Verhältnissen mitzuschwingen, immer mit einem Fuß im Knast.
Einige ihrer Wortführer schämen sich inzwischen ihrer vormaligen
sozialistischen Flausen und meinen, schon immer richtig bürgerliche
Demokraten gewesen zu ein. Kritik erntet, wer sie auf diesen Irrtum
hinweist. In antistalinistischen Aufarbeitungsgruppen kam es sogar zur
Verdrängung solcher unbequemen Kritiker. Man ist versucht zu sagen: zu
Säuberungen. Verdrängt wurden dabei auch einstige Weggefährten, die ihren
sozialistische Vorstellungen treu geblieben sind, oder solche, denen es
unterstellt wird. Eine sehr traurige Geschichte, menschlich enttäuschend,
aber soziologisch hochspannend.
Seit sich die SED-Nachfolgepartei, in der antidemokratisches Denken
teilweise fortexistiert, in Linkspartei umbenannt hat, ist der Feind bei
vielen Aufarbeitern klar positioniert: Er steht links. Dabei ist diese
Klammer falsch, denn sie fasst Personen wie Stalin, Pol Pot, Erich Mühsam
und Rudi Dutschke bis hin zum versoffensten Kotti-Punk unter ein Label
zusammen, dem sich Begriffe wie Emanzipation, Teilhabe, Information und
Chancengleichheit genauso zuordnen lassen wie ihre Gegenteile.
Ein großer Teil der Aufarbeiter ist auf diesen Trick reingefallen und hält
alles, was aus dieser Richtung kommt, für antidemokratisch oder zumindest
suspekt. Weil die Linkspartei die Antifa unterstützt – eher politisch als
finanziell –, erscheinen deren Vorbilder vielen Aufarbeitern als dubios,
selbst wenn sie wie im Fall von Silvio Meier aus ihren eigenen Reihen
kommen. Ein anderes Beispiel: Ehemalige Weggefährten des Jenaer Pfarrers
Lothar König, der dieser Tage in Dresden vor Gericht steht, weil er dort
auf einer Anti-Nazi-Demo zu strafbaren Handlungen aufgerufen haben soll,
trauen sich nicht, sich mit ihm zu solidarisieren. Nicht, weil sie ihn für
schuldig halten, sondern weil ihnen die ganze Sache zu sehr nach linker
Szene aussieht.
Es ist schwierig, jüngeren Antifa, die allem misstrauen, was nicht auf
ihrer politischen Linie liegt, Erfahrungen zu vermitteln, die sich von
ihren Vorstellungen und Geschichtsbildern zum Teil bedeutend unterscheiden.
Ebenso schwer ist es, bei ihnen ein kritisches Verhältnis zur DDR zu
entwickeln, ja sie überhaupt dazu zu bringen, sich mit der DDR-Geschichte
zu befassen. Schon darauf hinzuweisen, dass für uns der Begriff „Genosse“
eine Beleidigung ist und deswegen nicht auf Silvio Meier passt, verstört
sie. Aber genau das ist notwendig. Es grenzt an ein Wunder, dass die Leute
von Aktives Gedenken diese Öffnung gewollt und ausgehalten haben, denn wir
waren mitunter sehr zickig: „Antifa bedeutet gar nichts, solange ihr kein
Wofür habt!“
Das Wissen über Vorstellungen und Ziele der Widerstandsbewegungen gegen das
SED-Regime ist bei vielen jämmerlich. Aber woher soll es kommen, wenn die
Protagonisten dieser Widerstandsbewegungen sich selbst nicht einzugestehen
wagen, dass sie sich einst in einem Milieu bewegten, welches dem
politischen System der Bundesrepublik äußerst kritisch gegenüberstand? Auch
Wolf Biermann war einst Kommunist.
„Wir brauchen Gründungsmythen für 1990!“, hört man. Nein, sage ich, wir
brauchen Tatsachen. Wir müssen die Brüche erklären, auch unsere eigenen.
Ich wünschte mir, dass mit dem Gedenken an meinen Freund alte und neue
ideologische Schranken überwunden werden. Solange wir Vorbilder nur
einseitig darstellen, erscheinen diese unglaubwürdig und wir auch.
26 Apr 2013
## AUTOREN
Dirk Moldt
## TAGS
Kreuzberg
Die Linke
Demonstrationen
Schwerpunkt Überwachung
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