Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nach Verurteilung des Bürgermeisters: Ludwigsfelde sucht einen Mö…
> Bürgermeister Heinrich Scholl hat seine Frau umgebracht. So hat es das
> Potsdamer Gericht entschieden. Viele Ludwigsfelder sind da anderer
> Meinung.
Bild: Heinrich Scholl vor dem Urteilsspruch.
LUDWIGSFELDE taz | War er’s oder war er’s nicht? Im Krimi, der seit
anderthalb Jahren in Potsdam in Fortsetzungen läuft, ist mit dem am
Dienstag gesprochenen Urteil „lebenslänglich“ wegen Mord ein vorläufiger
Schlusspunkt erreicht. Aber nur vorerst, denn das Drama wird demnächst vor
dem Bundesgerichtshof weitergeführt.
Die Hauptrolle spielt Heinrich Scholl, der fast 20 Jahre erfolgreicher
Bürgermeister der Industriestadt Ludwigsfelde war. Der Sozialdemokrat stand
für den „Aufbau Ost“, traf Politiker wie Manfred Stolpe, Matthias Platzeck
und Angela Merkel.
Doch am 29. Dezember 2011 ändert sich alles: Einen Tag nach ihrem 48.
Hochzeitstag meldet Heinrich Scholl abends seine Frau Brigitte, von allen
Gitti genannt, als vermisst. Am 30. Dezember finden er, der Sohn und ein
Freund ihre Leiche im Wald.
Kurz darauf wird Heinrich Scholl verhaftet, seitdem beteuert er seine
Unschuld. Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass er und seine Ehefrau
am Tag ihres Todes gemeinsam mit dem Cockerspaniel Ursus im Wald spazieren
gegangen sind, als der Gatte sie nach zwei Faustschlägen unvermittelt mit
einem Schnürsenkel erdrosselt habe. Dann soll er sein Opfer entblößt und es
teilweise mit Moos bedeckt haben. Schließlich erwürgte er auch noch den
Hund.
## „Demütigende häusliche Ordnung“
Warum? Die Ehe sei zerrüttet und der 70-jährige Heinrich Scholl einer
jungen thailändischen Prostituierten in Berlin verfallen gewesen, die er
seit Mai 2008 finanziell unterstützte. Im gemeinsamen Haus mit seiner Frau
habe er sich nur „geduldet“ gefühlt und sich einer „demütigenden häusl…
Ordnung“ unterordnen müssen, dazu hätten ihn Finanzsorgen gedrückt.
Seit letztem Oktober wurde im Potsdamer Landgerichts verhandelt, über 100
Zeugen und Sachverständige haben nach Ansicht des Gerichts Heinrich Scholls
Täterschaft bewiesen. Der Schuldbeweis aus vielen Indizien wirkt fragil.
Zwei Zeugen haben ihn im Wald mit seiner Frau gesehen, der Tag musste
jeweils nach dem Ausschlussverfahren ermittelt werden: es war der Tag des
Mordes.
Ist die zerrüttete Ehe Anzeichen für die Täterschaft des Gatten? Die
Zuschauer und das Gericht haben viel über den Klatsch und Tratsch einer
Kleinstadt erfahren, die Ehe der Scholls ist öffentlich seziert worden,
unbestritten gab es große Probleme. Heinrich Scholl war ausgezogen, hatte
eine Beziehung zu der Thailänderin Phinyoyos P., war jedoch kurz vor dem
Verbrechen zu seiner Frau zurückgekehrt.
## Beleg für die Aufrichtigkeit
Lokaltermin in Ludwigsfelde, am südlichen Berliner Ring gelegen, knapp
25.000 Einwohner. Dieter F., ein Freund von „Heiner“ Scholl seit der
Schulzeit, lebt einige Blocks vom Holzhaus der Familie entfernt. „Selbst
dieses Haus ist von Scholl projektiert!“, betont er, als sei das ein Beleg
für die Aufrichtigkeit des früheren Bürgermeisters. Keines der aufgezeigten
Motive findet er überzeugend, das Vorgehen des Staatsanwalts hält er für
skandalös.
Im Gegensatz zu ihm findet er das Alibi seines Freundes überzeugend, eine
ganze Reihe von Zeugen habe ihn doch zur Tatzeit an der Therme der
Kleinstadt gesehen. Vom Opfer Brigitte Scholl hat er keine so hohe Meinung:
Die sei durchaus kein Unschuldslamm gewesen, und er erinnert an eine
stadtbekannte Affäre, die sie mit einem Schauspieler gehabt haben soll. Das
Verhalten des 48-jährigen Sohnes Mathias, der bei der Verhandlung
Nebenkläger ist, missbilligt er als illoyal gegenüber seinem Vater.
Dabei hat Mathias Scholl in diesem Drama am meisten zu verarbeiten: Erst
bekam er den Anruf des Vaters, seine Mutter sei verschwunden. Bei der
folgenden gemeinsamen Suche fand der Sohn seine Mutter tot, vom Vater dort
hingeführt? Dann musste er erleben, wie sein Vater wegen Mordverdachts
verhaftet wurde.
## Geschickt eingefädelter Selbstmord
Fast jeder in Ludwigsfelde hat eine Theorie, über einen Auftragsmord wurde
spekuliert, viele glauben an eine Tötung im Affekt, weil sie Heinrich
Scholl einen Mord nicht zutrauen. Die vielleicht gewagteste Hypothese
vertritt Dieter F., der an einen geschickt eingefädelten Selbstmord glaubt,
vielleicht mithilfe eines Dritten so ausgeführt, dass der Verdacht auf den
Ehemann fallen muss. Dieter F. bekräftigt: „Die ist umgebracht worden, aber
nicht von Heiner Scholl.“ Immerhin gäbe es eine familiäre Disposition, ihre
Schwester habe auch Suizid begangen.
In einem der älteren Häuser von Ludwigsfelde im Dorfkern lebt der
Unternehmer Martin B., der kurz vor dem Ruhestand steht. „Der war’s!“, war
er sich schon lange vor dem Urteilsspruch völlig sicher. „Ich habe sie
gekannt, ich weiß, wie es bei ihnen zuging.“ Die Gitti habe einen Mann zur
Weißglut bringen können. Er zählt auf, was er durch Gespräche und aus der
Zeitung weiß: Das Handy des Verurteilten sei geortet worden.
Vor Gericht stellte es sich nicht so eindeutig dar, tatsächlich kann man
einen Anruf nachweisen, aber Heinrich Scholl kann dabei so ziemlich überall
in Ludwigsfelde gewesen sein, nur nicht am Tatort. Dort gibt es keinen
Handy-Empfang. Doch B. bleibt dabei: „Wer sollte sie denn umbringen außer
Heinrich Scholl?“ Das sei seine Meinung, betont er. Es ist nicht nur seine,
sondern die vieler Ludwigsfelder.
Das Motiv für die Gewalttat? B. ist überzeugt dass der Exbürgermeister Geld
von seiner Frau haben wollte, aber sie habe nichts rausgerückt. Etwa zwei
Jahre habe er eine Wohnung und eine Geliebte in Berlin gehabt. Und dann
meldet er seine Ehefrau nach einem halben Tag vermisst? Wo er sich doch
vorher nie sonderlich um sie gekümmert habe? Der Wald bei Siethen sei groß,
wie es sein könne, dass er genau wisse, wo ihre Leiche liege und seinen
Sohn und einen weiteren Zeugen dort hinführe? „Nimmt er extra den Tierarzt
mit, damit er einen dummen Zeugen hat!“
## Thailändische Frauen
Mit seiner Geliebten soll Heinrich Scholl weite Reisen unternommen haben,
das habe doch Geld gekostet. Angeblich 25.000 Euro hat er sich dafür
geborgt. Dass thailändische Frauen es nur aufs Geld abgesehen haben, das
wisse doch jeder. Die Scholls hätten sich scheiden lassen können, aber es
ging ums Geld, 45.000 Euro, habe in der Zeitung gestanden. Was wollte er
denn nach zwei Jahren wieder zu Hause? B. glaubt, dass Heinrich Scholl
seine Frau nach Geld gefragt und sie ihn beschimpft habe: „Was willst du
denn, du Gartenzwerg?“ B. hat keinen Zweifel: „Für mich warat jewesen.“
In Potsdam hat die Staatsanwaltschaft das Gericht von Heinrich Scholls
Schuld überzeugt. Die vielen Indizien fügen sich zu einem Beweis, der keine
Zweifel lasse. Die besten Freundinnen der Ermordeten haben die Eheprobleme
bestätigt, aber gleichzeitig auch ihre Freude über seine Rückkehr ins
gemeinsame Haus und den froh begangenen Hochzeitstag, an dem er ihr Rosen
schenkte.
Die Unterscheidung zwischen Indizien und Beweisen sei sowieso nichtig,
jeder Beweis sei Indiz, führt der Vorsitzende Richter Frank Tiemann aus.
Gegen Heinrich Scholl spricht vieles, nicht nur sein fehlendes Alibi und
die Tatsache, dass er der Ehemann der Ermordeten war. Nicht nur die
DNA-Spuren am Mordwerkzeug, einem ein Meter langen Schnürsenkel. Eine
wichtige Zeugin hat Heinrich Scholl nahe dem Tatort an Brigitte Scholls
Auto erblickt. Ein anderer Zeuge hat ihr Auto vom Wald, wo das Verbrechen
geschah, in die Stadt fahren sehen und ist sich sicher: Am Steuer saß ein
fremder Mann, nicht Heinrich Scholl.
## „Naheliegende Irrtümer“
Aber Tiemann hält alle entlastenden Aussagen für falsch und spricht dann
von „naheliegenden Irrtümern“. Was aber, wenn auch das Gericht einem
naheliegenden Irrtum zum Opfer gefallen ist? Was, wenn doch der
wahrscheinlichste Tathergang nicht der tatsächliche ist?
Kann nicht jemand, der in Ludwigsfelder Bauskandale verwickelt ist, jemand
mit großer krimineller Energie und fast unbegrenzten Mitteln, mit
Verbindungen zum Prostitutionsmilieu ein Verbrechen planen als Falle für
Heinrich Scholl? Ermittlungen wegen Korruption in Ludwigsfelde gab und gibt
es. Ist ein gedungener Mörder wirklich auszuschließen? Was, wenn Heinrich
Scholl unschuldig ist, so wie er es beteuert? Dann sollte der Verdacht auf
Scholl fallen, und er sitzt unschuldig im Gefängnis, der Plan des
Unbekannten wäre aufgegangen.
Der Fall wird die Justiz weiter beschäftigen. Heinrich Scholls Anwalt hat
Revision eingelegt.
9 May 2013
## AUTOREN
Falko Hennig
## TAGS
Bürgermeister
Mord
Polizei Berlin
Auschwitz
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
## ARTIKEL ZUM THEMA
Berliner Polizei und NSU: Die Pannenserie geht weiter
Auch ein zweiter Berliner V-Mann hatte wohl engere Bezüge zur NSU-Umgebung
als bekannt. Die Opposition attackiert die „Geheimhaltung“ der
Innenverwaltung.
KZ-Aufseher festgenommen: Beihilfe zum Mord
Unbehelligt lebte der jetzt 93-jährige in Aalen. Doch jetzt holte ihn seine
Vergangenheit ein. Er gilt trotz des hohen Alters als haftfähig.
Erwartungen an den NSU-Prozess: Der lange Weg zur Wahrheit
Ist Beate Zschäpe Täterin? Oder schuf sie die Fassade des Neonazi-Trios und
wusste von nichts? Am Montag beginnt der Prozess gegen Zschäpe und vier
weitere Angeklagte.
Justiz: Eine Stadt sucht nach Gründen
Was geschah am 29. Dezember im Wald von Ludwigsfelde? Ab morgen soll der
Prozess gegen Heinrich Scholl klären, ob der frühere Bürgermeister seine
Ehefrau getötet hat.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.