| # taz.de -- Kolumne Halleluja: Eine Butterfahrt der besonderen Art | |
| > Demnächst wird der Kirchenaustritt in Berlin was kosten. Warum | |
| > eigentlich? | |
| Bild: Unfreiwillige Mitgliedschaft: Die meisten Menschen treten den christliche… | |
| Stellen sich mal Folgendes vor: Sie kommen in einem Reisebus zu sich. Wie | |
| Sie da reingekommen sind? Schwer zu sagen, Sie können sich beim besten | |
| Willen nicht erinnern. Jemand Wohlmeinendes muss Sie hineinbugsiert haben, | |
| als Sie, warum auch immer, unzurechnungsfähig waren. Na ja, warum auch | |
| nicht. Immerhin sind Sie nicht alleine, ein paar andere Leute fahren auch | |
| noch mit. Und es geht voran – auch wenn unklar ist, wohin. | |
| Was Sie mit der Zeit nervt, ist das Bordprogramm. Es gibt da ein Team von | |
| Animateuren, die bei ihren regelmäßigen Auftritten schwermütige Lieder | |
| anstimmen und Sie mit verworrenen Reden davon überzeugen wollen, Ihr Leben | |
| zu ändern. Dafür, das haben Sie bald verstanden, werden regelmäßig Beträge | |
| von Ihrer Kreditkarte abgebucht. Scheint eine ziemlich spezielle | |
| Butterfahrt zu sein. | |
| Irgendwann reicht es Ihnen. Sie haben keine Lust mehr, dass diese Leute | |
| unentwegt auf Sie einreden. Wenn Sie auch mal was sagen wollen, wird im | |
| besten Fall freundlich genickt. Sie beschließen, auszusteigen. Auf Ihre | |
| Bitte hin, an der nächsten Ecke mal anzuhalten, tut das Personal jedoch | |
| ganz unschuldig. Das müssten Sie mit dem Fahrer regeln, damit hätten sie | |
| nichts zu tun. Komisch, Sie hätten schwören können, dass die | |
| Animations-Crew hier das Sagen hat. Aber gut. | |
| Der Busfahrer hat kein Problem damit, sie rauszulassen. „Macht 30 Euro“, | |
| sagt er und hält die Hand auf. Wie bitte? 30 Euro fürs Aussteigen? Wo Sie | |
| doch fürs Mitfahren bezahlt haben? „Ist nicht für die“, brummt er. „Ich | |
| muss das Benzin aus meiner eigenen Tasche bezahlen.“ | |
| Auch wenn der Vergleich auf weichen Reifen fährt – so in etwa muss man sich | |
| vorstellen, wie sich demnächst jene BerlinerInnen fühlen, die aus einer der | |
| Kirchen austreten wollen. Am vergangenen Donnerstag hat der SPD-CDU-Senat | |
| ein Gesetz auf den Weg gebracht, und wenn das, woran kein Zweifel herrschen | |
| kann, verabschiedet wird, wird das Land die Hand aufhalten, wenn man die | |
| Herde der Gläubigen verlassen möchte. | |
| Na gut: Was sind schon 30 Euro? Seien wir froh, dass wir nicht in Neudenau | |
| bei Heilbronn leben, dort ist ein Kirchenaustritt mit 60 Euro | |
| deutschlandweit am teuersten. Außerhalb von Baden-Württemberg sind die | |
| Tarife landeseinheitlich, und tatsächlich wird in fast allen Ländern eine | |
| Gebühr fällig – bis auf Bremen, Brandenburg und, noch, Berlin. | |
| Dass der Verwaltungsaufwand hier ausgerechnet 30 Euro kosten soll, liegt | |
| nur darin begründet, dass das Bundesverfassungsgericht diese Summe, die | |
| auch in NRW erhoben wird, für verfassungskonform befunden hat. | |
| Allerdings, das ist eine versteckte Pointe dieser noch im rot-roten Senat | |
| angestoßenen Initiative, können die nordrhein-westfälischen Behörden | |
| aufgrund einer Sozialklausel in Härtefällen auf die Entrichtung der Gebühr | |
| verzichten oder sie ermäßigen. Ausgerechnet im armen Berlin wird das nicht | |
| möglich sein. | |
| Verkündet hat die Berliner Landesregierung den 30-Euro-Coup ausgerechnet | |
| nach ihrem freundschaftlichen Treffen mit dem katholischen Klerus am | |
| vergangenen Dienstag . Das sei terminlich reiner Zufall gewesen, heißt es | |
| aus dem Senat. Kardinal Woelki wird’s dennoch mit Genugtuung vernommen | |
| haben. | |
| Denn die einzigen, die dem Land gefälligst den Verwaltungsaufwand erstatten | |
| sollten, sind die Kirchen selber. Schließlich sind es ihre Mitglieder, die | |
| entweder brav Kirchensteuer zahlen oder – wenn sie dazu nicht genug | |
| verdienen – zumindest Masse machen. Aber wer austreten will, kann das nicht | |
| einfach den Pfarrer seines Vertrauens erledigen lassen: Der will davon | |
| lieber gar nichts wissen. | |
| Wenn Sie an der nächsten Ecke raus wollen: Noch kostet’s nix. | |
| 19 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prösser | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Halleluja: Gerade sind leider die Handwerker da | |
| Warum ihn der Alte nach Berlin geschickt hatte, wusste nur er. Jedenfalls | |
| war es Jesu Job, die Kirche vom bevorstehenden Jüngsten Gericht in Kenntnis | |
| zu setzen. | |
| Kolumne Halleluja: Ein Pfarrer verschwindet | |
| Das Berliner Erzbistum hat einen weiteren Ansprechpartner in Sachen | |
| Missbrauch berufen. Leider weiß die Kirche nicht, wie man Transparenz | |
| buchstabiert. | |
| Kolumne Halleluja: Die Wendehälse der Würdenträger | |
| Kirche ist wieder in – warum eigentlich? | |
| "Bet- und Lehrhaus" auf dem Petriplatz: Zartes Pflänzchen Dialog | |
| Auf dem ehemaligen Petriplatz in Mitte soll ein Gebäude für drei Religionen | |
| entstehen. Architektonisch überzeugt der Entwurf, inhaltlich gibt es noch | |
| viel Gesprächsbedarf. | |
| Kolumne Halleluja: Heilige Pflöcke einrammen | |
| Die christlichen Konkurrenten planen Großes, um ihr ramponiertes Image | |
| aufpolieren. Mit üppigen Zuschüssen vom Staat darf gerechnet werden. | |
| Das Wort zum Sonntag: Nicht herzlos, nur vernünftig | |
| Logik und Glaube waren schon immer zwei Paar Schuhe. Das zeigte sich wieder | |
| in den letzten Tagen. | |
| Wort zum Sonntag: Ich richtig, du falsch | |
| Halleluja! Von den Schwierigkeiten des interreligiösen Dialogs. Eine | |
| Kolumne aus der neuen taz.Berlin-Wochenendausgabe. |