# taz.de -- Nachwehen des Eurovision Song Contest: Wenn Trällern zur Staatsaff… | |
> Russland fühlt sich um die Stimmen aus Aserbaidschan betrogen - der | |
> Aussenminister tobt. Kritiker mokieren sich über das Engagement des | |
> Kremls. | |
Bild: Stimmenklau beim Song Contest? Da hört für Russlands Aussenminister Ser… | |
MOSKAU taz | Russlands Aussenminister Sergei Lawrow fand es gar nicht | |
lustig. Zehn Punkte waren der Teilnehmerin aus Russland beim | |
Gesangswettbewerb der Eurovision am 18. Mai abhandengekommen: Stimmen, die | |
die Sängerin Dina Garipowa in der Ex-Sowjetrepublik Aserbeidschan erhalten | |
hatte, die aber nicht in der Zentrale ankamen. | |
An Garipowas Plazierung hätte eine korrekte Zählung allerdings nichts | |
geändert. Die Sängerin aus der muslimischen Republik Tatarstan war mit | |
ihrem Ergebnis denn auch zufrieden, anders als der Aussenminister der | |
Atommacht. Mit tierischem Ernst verlieh er seiner Empörung Ausdruck und | |
drohte, die Angelegenheit nicht auf sich beruhen zu lassen. Wie wird die | |
Rache aussehen? fragten russische Medien. Werden die Iskander-Raketen nun | |
neu ausgerichtet? Müssen schwedische Diplomaten mit einer Ausweisung | |
rechnen? | |
Lawrow weilte zufällig gerade in Aserbeidschans Hauptstadt Baku und hatte | |
ohnehin Grund zum Grollen: Moskau wird seine Radarbasis in Gabala räumen, | |
weil die Aserbeidschaner den Pachtzins in die Höhe treiben. Uneinigkeit | |
über Öl und Pipelines trüben ohnehin die gegenseitigen Beziehungen. | |
"Der Kreml macht sich für faire Wahlen stark", schrieben belustigte Nutzer | |
sozialer Netzwerke in Anspielung an die Fälschungen bei den letzten | |
Dumawahlen. Andere wunderten sich über das Engagement ausgerechnet für die | |
Paradeveranstaltung der europäischen Schwulenszene: Hatte nicht der Kreml | |
gerade ein Gesetz erlassen, das öffentliches Werben für Homosexualität | |
unter Strafe stellt? Nach dem Buchstaben des Gesetzes hätte der Song | |
Contest nicht übertragen werden dürfen. Für eine schwule Verschwörung | |
hielten wiederum andere den Stimmenklau. | |
## Jeder Wettstreit wird zu einem Ersatzkrieg | |
Wenn Russland bei Wettbewerben nicht auf dem Siegertreppchen steht, sind | |
meist internationale Verschwörungen schuld. Das ist ein Reflex. Moskau | |
glaubt, von seiner Umgebung nicht gebührend anerkannt zu werden. Daraus | |
entwickelte sich über Jahrhunderte ein kollektiver | |
Minderwertigkeitskomplex. Jeder Wettstreit wird so zu einem Ersatzkrieg - | |
ob in der Kultur, im Sport oder im Showgeschäft. Für Moskau ist Singen | |
Geopolitik und der Eurovision Song Contest eine Gelegenheit, sich als Macht | |
in Positur zu werfen. | |
Aber auch die sowjetischen Nachfolgestaaten nutzen die Veranstaltung als | |
Bühne nationaler Interessen. Baku würde viel darum geben, den Wettstreit | |
noch einmal ausrichten zu dürfen. Autoritäre Regime glauben an die | |
blendende Kraft solcher Siege. Die Eurovision bietet die Chance, | |
kurzfristig Teil des alten Europa zu sein, ohne auf dessen Werte | |
verpflichtet zu werden. | |
Deshalb nimmt auch Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko regen | |
Anteil: Findet der Beitrag seines Landes keinen Zuspruch, erklärt er das | |
Ergebnis für gefälscht. So wird ein Gesangswettbewerb im Osten zur | |
Staatsaktion oder zur Staatsaffäre. | |
26 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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