# taz.de -- Suche nach Psychotherapeuten: Soziale Auslese vor der Therapie | |
> Nicht alle Patienten schaffen den Suchmarathon nach einem geeigneten | |
> Psychotherapeuten. Vor allem Kassenpatienten scheitern oft. | |
Bild: Bis zur ersten Therapiesitzung muss eine lange Wartezeit überbrückt wer… | |
Wenn Dieter Pfaff als Bloch im Fernsehen den Therapeuten gab, war auf eines | |
stets Verlass: Am Ende fand er die Ursache für das Leiden seiner | |
PatientInnen heraus und erlöste sie damit von ihrer Seelenpein. Doch gilt | |
die Fiktion auch in der Realität? Wie wirksam ist die Psychotherapie | |
tatsächlich? | |
Die Frage ist auch deshalb von Bedeutung, weil eine Novellierung des | |
Psychotherapeutengesetzes ansteht. „Psychotherapie wirkt“, stellt der | |
Kölner Psychotherapieforscher Volker Tschuschke fest. „Weltweit weiß man | |
aus Studien, dass sie zwischen 40 und 67 Prozent den Patienten nützt.“ | |
Seit US-amerikanische Psychiater Anfang der 1950er Jahren die Wirksamkeit | |
von Psychotherapien generell infrage stellten, sind unzählige | |
Untersuchungen zu diesem Thema erschienen. | |
Dabei sind Studien, die unter Laborbedingungen die Wirksamkeit | |
therapeutischer Interventionen testen, kaum auf die Realität übertragbar. | |
Mehr Aussagekraft haben Verbraucherstudien, die die Wirksamkeit von | |
Psychotherapie aus der Sicht von PatientInnen untersuchen. | |
In größerem Umfang wurde das zum ersten Mal 1995 von Martin Seligman für | |
die Verbraucherzeitung consumer report gemacht. Von 2.900 PatientInnen, die | |
sich einer Psychotherapie unterzogen hatten, gaben dabei 44 Prozent an, | |
sich geheilt, und 43 Prozent sich deutlich besser zu fühlen. | |
## Viele brechen vorzeitig ab | |
Ähnliche Ergebnisse brachte 2011 eine Umfrage der Stiftung Warentest, die | |
4.000 Menschen mit psychischen Problemen befragte: 77 Prozent gaben an, | |
dass sich ihre Störungen deutlich gebessert hatten. | |
Dennoch gibt es eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen, die Therapien | |
vorzeitig abbrechen, deren Zustand sich im Laufe einer Therapie nicht | |
verändert oder sogar verschlechtert hat. Für Letztere wird je nach Studie | |
und Forscher ein Prozentsatz von 5 bis 27 Prozent angegeben. Tschuschke | |
führt solche Misserfolge auf eine mangelnde „Passung“ von Patienten- und | |
Therapeutenpersönlichkeit zurück. | |
Immer wieder wird in der einschlägigen Literatur die Bedeutung der | |
therapeutischen Beziehung betont. Sie gilt in der Psychotherapieforschung | |
als wichtigste Wirkkomponente. | |
## Sympathie ist wichtig | |
Deshalb wird PatientInnen auch empfohlen, genau darauf zu achten, dass | |
ihnen die Therapeutin oder der Therapeut sympathisch ist. Gerade das | |
erweist sich aber oft als kaum realisierbar. Wer unter großem Leidensdruck | |
steht, wird kaum mehrere Therapeuten in Probesitzungen testen, bis er die | |
oder den richtigen gefunden hat. | |
So findet noch vor der eigentlichen Therapie ein soziale Auslese statt. Nur | |
wer genügend seelische Stabilität besitzt, um den Suchmarathon nach dem | |
richtigen Behandler durchzustehen, hat eine Chance. | |
So verwundert es nicht, dass in Studien zur ambulanten Psychotherapie wie | |
etwa in der 2011 veröffentlichen Untersuchung der Techniker Krankenkasse | |
die leichten psychischen Störungen überwiegen. | |
Hier behält der Satz des verstorbenen Psychotherapieforschers Hans H. | |
Strupp seine unverminderte Gültigkeit. Der hatte schon vor Jahren | |
festgestellt: „Psychotherapie ist da am wirksamsten, wo sie am wenigsten | |
nötig ist.“ | |
## Drei Monate Wartezeit | |
Verschärfend kommt hinzu, dass einer immer größeren Zahl an | |
Therapiewilligen eine gleichbleibende Zahl an Kassentherapeuten | |
gegenüberstehen. So sind drei Monate Wartezeit auf ein Erstgespräch in | |
Großstädten das Minimum, auf dem Land oder bei beliebten, weil oft | |
weiterempfohlenen Behandlern können schon einmal Jahre vergehen. | |
Solche Engpässe sind aber nicht den Therapeuten anzulasten. Vielmehr finden | |
sie ihre Ursache im 1999 verabschiedeten Psychotherapeutengesetz, dessen | |
Bedarfsplanung aus dem Jahr 1998 stammt. Die Zahl der Kassensitze für | |
Psychotherapeuten ist dort streng reglementiert und muss zwischen Ärzten | |
und Psychologen aufgeteilt werden. | |
So gibt es zwar genügend gut ausgebildete Psychotherapeuten aber keine | |
ausreichende Zahl an Kassensitzen. Hinzu kommt, dass das | |
Psychotherapeutengesetz die kassenfinanzierten Verfahren auf | |
Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie und Psychoanalyse einschränkt. Eine | |
solche Begrenzung ist aber aus wissenschaftlicher Sicht kaum zu begründen. | |
## Alle wirken gleich gut | |
Das am besten belegte Ergebnis der Psychotherapieforschung, auch als „Dodo | |
Bird effect“ bekannt, ist nämlich, dass alle Therapien gleich gut wirken. | |
Eine Überbetonung der Methode ist sogar eher kontraproduktiv. | |
So fand Tschuschke in einer Verlaufsstudie mit 300 Patienten heraus, dass | |
Therapeuten, die flexibel Elemente aus verschiedenen Verfahren auswählten | |
und auf den jeweiligen Patienten abstimmten, die besten Ergebnisse | |
erzielten. | |
Insofern ist zu hoffen, dass das neue Psychotherapeutengesetz auch eine | |
Öffnung hinsichtlich der zugelassenen Verfahren bringt. Vielleicht ist | |
dabei ein Blick ins benachbarte Ausland hilfreich. So sind zum Beispiel in | |
Österreich über 20 psychotherapeutische Verfahren anerkannt. | |
3 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Dagmar Schediwy | |
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