Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Auf Luises Klebespur
> Ein Almabtrieb, das Ulmer Münster, ein Fernsehturm und ein Panda, viermal
> größer als Goethe: Das Sammelstickerbuch „Unser Deutschland“ von Rewe.
Bild: Beethoven, Fußball, Gartenzwerg und ein Apfel: Das ist Deutschland.
Zu Beginn des Jahrtausends sang eine junge Frau eine Art neue Nationalhymne
für Unterschichtler: „Ich liebe deutsche Land.“ Ein halbes Jahrzehnt spät…
hieß es in einer offiziellen Werbekampagne: „Du bist Deutschland.“ 2013
zieht die Supermarktkette Rewe nach mit „Schwarz. Rot. Toll! Der neue Rewe
Sammelspaß“.
Ich wollte am Wochenende nur den Einkauf machen für eine Wohnungseinweihung
und zahlte in Hannover bei Rewe 60,62 Euro für Getränke: Herrenhäuser,
Jever Fun und Gerolsteiner. Dann fragte die Kassiererin: „Wollen Sie
Sticker?“ Sticker nehme ich grundsätzlich. Was ich nicht nehme, sind
Treuepunkte. Ich werde wahnsinnig, bei jedem Einkauf gefragt zu werden, ob
ich irgendwelche Bonus- oder Treuepunkte sammle, diese oder jene Karte
habe.
Ich erinnere mich noch gut, wie meine Oma und meine Mutter seinerzeit
akribisch Rabattmarken vom „Konnsumm“ (ostwestfälisch) in kleine Heftchen
klebten. Das Treuversprechen des Kunden, gekauft mit minimalem
Preisnachlass, kalkulierend auf Sammelwut, vertrauend auf das
Briefmarken-Gen der Deutschen. Oder wie mein Freund Peter sagte:
„Rabattmarken sind gut. Wenn vier Hefte voll sind, kann ich wieder zum
Friseur!“
Aber mit Stickern kriegt man mich rum. Jederzeit. Man denke nur an die
legendären Panini-Sammleralben zu Welt- und Europameisterschaften. Was
haben wir getauscht. Ein Paul Breitner (Bayern) für sieben Christian
Sackewitz (Bielefeld). Ein Rüdiger Abramczik (Dortmund) gegen drei Miroslav
Votava (Dortmund). Sechs Manfred Dubski (Duisburg) gegen einen Manni Kaltz
(Hamburg).
Nun also „Schwarz. Rot. Toll!“. Rewe verkauft das Sammelalbum „Unser
Deutschland“ für 1,99 Euro. Untertitel: „Eine Liebeserklärung in 180
Stickern!“ Pro zehn Euro Einkaufswert fünf Sticker gratis! Dabei gibt es
sogar eine Formel für Sammelalben: n mal h von n. Oder so ähnlich. Details
lasse ich weg, aber danach braucht man für ein Album mit 50 Bildern etwa
224,96 Bilder, um es zu füllen. Das Rewe-Album braucht also ungefähr 900
Bilder, mit anderen Worten einen Einkauf von knapp 1.000 Euro!
Ich bekam jedenfalls erst einmal sechs Stickertütchen. Zu Hause riss ich
sie auf. Zuerst fand ich einen Steffi-Graf-Glitzer-Sticker (Nr. 57). Dazu
das Unterteil des Ulmer Münsters (Nr. 159), das linke obere von vier
Bildern des Archaeopteryx (Nr. 8) und das rechte untere eines von vier
Bildern eines Pandabären (Nr. 175). Ein Panda? Seit wann sind Pandas in und
für Deutschland unterwegs? Und statt erhofftem Bundesadler fand ich einen
Mäusebussard (Nr. 23).
Nächstes Tütchen. Archaeopteryx (Nr. 11), wohl rechts unten. Dazu eine
Modelleisenbahn (Nr. 98), die linke Seite vom Reichtagsgebäude (Nr. 119)
und eine weitere Pfote vom Panda (Nr. 177). Im dritten Tütchen waren dann
ein Zeppelin (Nr. 172), eine Rotbauchunke (Nr. 154) und Johann Wolfgang von
Goethe (58). Warum ist das Bild vom Panda eigentlich viermal größer als das
von Goethe?
Tütchen vier brachte einen Fernsehturm (Nr. 48), allerdings nur das
mittlere von drei Bildern eines Hochformats. Ich konnte also nicht sehen,
welcher Turm das war. Außerdem lagen in demselben Tütchen ein Marienkäfer,
rot, (Nr. 92) und ein VW Käfer, blau, (Nr. 161). Offenbar hatte das ein
Witzbold verpackt.
Im nächsten Päckchen entdeckte ich den Kopf von Dirk Nowitzki neben einem
Ball (Nr. 102). Schwer auszumachen, was Ball und was Kopf war. Inzwischen
hatte ich schon ein paar Sticker doppelt. Dann aber geriet ich an „Luise“
(Nr. 90)! Das „Spürwildschwein Luise“? Ich brauchte das Album! Sofort! Ich
brauchte Detailinformationen. Ich rannte zurück zu Rewe.
Zur Tarnung kaufte ich für 10,44 Euro Erdnüsse und Flips. Draußen vorm
Laden begann ich zu blättern. Aha, mir fehlten unter „S“ der Struwwelpeter
und der Störtebeker. Auf einer Seite gemeinsam der schlimmste deutsche
Erziehungshansel und ein erfolgreicher Anarchist zur See – das war also
Rewes Deutschland?
Ich staunte, blätterte und fand Nr. 90: Luise arbeitete für die Polizei –
als Spürwildschwein. Eine Petze also. Ein Denunziant. Ein Drogenschwein!
Hoffentlich nahm niemand das Buch zur Vorbereitung auf den
Einbürgerungstest.
Dann öffnete ich mein neues und letztes Tütchen. Diesmal war es übervoll:
sieben Sticker! Ich fand Deutschland komprimiert in sieben Bildern: einen
Waschbären (Nr. 132), eine Leitkuh beim Almabtrieb (Nr. 12), einen
Neandertaler (Nr. 106), die Hüfte von Pierre Brice als Winnetou (Nr. 94),
den Hackl-Schorsch (Nr. 61) und noch zweimal wieder das Wildschein Luise.
Ich begann die Bilder einzukleben, wenn auch anders als vorgesehen: Luise
auf das Feld von Biene Maja und Georg Hackl auf Boris Becker. Die Hüfte von
Pierre Brice anstelle von Albert Einstein. Und auf Luises Platz klebte ich
den Steffi-Graf-Glitzer-Sticker (Nr. 57).
Schließlich ging ich noch einmal zu Rewe. Ich brauchte mehr Stickertütchen.
Ich wollte Deutschland umkleben. Langsam begann mein Land mir zu gefallen …
8 Jun 2013
## AUTOREN
Bernd Gieseking
## TAGS
Rewe
Sammelalbum
Sticker
Deutschland
Finnland
Finnland
Finnland
Superhelden
Wetter
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Im Rausch der Maschine
Teil 4 der großen Wahrheit-Sommerserie „Ympäri Suomen – Rund um Finnland�…
Heute: Geniales Uusikaupunki
Die Wahrheit: Im Blitzlichtgewitter
Teil 3 der großen Wahrheit-Sommerserie „Ympäri Suomen – Rund um Finnland�…
Heute heißt das Motto: Trinken in Turku.
Die Wahrheit: Platz für Milch
Teil 1 der großen Wahrheit-Sommerserie "Ympäri Suomen – Rund um Finnland".
Heute heißt das Motto: Tüten in Tampere.
Die Wahrheit: Superheld rasiert
Superman war, im Gegensatz zu meiner Mutter, früher einer meiner
Lieblingshelden. Ich hatte noch mehr.
Die Wahrheit: Falsches Wetter
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit-Seite. Heute darf sich die
Leserschaft an einem ein Poem über das seltsame Wetter im Mai erfreuen.
Die Wahrheit: Drohnen gegen Diabolos
„Man soll sehr leise schwärmen, denn du sollst nicht lärmen!“ – Ach, w�…
dieser Satz doch nur öfter beachtet.
Die Wahrheit: Gerald, der Griot
An einem Montagabend in Hannover eine lohnenswerte Veranstaltung zu finden,
ist nicht leicht. Aber dann erschien Gerald Asamoah ...
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.