| # taz.de -- Die Wahrheit: Platz für Milch | |
| > Teil 1 der großen Wahrheit-Sommerserie "Ympäri Suomen – Rund um | |
| > Finnland". Heute heißt das Motto: Tüten in Tampere. | |
| Bild: Finnischen Jogurtti kann man leicht mit Milch verwechseln, schmeckt im Ka… | |
| Im vergangenen Jahr erschien das Buch „Finne dich selbst“ von Bernd | |
| Gieseking. Ein Jahr später will der Wahrheit-Autor überprüfen, ob auch | |
| alles noch seine Richtigkeit hat, was er seinerzeit über das seltsame Suomi | |
| geschrieben hat. Deshalb umrundet er nun einen Sommer lang für die | |
| Wahrheit, die sonst Umrundungen aller Art strikt ablehnt, Finnland. | |
| Der Mensch braucht Ziele. Träume. Die einen gehen auf den Jakobsweg, die | |
| anderen wollen den Himalaja besteigen. Ich will rund um Finnland fahren. | |
| Ympäri Suomen. Finnisch wird übrigens meistens so gesprochen, wie es | |
| geschrieben wird. Man betont im Wort die erste Silbe. „Am besten, du | |
| stampfst bei der ersten Silbe mit dem Fuß auf den Boden, dann kannst du im | |
| Laufe des Wortes nachlassen“, hatte mir Telle, eine Finnin aus Neuruppin | |
| erklärt. | |
| Jetzt will ich die Außengrenze abfahren. Von außen auf das Innere schauen. | |
| Den Finnen entdecken. Der Faszinierendste aller Europäer. Ich war schon mal | |
| drei Wochen hier, weil ich meine Eltern zu meinem Bruder gefahren hatte, | |
| der seinerzeit in Lahti lebte. Und ich hatte entdeckt: Der Finne ist der | |
| Ostwestfale Europas. Die Finnen sind ein Volk zum Niederknien. | |
| Aber vor die Ankunft hat der liebe Gott den Weg gelegt – und den Schweden. | |
| Mein erstes Ziel ist Stockholm, da will ich übersetzen. Stunden später | |
| setze ich bei Malmö von Dänemark nach Schweden über. Für diesen Moment | |
| hatte mir meine Freundin eine ABBA-CD geschenkt. „I have a dream.“ ABBA – | |
| Schrecken meiner Jahre auf Zeltfesten. „Gimme, gimme, gimme.“ Die vier | |
| Schwedenhappen. Und in Stockholm gibt es seit einigen Monaten das | |
| ABBA-Museum. Meine Freundin hatte gesagt, da sie schon nicht mitfahren | |
| könne, müsse ich mir aber dieses Museum für sie ansehen. „Mamma Mia!“ | |
| ABBA, das sind Agneta, Björn, Benny und Frida – wegen ihr auch das | |
| abschließende A von ABBA oder andersrum, denn sie heißt original Anni-Frid. | |
| Und ist gebürtige Norwegerin. Aber das sieht der Schwede nicht so eng. Und | |
| ich staune über Schwedinnen im Museum, die aussehen wie Agnetha selber. | |
| Zwei Stunden aber sind genug ABBA. „Thank you for the music!“ | |
| Nächster Morgen. Abfahrt der Fähre 7.10 Uhr. Eine Stunde vorher soll man da | |
| sein. Ich stehe im Regen in der Warteschlange. Programmiere mein | |
| Navigationsgerät für Tampere. Lasse Mautstraßen und Fährverbindungen zu. | |
| Habe noch 200 Meter in Stockholm bis zur Fähre. Mein Navi sagt: Noch 10:39 | |
| Stunden bis Tampere. 477 Kilometer. Inklusive Fährstrecke. Mein Navi | |
| kündigt eine Baustelle an. In sechs Kilometern. Mitten auf dem Wasser!? | |
| Steckt was zwischen den Schären? | |
| Dann sitze ich an Bord der „Baltic Princess“. Hunger. Frühstück. Ich bin | |
| quasi Ethnologe und reise zur „teilnehmenden Beobachtung“. Also esse ich, | |
| was alle anderen auch essen: Puuro! 2,50. Auf Schwedisch „Gröt“. Grütze! | |
| Ich möchte mich hier ausdrücklich bei meiner Mutter und beiden Omas | |
| bedanken – das musste ich nie essen! | |
| Puuro ist erstaunlich geschmacklos bis seltsam, also hilft man mit | |
| Marmelade nach. Oder Zucker und Zimt. Ich brauche viel Marmelade. Es ist | |
| aber nur noch wenig Marmelade da! Finnen, Schweden und Balten wissen, | |
| warum. Puuro! Ich werde nun tagelang nichts mehr essen müssen. Und können. | |
| Schweden, Finnen und Balten beladen sich hingegen ihre Teller kellenweise. | |
| Man spürt das Porzellan beinah bersten. Es ist, als wären sie alle nach | |
| wochenlanger Havarie erstmals wieder in der Nähe von Herd und fester | |
| Nahrung. Na ja, fest? | |
| Ich hole mir einen Kaffee am Automaten. Drei Knöpfe. Heißes Wasser. Daneben | |
| „Svart Kaffe“. Finnisch: Kahvi. Daneben „Svart Kaffe – plats för mjöl… | |
| Finnisch: Kahvi maitovarella. Die Tasse wird nicht ganz voll gemacht, damit | |
| Platz für Milch bleibt. „Gibt’s bei uns gar nicht“, rutscht mir raus. Der | |
| Finne aber hat einen Hang zum Praktischen. | |
| Schließlich komme ich in Tampere an. „Hier ist Kaffee“, bewillkommt mich | |
| Marja. „Milch ist im Kühlschrank.“ Ich nehme reichlich. Dann lerne ich, | |
| dass Finnen in „unsere“ Milchtüten ganz oft Joghurt füllen. Und ehrlich, | |
| Joghurt mit Kaffee schmeckt gar nicht so schlecht. | |
| Meine nächste Station ist Lahti. „Hyvää huomenta.“ Guten Morgen, höre i… | |
| Rope kommt im Sportdress durch die Wohnküche. „Frühsport?“, frage ich. | |
| „Kombination Nordic Walking – Pfifferling-Suchung!“, sagt er und zeigt | |
| einen gefüllten Beutel. Seine Frau Irma betreibt ein Bed & Breakfast in | |
| Lahti und macht das beste Frühstück der Welt, und natürlich sind | |
| Pfifferlinge im Rührei. | |
| Meine erste Reise war durch meinen Bruder abgefedert. Jetzt begegne ich den | |
| Finnen ungeschützt. Frühstück bei Irma. Mit Löffel und Gabel. „Äh, ein | |
| Messer?“ Der Finne hat die Messer kollektiviert. In der Butter steckt immer | |
| eins aus Holz, und das benutzen alle. Dasselbe beim Streichkäse. In der | |
| Statistik der Waffenbesitzer weltweit liegt Finnland auf Platz drei, nach | |
| den USA und dem Jemen. Aber zum Frühstück gibt es kein eigenes Messer! Der | |
| Finne will den Tag scheinbar friedlich beginnen. | |
| (Fortsetzung am nächsten Dienstag) | |
| 2 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Gieseking | |
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