# taz.de -- Hochwasser auf der Elbe: Sandsäcke und Klaviere stapeln | |
> Nach schwankenden Prognosen ist es nun gewiss: Lauenburgs Unterstadt wird | |
> evakuiert. Ein Besuch in einer Stadt, die ohnehin nicht auf der | |
> Sonnenseite steht. | |
Bild: Unklar, ob sie den Wassermengen standhalten wird: die Sandsäcke-Mauer in… | |
LAUENBURG taz | Christian Kleinfeld steigt im Hinterhof die paar Stufen zu | |
seinem Keller hinunter und schiebt ein paar zarte Blumenranken zur Seite. | |
Drei Striche hat er hier auf die Wand gemalt. Der gelbe Strich markiert die | |
8,70 Meter aus dem Jahr 2002, der weiße die 9,12 Meter von 2006 und der | |
rote die 9,22 Meter von 2011. „Sehen Sie, auch 9,50 Meter wären kein | |
Problem“, sagt Kleinfeld und deutet eine neue Markierung an. Dann laufe | |
eben wieder der Keller mit Elbwasser voll, den hat er aber schon leer | |
geräumt. Ein Waschbecken und ein bisschen Schrott lehnen neben dem | |
Kellereingang an der Hauswand. Mülltonnen und gelbe Säcke stehen auch | |
herum, schwimmt alles gut, wenn das Wasser die Unterstadt von Lauenburg | |
überschwemmen sollte – und genau danach sieht es seit Sonntag nun wieder | |
aus. | |
## Wackelige Prognosen | |
Das Hochwasser der Elbe lässt sich nicht leicht vorhersagen, zu viele | |
Unbekannte sind auf ihrem Weg in den Norden im Spiel. Und so springen die | |
Prognosen immer wieder über die Zehn-Meter-Marke und zurück. Für Freitag | |
war bereits eine Evakuierung der Unterstadt angesetzt, die wurde wieder | |
abgesagt. Aber jetzt ist wieder von zehn Metern die Rede. Am Donnerstag | |
soll die Elbe nach den neuen Prognosen der Hochwasservorhersagezentrale | |
Magdeburg hier im Dreiländereck von Niedersachsen, Schleswig-Holstein und | |
Mecklenburg-Vorpommern einen historischen Höchststand erreichen. Dann | |
stünden die tief gelegenen Teile der Stadt mehr als einen Meter hoch unter | |
Wasser. Bis Montagfrüh um 9 Uhr müssen die rund 300 betroffenen Lauenburger | |
ihre etwa 160 Häuser verlassen. Auch Kleinfeld, wenn er denn freiwillig | |
mitspielt. | |
Am Samstag bei strahlendem Sonnenschein und einer entspannten Vorhersage | |
von maximal 9,25 Meter Höchststand ist der 58-Jährige da noch sehr | |
entschieden. „Ich habe seit 1974 sechs Hochwasser mitgemacht und bin immer | |
geblieben“, sagt er. Weder seine Wohnung noch sein Atelier auf der anderen | |
Straßenseite direkt gegenüber habe er verlassen, er habe es im Rücken und | |
wolle nicht in irgendeiner Turnhalle auf einer Pritsche schlafen. Und es | |
kümmere ihn nicht, wenn ab einem Pegel von 9,30 Meter der Strom in der | |
Unterstadt abgestellt werde. „Ich kann gut ein paar Tage ohne Strom | |
auskommen“, sagt der Grafikdesigner und Maler. Sollten die zehn Meter | |
allerdings wirklich kommen, dann schwappt das Wasser in seine Wohnung. „Das | |
macht schon Angst“, sagt Kleinfeld. | |
Aber so richtig will er am Samstag noch nicht dran glauben, dass es so | |
kommt. Er hadert eher damit, dass die gesamte Unterstadt nun auch für | |
Fußgänger gesperrt wurde. Sie machen hier an den Sommerwochenenden mit den | |
Touristen ihr Geschäft. Viele Läden haben nur an den Wochenenden geöffnet. | |
„Beim Hochwasser 2011 kamen noch viele, um sich das Wasser anzugucken“, | |
sagt Kleinfeld. Sein Schild von damals „Preis-Katastrophe – Alles muss | |
raus!“ steht jetzt aber hinter der Ateliertür im Weg – es darf eh niemand | |
mehr herkommen. Also hat er den ganzen Vormittag weitere Plakate | |
geschrieben und in seine Atelierfenster gehängt. „Immer höher, immer enger, | |
immer schneller – unser wertvolles Kulturgut wird Profit-Interessen | |
geopfert!“ steht da etwa drauf. | |
## Leere Worte | |
Damit Ministerpräsident Torsten Albig und sein Innenminister Andreas | |
Breitner (beide SPD) beim Gang durch die Elbstraße was zu lesen haben. Die | |
beiden haben sich für Montag angekündigt und am Rande eines | |
Bürgerkongresses in Büdelsdorf hat Albig bereits Samstag erklärt, dass in | |
Lauenburg und Geesthacht das Menschenmögliche getan werde, um den Bürgern | |
bei der Bewältigung der Flut zu helfen. Für Kleinfeld erst mal nur leere | |
Worte, denn auch nach den immer höheren Pegelständen der vergangenen | |
Hochwasser sei nichts passiert, es gebe noch immer kein Konzept zum Schutz | |
der teilweise über 400 Jahre alten Fachwerkhäuser in der Unterstadt. | |
## Gaffer-Tourismus | |
Eine Konsequenz aus den Erfahrungen vom Hochwasser 2011 ist, die Unterstadt | |
nicht nur für Autos, sondern auch für Fußgänger zu sperren. Seit Samstag | |
darf hier niemand rein, der nicht hier wohnt. An allen Zugängen stehen | |
Polizisten in der Sonne, ein paar haben Glück und können unter gelben | |
Schirmen sitzen. Anwohner? Nein. Dann gehen Sie bitte. Runter geht‘s nur | |
mit Genehmigung und in Begleitung. Denn 2011 kamen rund 30.000 | |
Schaulustige. Zum Gaffen, sagt Natascha Pätzold vom Kreisfeuerwehrverband | |
beim Spaziergang durch die fast menschenleere Unterstadt. | |
Auf dem Kirchplatz spielen drei Jungs im weißen Sand, der vom | |
Sandsäcke-Füllen übrig geblieben ist, Mutter und Sohn kommen mit ihren zwei | |
Hunden vorbei, Helfer vom Roten Kreuz bringen Hühnerfrikassee und Reis, Eis | |
gibt‘s auch. 200.000 Säcke haben die ehrenamtlichen Helfer in Lauenburg | |
insgesamt gefüllt und verteilt, mehr gibt es für den Moment nicht zu tun – | |
außer Warten. „2011 standen die Leute nur im Weg, fotografierten und | |
machten tatsächlich noch blöde Bemerkungen“, sagt Pätzold, die vor zwei | |
Jahren auch schon als freiwillige Helferin dabei war, genau wie 2002. | |
Damals hat sie vor allem Sandsäcke zugebunden, eine irre schweißtreibende | |
Angelegenheit, sagt sie. | |
Eigentlich arbeitet Pätzold in der Tourismuszentrale Mölln und sie weiß, | |
dass das Hochwasser gerade jetzt in diesen schönen Tagen auch ein | |
wirtschaftliches Problem für die Menschen hier ist. Lauenburg sei ohnehin | |
eine strukturschwache Region mit der höchsten Arbeitslosigkeit im Kreis. | |
„Gerade an einem solch sonnigen Wochenende sind die Hotels hier mit | |
Radtouristen gern ausgebucht“, sagt Pätzold. Das sei natürlich ein herber | |
Verlust, wenn die Buchungen storniert werden müssen wegen des Hochwassers. | |
Von den Schäden, die das Wasser anrichten könne, ganz abgesehen. „Und die | |
meisten haben hier keine Hochwasserversicherung“, sagt Pätzold. Entweder | |
bekämen sie gar keine mehr oder sie sei so teuer, dass es sich schlicht | |
nicht lohne. | |
## Versicherung – Fehlanzeige | |
Kleinfeld hat auch keine Versicherung, ach, winkt er ab. Und eine | |
Entschädigung habe er bisher auch nie bekommen. „Wenn Ihnen das ganze Haus | |
wegschwimmt wie den Leuten in Bitterfeld oder Grimma, dann ist der Schaden | |
klar“, sagt Kleinfeld. „Aber was machen Sie, wenn Ihnen die Kühltruhe | |
wegrostet?“ Nein, nein, da erwarte er auch keine Hilfe. Seinen Computer hat | |
er in den ersten Stock getragen und nun kann er nur hoffen, dass das Wasser | |
nicht in sein Atelier eindringt. Dort ist nichts leer geräumt – geht auch | |
nicht, er würde allein für die Werkstadt im hinteren Teil des Gebäudes Tage | |
brauchen, um sie auszuräumen. Nein, er bleibe einfach hier. | |
## Zum Weggehen überreden | |
„Zur Not kommen wir mit der Polizei“, sagt Pätzold. Und seit Sonntagfrüh | |
gehen Polizisten und Mitarbeiter der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft | |
in Zweierteams durch die Unterstadt und sprechen mit den Anwohnern, stimmen | |
sie auf die bevorstehende Evakuierung ein. Pätzold versteht, dass die | |
Menschen ihr Hab und Gut nicht zurücklassen wollen, aber Hierbleiben sei | |
einfach zu gefährlich. Außerdem werde ja auch nicht nur der Strom | |
abgestellt, damit könne man sicher ein paar Tage zurechtkommen. „Viele | |
vergessen aber, dass auch die Toiletten nicht mehr funktionieren, wenn das | |
Hochwasser kommt“, sagt Pätzold. Abgesehen davon wisse man einfach nicht, | |
was bei Pegelständen jenseits der zehn Meter passieren wird, wie die alten | |
Häuser auf das Wasser reagieren, ob die Straße unterspült werde – darum | |
müssen alle Anwohner raus. | |
Mario Scheuermann wohnt erst seit gut anderthalb Jahren in der Lauenburger | |
Unterstadt. Der 64-Jährige ist gemeinsam mit seiner Frau aus Hamburg | |
hergezogen und die beiden schlendern am Samstag durch die sonnige | |
Elbstraße. „So ohne Autos ist das doch herrlich“, sagt Scheuermann, währe… | |
seine Frau an einer Sandsackmauer lehnt und auf die vorbeifließende Elbe | |
blickt. Normalerweise fließt der Fluss hier mit etwa einem Meter pro | |
Sekunde vorbei, jetzt ist die Elbe schon fast doppelt so schnell, Tendenz | |
steigend. „Es gibt Berechnungen, nach denen das Wasser mit bis zu acht | |
Metern pro Sekunde hier durch die Elbstraße schießt, wenn die Pegel über | |
die zehn Meter steigen“, sagt Scheuermann. „Und ich glaube ja, dass die | |
Feuerwehr das zu gern mal sehen würde, einfach um zu wissen, was wirklich | |
passiert.“ Pätzold lächelt diese Bemerkung weg. Solche Szenarien wolle | |
natürlich niemand erleben. | |
## Zigaretten-Spenden | |
Scheuermann wohnt nicht in der ersten Elb-Reihe, ist von einer Evakuierung | |
nicht betroffen und hat darum in den vergangenen Tagen mit anderen | |
Anwohnern eine Nachbarschaftshilfe organisiert. Sie haben Keller | |
ausgeräumt, Möbel und Wertgegenstände in den ersten Stock getragen, | |
Sandsäcke gestapelt „und auch das ein oder andere Klavier aufgebockt“, sagt | |
Scheuermann. Bis auf die Polizisten sind hier sowieso nur freiwillige | |
Helfer im Einsatz, 400 waren es allein am Samstag. Dazu kommt auch ein | |
Eiswagen, eine Pommesbude, ein Unternehmen hat einen Haufen Mückenschutz | |
gespendet, ein anderes Sonnenmilch und ein drittes Zigaretten en masse. | |
„Zwischendurch mussten wir sogar einige Helfer wegschicken, sie standen | |
sich hier gegenseitig auf den Füßen“, sagt Pätzold. Dieser unbedingte | |
Wille, zu helfen und zusammenzuhalten, sei schon immer wieder | |
beeindruckend. Die Turnhallen stehen für die Evakuierten bereit, aber | |
soweit Pätzold weiß, werden die meisten bei Familie und Freunden | |
unterkommen. | |
## Die Unvermeidlichen | |
Ein paar Schaulustige haben dann doch noch einen Weg gefunden, sich das | |
Hochwasser anzusehen. Zwar hat die Polizei auch die Zufahrten zur Siedlung | |
auf der gegenüberliegenden Elbseite abgesperrt, aber da kann man sich | |
durchmogeln. Die Elbpromenade der Lauenburger Unterstadt steht schon unter | |
Wasser und in der Elbe treiben Fetzen von Wiesen und Baumstämme vorbei. | |
„Guck mal, vor zwei Stunden war der Wasserstand noch zehn Zentimeter | |
niedriger“, sagt ein Mann in Shorts zu seiner Frau und zeigt auf den Pegel | |
im Fluss. Am Samstagnachmittag kratzt er an den sieben Metern, am | |
Sonntagmorgen sind es bereits 7,80 Meter. | |
An den bislang höchsten Wasserstand der Stadt kann sich keiner mehr | |
erinnern: 1855 stieg die Elbe 9,88 Meter hoch. Es gibt aber keine Berichte | |
darüber, was die Elbfluten damals wirklich anrichteten. Sollte die Elbe am | |
Donnerstag tatsächlich einen Stand von 10, 10 Metern erreichen, dann wird | |
man nicht einmal mehr den Pegel sehen können. | |
9 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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