| # taz.de -- Demos in Bosnien und Herzegowina: Schnuller als Protestsymbol | |
| > Tausende gehen in Sarajevo und anderen Städten auf die Straßen. Dass | |
| > Säuglingen eine Sozialversicherung verwehrt wird, ist für sie ein | |
| > Politikum. | |
| Bild: Auch Studenten demonstrierten am Dienstag vor dem Parlament in Sarajevo. | |
| SARAJEVO taz | Verblüfft stehen die Polizisten vor dem Parlament von | |
| Bosnien und Herzegowina, um es vor den Demonstranten zu schützen. Denn | |
| ihnen gegenüber sind keine militanten Männer zu sehen, sondern greinende | |
| Babygesichter. Die Babys sind zum Symbol des Protestes in Bosnien und | |
| Herzegowina geworden. Demonstranten halten Plakate mit Schnullern hoch. | |
| Tausende von Menschen demonstrierten auch am Dienstag wieder in der | |
| Hauptstadt Sarajevo, in Mostar, Tuzla sowie anderen Städten gegen die | |
| Zustände in ihrem Land und gegen die Politik, die den Babys eine | |
| Sozialversicherungsnummer verwehrt. | |
| Die Protestbewegung hatte bereits im Februar begonnen. Einem Neugeborenen | |
| wurde die Sozialversicherungsnummer verwehrt, weil sich die Politiker nicht | |
| über die Prozeduren hatten einigen können. Wieder wurden auf dem Rücken der | |
| Bürger ethnische Streitereien zwischen politischen Parteien ausgetragen. | |
| So will die serbische Teilrepublik die ethnische Herkunft der Babys | |
| kenntlich machen. Der betroffene Säugling war krank und konnte offenbar nur | |
| im Ausland behandelt werden. Doch ohne die Sozialversicherungsnummer gibt | |
| es keinen Pass. Die Familie mobilisierte Freunde. Über Facebook wurde der | |
| Skandal öffentlich. | |
| ## "Es geht um unsere Zukunft" | |
| Am 5. Juni versammelten sich spontan einige hundert Menschen vor dem | |
| Parlament in Sarajevo, es waren vor allem Frauen mit ihren Kindern. Einen | |
| Tag später waren es schon Tausende, die, ohne erkennbar organisiert zu | |
| sein, spontan zu den Protesten kamen. Unter ihnen Studenten, Künstler, | |
| Mütter, Rentner. Und viele Kinder. Sie umringten das Gebäude und ließen die | |
| Parlamentarier nicht mehr heraus. | |
| „Es geht schon längst nicht mehr nur um Babys und | |
| Sozialversicherungsnummern“, sagt die 29-jährige Lana Pesic, „es geht um | |
| unser Leben, unsere Zukunft. Wir in Bosnien können mit dieser Politik und | |
| diesem Staat nicht weiterkommen“ | |
| Die Kunststudentin hatte am 6. Juni Geburtstag und über Facebook ihre | |
| Freunde aufgefordert, zu den Protesten zu kommen. Auch am Dienstag war sie | |
| wieder dabei. „Ich fühle mich frei. Endlich können wir unsere Meinung auf | |
| der Straße zum Ausdruck bringen.“ Der Musikstudent Emir stimmt dem zu. Mut | |
| macht beiden, dass alles spontan abläuft. „In der Türkei begannen die | |
| Proteste wegen eines Parks“, sagt Emir. „Bei uns könnten die Babys die | |
| Initialzündung sein.“ | |
| Die Frage ist nun, ob diese Proteste auch ethnische Grenzen überwinden | |
| können. In der Hauptstadt der serbischen Teilrepublik Banja Luka kommt es | |
| ebenfalls zu Protesten. Ein Mann wehrt sich gegen die Enteignung seines | |
| Grundstücks, auf dem ein Einkaufszentrum errichtet werden soll. Über | |
| soziale Netzwerke hat sich eine Protestbewegung entwickelt. „Wir | |
| demonstrieren für Babies, die anderen gegen ein Einkaufszentrum,“ sagt | |
| Lana. „Der Bürgerprotest verbindet uns.“ | |
| 12 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Erich Rathfelder | |
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