# taz.de -- Traditions-Enzyklopädie wird eingestellt: Lasst den Brockhaus frei! | |
> Im letzten Brockhaus lebt Loriot noch und Schröder ist Bundeskanzler. Amy | |
> Winehouse fehlt. Nun gibt es die Gelegenheit für einen zeitgemäßen | |
> Abgang. | |
Bild: Heute allenfalls ein Scheinriese: Der Brockhaus. | |
Das Aus des berühmtesten deutschen Konversationslexikons Brockhaus kostet | |
300 Leute in Verlag und Vertrieb den Job, teilte der Medienkonzern | |
Bertelsmann mit. Das ist für die Betroffenen schlimm, sonst für niemanden. | |
Wer sich den 30-Bänder in der aktuellen, 21. Auflage zulegen würde, bekäme | |
für seine 2.800 Euro ein Werk, das zwischen 2005 und 2006 erschienen ist. | |
Der „Deutschland“-Artikel datiert vom Oktober 2005, Redaktionsschluss | |
irgendwann im Frühjahr – da war Gerhard Schröder noch Bundeskanzler. Der | |
amtierende US-Präsident wäre unter „Bush, George W.“ zu finden. Tröstlich | |
allerdings, dass Loriot noch lebte und Rudi Carrell und Michael Jackson | |
auch. | |
Und Amy Winehouse. Aber der Brockhaus würde sie nicht unter den Lebenden | |
melden, sondern überhaupt nicht. Denn mit „Rehab“ begann ihre | |
internationale Karriere erst nach dem Erscheinen des Buchstabens W. Bei | |
Sebastian Vettel ebenfalls Fehlanzeige; er startet erst seit 2007 in der | |
Formel 1. Wer’s gern weniger unterhaltsam hat: Der Teilchenbeschleuniger | |
LHC wäre noch im Bau, die Dunkle Materie eine dubiose astrophysikalische | |
Idee. Und die längste Brücke der Welt stünde noch in den USA (38 Kilometer) | |
und nicht in China (165 Kilometer). | |
Aber dafür gibt es doch die Online-Aktualisierung, mag der | |
Bertelsmann-Vertreter an der Haustür sagen – solche Lexika werden den | |
Leuten meist im Direktverkauf angetragen. Die Nachlieferungen aber lösen | |
die Printstandards nicht ein, denn die renommierte Fachredaktion des | |
Lexikons ist bereits seit 2008 aufgelöst. Wenn überhaupt, werden die | |
Aktualisierungen wohl nur gelesen, weil sie, im Kaufpreis inbegriffen, so | |
teuer sind. | |
## Zeitgemäße Nachfolgerin | |
Einen guten Ruf hat das digitale Angebot ohnehin nicht. Lange lief der | |
Online-Brockhaus nur auf Microsoft-Geräten. Käufer erinnern sich an die | |
legendär schwierige und fehleranfällige Installation mithilfe eines | |
USB-Sticks. Und von den 40.000 Bildern der gedruckten Ausgabe gibt es im | |
persönlichen Online-Zugang nur 15.000. Immerhin will Bertelsmann seiner | |
Verpflichtung nachkommen, das Online-Angebot noch ein paar Jahre | |
aufrechtzuerhalten. | |
Dabei ist der Konkurrent übermächtig. Die Wikipedia ist die zeitgemäße | |
Nachfolgerin aller Enzyklopädien; täglich klicken die Nutzer allein in der | |
deutschen Ausgabe 31 Millionen Mal die Artikel an. In der Qualität steht | |
sie dem Brockhaus längst nicht mehr nach. In Themenbreite und Aktualität | |
ist sie unschlagbar. Sie ist leicht zu benutzen und trotz aller Unkenrufe | |
zitierfähig geworden. Und eben kostenlos. | |
Der Brockhaus ist nicht ihr einziges Opfer. Der Software-Konzern Microsoft | |
schloss 2009 alle Sprachversionen seiner Enzyklopädie Encarta. Die | |
Encyclopaedia Britannica, das Flaggschiff der Branche, verzichtet seit 2012 | |
auf alle Print-Veröffentlichungen. Fachlexika ziehen sich hinter eine | |
Paywall zurück oder zeigen sich zwar online, lassen aber keine Mitarbeit | |
zu. Dabei geht im Bereich der Nachschlagewerke nichts mehr ohne | |
kollaborative Angebote. | |
Das Verlagshaus will die Restauflage seiner gedruckten Enzyklopädie noch | |
verkaufen. Man mag sich fragen, ob das angesichts des kostenlosen Angebots | |
von Wikipedia überhaupt noch moralisch zu rechtfertigen ist. Denn welcher | |
Vertreter kann ernsthaft behaupten, dass sich der Kauf der Ausgabe noch | |
lohnt? Wenn es Bertelsmann aber auch um den Zugang zu enzyklopädischem | |
Wissen ginge, wäre ein großartiger Abgang denkbar: den Inhalt des | |
Konversationslexikons komplett unter freie Lizenz und damit der Wikipedia | |
zur Verfügung zu stellen. | |
12 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Dietmar Bartz | |
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