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# taz.de -- Brockhaus-Lexikon von Bertelsmann gekauft: Keine zweite Wikipedia
> Wie sieht die Zukunft der Brockhaus-Enzyklopädie aus? Eine zweite
> Wikipedia wäre jedenfalls der falsche Weg. Kompetent organisiertes Wissen
> ist nicht zum Nulltarif zu haben.
Bild: Fällt demnächst der Vorhang für den Brockhaus?
Mitte Dezember wurde bekannt, dass der Bertelsmann-Konzern die seit über
200 Jahren bestehende Marke Brockhaus erworben hat. Damit könnte das Ende
der gedruckten Brockhaus-Enzyklopädien eingeleitet werden, denn wie
Bertelsmann die erworbenen Rechte vermarktet, ist unklar. Auf jeden Fall
fehlt dem neuen Besitzer der lexikographische Sachverstand jener in den
Brockhaus-Redaktionen in Mannheim und Leipzig, die jetzt entlassen werden.
Das ist jedoch nur ein Teil der Neuigkeit, die einen epochalen Einschnitt
bedeuten könnte.
Die Konversationslexika aus dem Hause Brockhaus sind das Ergebnis des
exponentiellen Wachstums des Wissens: Im 18. Jahrhundert, der Epoche der
Aufklärung und der Enzyklopädien, kam die Idee auf, das gesamte Wissen zu
sammeln. Das Projekt erwies sich bald als undurchführbar, denn die
Wissensproduktion, zumal in den Naturwissenschaften und in der
industriellen Technik, wuchs dermaßen schnell, dass die Lexikographen
schlicht nicht mithalten konnten. Erschien ein Band, war er teilweise schon
veraltet. Und wenn man beim Buchstaben Z ankam, fehlte die Hälfte des
"gesamten" Wissens. Die "Deutsche Enzyklopädie" zum Beispiel wurde deshalb
1804 nach 36 Jahren mit dem 23. Band beim Buchstaben K abgebrochen.
Der ehrgeizige enzyklopädische Gedanke hatte zwei Erben. Zum einen
beschränkte man sich fortan auf Enzyklopädien für einzelne überschaubare
Fachgebiete. Zum andern entstanden Konversationslexika, die nicht das
gesamte Wissen enthielten, sondern nur das für die Unterhaltung unter
Bildungsbürgern nötige Wissen. Erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts
stellen Konversationslexika höhere wissenschaftliche Ansprüche, und erst
mit der 17. Auflage (1966) nennt sich der Brockhaus wieder Enzyklopädie -
freilich ohne den alten Vollständigkeitsanspruch.
Mit dem Aufkommen elektronischer Enzyklopädien wie Wikipedia droht der
gedruckten Brockhaus-Enzyklopädie dasselbe Schicksal wie den alten
Enzyklopädien. Das elektronische Medium ist schneller, billiger und weit
umfangreicher. Verdient also das gedruckte Medium nichts als das
Verschwinden? Mitnichten.
Zu Cyber-Euphorie besteht kein Anlass. Schon das Problem der Haltbarkeit
des Wissens ist nicht gelöst. Dateien des 1984 gebauten Atari ST sind nicht
mehr oder nur mit irrem Aufwand lesbar zu machen. Zum Wissen gehört auch
dessen geschichtliche Entwicklung - also die Irrtümer und die Umwege, auf
denen es entstand.
Das Online-Lexikon Wikipedia ist nach Umfang und Tempo dem gedruckten
Brockhaus überlegen. Aber Wikipedia organisiert nicht Wissen, sondern
zerstückelt es in Wissenspartikel und ein Labyrinth von blau unterlegten
Verweisen, während die Lexikographen bei Brockhaus das
unübersichtlich-chaotische Expertenwissen von tausenden von Spezialisten zu
konsistenten und übersichtlichen Informationseinheiten verdichten.
Ob ein Brockhaus gedruckt oder nur ins Netz gestellt wird, ist eine
finanzielle, also untergeordnete Frage. Vorrangig dagegen: auch ein
Gratis-Online-Brockhaus müsste aus der Masse des täglich neu entstehenden
Wissens das Wichtige auswählen, benutzerfreundlich ordnen und das veraltete
Wissen so sachte eliminieren, dass keine kulturellen Brüche entstehen. Das
kostet Geld und kann nicht Gratis-Mitarbeitern überlassen werden, wenn das
Qualitätsniveau von Brockhaus gehalten werden soll.
Nur eine aberwitzige Ideologie kann glauben machen, kompetent organisiertes
Wissen sei dauerhaft zum Nulltarif zu haben. Wenn der gedruckte Brockhaus
verschwindet, drohen nicht Weltuntergang oder barbarische Ignoranz. Aber
anstrebenswert ist nicht eine Angleichung von Brockhaus und Wikipedia,
sondern zwei Medien: eines auf dem Niveau von Wikipedia und eine
Online-Enzyklopädie von Brockhaus-würdigem Format.
27 Dec 2008
## AUTOREN
Rudolf Walther
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