# taz.de -- Wahl im Iran: Der Sprössling der Revolution tritt ab | |
> Mahmud Ahmadineschad war acht Jahre Präsident. Er hat sich viele Feinde | |
> im Ausland und im Iran gemacht. Bei der Präsidentenwahl siegt | |
> überraschend der Reformer Ruhani. | |
Bild: Mahmud Ahmadineschad hat eine steile Karriere in der Islamischen Republik… | |
BERLIN taz | Acht Jahre lang war er an der Macht. Acht Jahre lang hat er | |
polarisiert. Im Dezember 2005 bezeichnet er den Holocaust als Mythos. Im | |
Juli 2009 sorgen Berichte über Folter, Morde und Vergewaltigungen | |
festgenommener Demonstranten im Gefängnis Kahrisak für Empörung. Im April | |
2011 versucht er den Geheimdienstminister zu ersetzen, scheitert aber am | |
Veto des geistlichen Oberhaupts Ajatollah Ali Chamenei. Er legt die Arbeit | |
für elf Tage nieder. Im Juni 2013 muss er sein Amt abgeben. | |
Mahmud Ahmadinedschad hat sich wohl in seinen kühnsten Träumen nie | |
vorstellen können, berühmt zu werden. Stammt er doch aus einfachen | |
Verhältnissen. Geboren in einem kleinen Dorf nahe der im Norden des Iran | |
gelegenen Stadt Garmsar, zog nach seiner Geburt die Familie nach Teheran | |
und führte hier im Süden der Stadt ein bescheidenes Leben. | |
Als 1979 die Revolution ausbrach, studierte Ahmadinedschad. Begeistert vom | |
Revolutionsführer Ajatollah Chomeini, meldete er sich zu Beginn des | |
iranisch-irakischen Kriegs als Freiwilliger und trat der Revolutionsgarde | |
bei. | |
Dieser Krieg, der acht Jahre dauerte, prägte eine ganze Generation. | |
Chomeini hatte den Krieg zum Heiligen Krieg erklärt. Millionen Jugendliche | |
folgten seinem Ruf und gingen an die Front, bereit, für den Islam den | |
Märtyrertod zu sterben. Sie waren es, die unter unzähligen Opfern das Land | |
verteidigten, im Landesinnern die Opposition liquidierten, die Gefängnisse | |
überwachten, Massendemonstrationen veranstalteten, die Sicherheitsorgane, | |
die Polizei und die Milizenorganisation Basidsch aufbauten. Diese | |
Generation war überzeugt, dass der Islam die einzige Rettung sei aus der | |
Rückständigkeit, für die sie vor allem den Westen verantwortlich machte. | |
Ahmadinedschad ist ein Sprössling dieser Zeit. | |
## Ideologisch verlässlich, materiell anspruchslos | |
Seine steile Karriere ist in der Islamischen Republik einmalig. 2003 wurde | |
er zum Teheraner Bürgermeister gewählt, zwei Jahre später zum | |
Staatspräsidenten. Der bescheidene Mann im grauen Anorak, der in einer | |
Dreizimmerwohnung hauste und einen 30 Jahre alten Peugeot fuhr, schien aus | |
der Sicht Chameneis wie kaum ein anderer für das Amt geeignet. Ideologisch | |
verlässlich, materiell anspruchslos, politisch radikal und über jeden | |
Verdacht erhaben, mit dem Revolutionsführer zu rivalisieren, ihm Widerstand | |
leisten oder gar seine unbegrenzte Macht antasten zu wollen. | |
Der neue Präsident trat als Anwalt der Armen und Barfüßigen auf. Er wolle | |
dafür sorgen, dass der Reichtum des Landes den Habenichtsen zugutekomme. Er | |
reiste von Stadt zu Stadt, ging in kleine Dörfer, verteilte Geschenke und | |
genoss den Jubel der Massen. Er habe den Auftrag, die Rückkehr des Imam | |
Mahdi, des Messias, vorzubereiten, verkündete er und schien tatsächlich | |
davon überzeugt zu sein. | |
Diese Überzeugung vertrat er auch bei seinen häufigen Auslandsreisen. Bei | |
seinem ersten großen Auftritt 2005 vor der UN-Vollversammlung verwirrte er | |
seine Zuhörerschaft, indem er zum Schluss sagte: „O allmächtiger Herr, ich | |
bete zu dir das Erscheinen deiner letzten Quelle, des versprochenen, des | |
perfekten und reinen menschlichen Wesens zu beschleunigen, dem einen, der | |
diese Welt mit Gerechtigkeit und Frieden füllen wird.“ | |
Als er nach Hause zurückkehrte, schilderte er im Kabinett, wie es ihm | |
ergangen war: „Einer von uns sagte mir, als ich begann zu sagen ’Im Namen | |
Gottes des Allmächtigen und Barmherzigen‘, da sah er ein Licht um mich und | |
ich befand mich innerhalb dieser Aura. Ich spürte es selbst. Ich fühlte, | |
wie sich die Atmosphäre plötzlich veränderte, und diese 27 oder 28 Minuten | |
lang zwinkerten die Führer der Welt nicht einmal … Und sie hielten den Atem | |
an. Es schien, als ob eine Hand sie dort festhielt und ihre Augen geöffnet | |
hätte, um die Botschaft der Islamischen Republik zu empfangen.“ | |
## Seine Härte brachte ihm Bewunderung | |
Je radikaler Ahmadinedschad auftrat, desto mehr Publicity bekam er. Seine | |
Verbalattacken gegen Israel und die USA, seine unnachgiebige Haltung im | |
Atomstreit lösten in der arabisch-islamischen Welt Bewunderung und | |
Anerkennung aus. Er wurde als Held gefeiert, als einziger Politiker, der | |
den Mut aufbrachte, den Mächtigen die Stirn zu bieten. | |
Als er dank der Unterstützung Chameneis und eines eklatanten Wahlbetrugs | |
nach vier Jahren wiedergewählt wurde, fühlte sich Ahmadinedschad auf der | |
Höhe seiner Macht, und er wurde übermütig. Er forderte seinen Gönner, den | |
mächtigen Revolutionsführer heraus. Er habe einen direkten Draht zu Mahdi, | |
dessen Auftrag er zu erfüllen verpflichtet sei. Damit deute er an, dass die | |
Geistlichkeit, die selbsternannten Stellvertreter Gottes auf Erden, | |
überflüssig seien. Strebte er eine Islamische Republik ohne den Klerus an? | |
Damit nicht genug, er wendete sich dem Nationalismus zu, pries die | |
großartige alte iranische Kultur. Der Islam, der damals nach Iran gebracht | |
wurde, sei gemäß der kaum entwickelten arabischen Kultur unterentwickelt | |
gewesen, sagte er. Erst durch die Vermischung mit der weit höher | |
entwickelten iranischen Kultur habe er seine Größe erreicht. Daher müssten | |
die Iraner den „iranischen Islam“ verbreiten. Der traditionelle Islam sei | |
längst passé. | |
Diese Position, mit der er die iranische Mittelschicht für sich zu gewinnen | |
hoffte, bedeutete eine Kampfansage an Chamenei und den gesamten Klerus. Sie | |
setzten alle Hebel der Macht gegen ihn in Bewegung. Einige seiner engsten | |
Mitarbeiter wurden unter Korruptionsvorwürfen in Haft genommen. Er wehrte | |
sich, hielt in der Provinz große Kundgebungen ab, drohte, geheimes | |
Beweismaterial über korrupte Machenschaften der Gegenseite zu | |
veröffentlichen. Aber er hatte seine Macht weit überschätzt. Zuletzt | |
scheiterte er mit dem Versuch, Rahim Maschai als seinen Nachfolger | |
durchzusetzen, am Veto des Wächterrats. | |
Seitdem ist es um den aufmüpfigen Präsidenten still geworden. Warum macht | |
er seine Drohungen nicht wahr, warum wehrt er sich nicht, fragen die Leute. | |
Aber Ahmadinedschad schweigt. Wer hätte gedacht, dass dieser | |
unruhestiftende Präsident am Ende die politische Bühne schweigend und | |
einsam verlässt. | |
15 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Bahman Nirumand | |
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