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# taz.de -- Prozess gegen Lothar König: Aufschlussreiche Aufnahmen
> Der Jenaer Jugendpfarrer König soll zur Gewalt aufgerufen haben. Seine
> Verteidigung kann die Vorwürfe widerlegen. Ein Lehrstück aus der
> sächsischen Justiz.
Bild: Der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König im April im Dresdener Gerichtssaal…
DRESDEN taz | Der Prozess, sagt Lothar König, habe biblische Dimensionen.
„Wir haben es mit dem Bösen zu tun.“ Und fügt schnell hinzu: „Damit mei…
ich nicht das Amtsgericht an sich, sondern die Strukturen.“ Am Anfang
kokettiert er noch ein bisschen mit seiner Rolle.
Es gibt auch später Momente, in denen er scherzt. In anderen klingt er wie
ein trauriges Kind: „Kann ich bitte den Lauti wiederhaben?“, fragt er leise
und meint den Lautsprecher-VW-Bus, den die sächsischen Ermittler vor zwei
Jahren beschlagnahmten. Die meiste Zeit aber ist Lothar König schlicht
genervt, am liebsten würde er rausgehen. Als Angeklagter darf er das nicht.
Lothar König ist evangelischer Stadtjugendpfarrer in Jena. Häufig fährt er
mit Mitgliedern seiner Jungen Gemeinde Stadtmitte zu Demonstrationen. Er
begleite die jungen Leute, sagt er, damit sie keine Dummheiten machen. So
auch am 19. Februar 2011 in Dresden, als dort tausende Menschen gegen den
größten Nazi-Aufmarsch Europas auf die Straße gingen.
Geht es nach der Staatsanwaltschaft Dresden, ist König ein Straftäter. Er
soll zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen haben. Sein Lautsprecherbus, so
lässt sich die Anklageschrift zusammenfassen, soll die Zentrale der
gewaltbereiten Gegendemonstranten gewesen sein. Verhandelt wird unter dem
Aktenzeichen 200 Ls 205 Js 19573/11. Hauptvorwurf: „besonders schwerer
Landfriedensbruch“.
## Großer öffentlicher Andrang
König ist seit der Wende der erste Pfarrer der Evangelischen Kirche in
Mitteldeutschland, der vor Gericht steht. Damit möglichst viele Zuschauer
Platz haben, hat das Amtsgericht Dresden den Prozess in den größten Saal im
Landgericht verlegt. Im Saal A 2.133 gibt es 117 Sitzplätze, 38 sind für
Journalisten reserviert. Die Gerichtsöffentlichkeit, sie ist größer als
beim NSU-Prozess in München.
Seit Anfang April wird verhandelt, an fünf Tagen bislang. Eigentlich sollte
am Donnerstag das Urteil ergehen. Aber nun stehen noch vier Prozesstage an,
am 5. Juli will das Schöffengericht das Urteil sprechen. Höchststrafe: vier
Jahre Haft.
Lothar König ist 59 Jahre alt, und es sagt einiges über ihn aus, dass es
die Reporter in ihre Artikeln erwähnen, wenn er ausnahmsweise Strümpfe in
seinen Sandalen trägt. Vor Gericht möchte er erst einmal einiges
geraderücken. Es sei doch keine gewaltbereite Menge gewesen, damals in
Dresden. „Wir brauchen doch Leute, die Demokratie inhaltlich füllen, die
ihr Herzblut dafür hergeben.“
## Unerlaubter Liveticker
Solche Sätze kommen gut an bei den Zuschauern im Saal. Denn die
allermeisten sind auf seiner Seite. Viele sind aus Thüringen mit dem
Reisebus gekommen, junge Frauen im Punker-Look, Senioren. Vor dem
Gerichtsgebäude haben seine Unterstützer an jedem Prozesstag eine Demo
angemeldet. Und drinnen bringen sie den Richter und die Staatsanwältin
zwischendurch fast zur Verzweiflung.
Ulrich Stein, seit 22 Jahren Richter, wirkt im Umgang mit der
Öffentlichkeit etwas unbeholfen. Am ersten Prozesstag unterbricht er
aufgeregt die Sitzung. Er hat, wie sich später herausstellen wird,
mitbekommen, dass die JG Stadtmitte einen Liveticker aus dem Prozess
befüllt. Direkt aus dem Saal sei das nicht erlaubt.
Auf der anderen Seite ist es dem Richter wichtig, dass die Zuschauer alles
mitbekommen. Videos sollen auf einer großen Leinwand gezeigt werden. Dafür
nimmt er auch in Kauf, dass Probleme auftreten wie bei einem Referat im
Uni-Seminar. Das Bild bleibt schwarz. „Wir haben das falsch gemacht“, sagt
der Richter. „Man muss erst den Beamer und dann den Laptop anschalten.“
Dann hat er erst das falsche Programm angeklickt. Das Video läuft kurz,
stockt dann wieder.
Die Videos, die die Verteidigung in den Prozess einbringt, sind Aufnahmen,
die das Potenzial haben, König vor dem Gefängnis zu bewahren. Die JG
Stadtmitte hat sie selbst gemacht. Schon lange filmen sie ihre Aktionen.
Eigentlich wollten sie nie, dass das Bildmaterial in die Hand von Behörden
gelangt. Sie haben lange diskutiert und dann möglichst kurze Ausschnitte
ausgewählt, die Gesichter von Unbeteiligten wurden verpixelt.
## Abweichende Erinnerung
Legt man die Anklageschrift zugrunde, müssen die Aufnahmen aus einem
Paralleluniversum stammen. Vor Gericht läuft das dann immer so ab: Der
Verteidiger befragt Polizisten, und die sind sich mit ihrer Aussage ganz
sicher. Das Video wird gezeigt. Die Polizisten sagen dann: Da ist meine
Erinnerung anders.
Bert E. etwa. Der Führer einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit
beschreibt, wie König versucht haben soll, einem Steinewerfer bei der
Flucht vor der Polizei zu helfen. Der junge Mann fuhr ein Stück außen an
Königs VW-Bus mit. Zwei von E.s Leuten verfolgten ihn. Natürlich hätten sie
ihn vor der Festnahme angesprochen, sagt E. aus. Einen Schlagstock? Daran
könne er sich nicht erinnern.
Das Video zeigt, wie einer der Polizisten den Mann ohne Vorwarnung mit dem
Schlagstock auf Kopf und Schulter schlägt, bis er auf den Boden fällt.
Oder Alexander E., Leiter einer Einsatzhundertschaft der Bundespolizei. Er
ist sich ganz sicher, dass er eine Durchsage aus Königs blauem VW-Bus
gehört hat: „Deckt die Bullen mit Steinen ein!“ Das Video zeigt eindeutig:
Zur fraglichen Zeit ist der VW-Bus längst an E.s Polizeiauto
vorbeigefahren. Es gab auch keine Durchsage, sondern es lief Musik: „Bella
Ciao“.
Der Richter muss zugeben: „Das war sehr aufschlussreich, was Sie uns da
gezeigt haben.“
## Gezielte Pöbeleien
Das ist ein Satz, wie ihn Johannes Eisenberg gerne hört. Der Berliner
Anwalt (der auch regelmäßig die taz vor Gericht vertritt) ist ein
Strafverteidiger mit Überzeugungen, für die er lautstark einsteht. Die
gezielte Pöbelei hat er zu seinem Markenzeichen gemacht. Gemeinsam mit
seiner jungen Kollegin Lea Voigt treibt er die Staatsanwaltschaft vor sich
her.
Eisenberg pflaumt einen Polizisten an, der als Zeuge aussagt: „Werden Sie
nicht frech, Freundchen!“ Dem Richter wirft er vor, Akten bewusst
vorzuenthalten und voreingenommen zu sein. Die Staatsanwältin bekommt
besonders häufig seinen Unmut zu spüren („Die hört ja Stimmen“). Diese
wiederum beschwert sich regelmäßig, dass das Publikum klatscht und lacht.
„Wir sind hier nicht im Fernsehen“, schimpft sie. Aber wer den Prozess in
Dresden verfolgt, dem kommen die Gerichtsshows im Privat-TV nicht mehr so
realitätsfremd vor.
## Familienstand unbekannt
Ute Schmerler-Kreuzer, die Staatsanwältin, ist seit Jahren im Bereich
Staatsschutz der Staatsanwaltschaft Dresden tätig. Sie hält eisern an den
Vorwürfen gegen König fest, auch wenn diese sich nach und nach in Luft
auslösen. Eine Dame in Kostüm und Stöckelschuhen. Bevor sie die schwarze
Robe überstreift, zieht sie ihre Jacke aus.
Dass ihre Anklageschrift wenig überzeugend wirkt, fängt bei Kleinigkeiten
an. „Familienstand unbekannt“ hat sie über König vermerkt. Dabei ist er
verheiratet. Von „Musik mit aggressivem, anheizenden Rhythmus“ schreibt sie
und weiß gar nicht, was gespielt wurde. Etwa die Rolling Stones mit „Paint
it Black“.
Als ein Video zeigt, dass König nicht ein Polizeiauto rammen wollte, als er
mit seinem Bus leicht nach links zog, sondern einem Mann ausgewichen ist,
sagt die Staatsanwältin: „Auf dem Video ist zu sehen, dass die Ampel rot
war.“ Nur: Um diese Frage geht es gar nicht.
## Verschiedene Welten
Was treibt die Staatsanwältin an? Es ist unbestritten, dass es am 19.
Februar 2011 auch zu Gewalt von Gegendemonstranten kam. Es scheint, als
müsse unbedingt ein Organisator als Schuldiger gefunden werden. Die
Staatsanwältin will sich außerhalb der Verhandlung nicht äußern. Spricht
man sie an, sagt sie nur: Sie habe noch nie eine Gerichtsverhandlung
erlebt, bei der sie derart persönlich angegriffen worden sei.
Vor dem Amtsgericht in Dresden treffen unterschiedliche Welten aufeinander.
Für Lothar König, seine Verteidiger und seine Unterstützer ist
demonstrieren ein uneingeschränktes Grundrecht, auch und vor allem
demonstrieren gegen Nazis.
Auf der anderen Seite steht eine Staatsanwaltschaft, die härtere Kriterien
anlegt. Die von einer „Aufenthaltsverbotszone“ spricht, obwohl selbst der
sächsische Innenminister längst klargestellt hat, dass es die gar nicht
gab. Unterstützt wird sie von Polizisten, die Anti-Nazi-Demonstranten
pauschal als „schwarzen Mob“ bezeichnen und denen der Zusammenhalt unter
Kollegen wichtiger ist als die Wahrheit.
## Wie reagiert die Kirche?
Da Lothar König Pfarrer ist, wurde auch die Kirche mit hineingezogen in
diesen Konflikt. Unter den Prozesszuschauern ist Oberkirchenrat Michael
Lehmann, Personaldezernent der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.
Bislang habe er nichts gesehen, was eine Verurteilung rechtfertigen würde,
sagt er. Aber sollte König zu mindestens einem Jahr Haft verurteilt werden,
müsse er entlassen werden. Es sei denn, die Kirche komme in einem
Disziplinarverfahren zu einem anderen Schluss.
Nicht nur die Kirche, auch die Politik beschäftigt sich mit König. Am
Samstag bekam er den „Thüringer Demokratiepreis“ vom
Landessozialministerium verliehen. Am Donnerstag wird er dann wieder auf
der Anklagebank sitzen im Saal A 2.133 in Dresden. Lothar König sagt, es
gehe längst nicht mehr um ihn.
20 Jun 2013
## AUTOREN
Sebastian Erb
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