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# taz.de -- Flüchtlingscamp in Berlin: Streit auf dem Oranienplatz eskaliert
> Nach einem Messerangriff auf einen Bewohner des Kreuzberger
> Flüchtlingscamps kocht der Konflikt zwischen Protestierern und Anwohnern
> hoch.
Bild: Mit der Ruhe ist es am Flüchtlingscamp inzwischen vorbei (Archivbild)
BERLIN taz | Ein Gespräch sollte die Wogen glätten. Am Dienstagnachmittag
verabredete man sich im Camp, die Teestuben-Besucher und die Flüchtlinge.
Am Vorabend war ein Streit zu einem Messerangriff eskaliert. Doch auch der
Versuch der Aussprache gipfelt in Vorwürfen und Gezänk.
Ein Konflikt schwelt am Oranienplatz: Seit Oktober leben hier einige
Dutzend Flüchtlinge in Zelten, um für mehr Rechte zu demonstrieren. Das
Bezirksamt duldet das Camp, viele Kreuzberger unterstützen es. Einige
Anwohner aber sind genervt und wollen den Platz zurück.
Am Montagabend artete der Streit aus. Laut Polizei überquerte gegen 19.30
Uhr ein 24-jähriger Deutschtürke mit seinem sechs Wochen alten Kind und
seinem 50-jährigen Vater den Oranienplatz. Campbewohner seien ihnen
gefolgt, hätten sie aufgefordert, sich „zu verpissen“. Der junge Mann soll
darauf einem 27-jährigen Sudanesen ein Messer in die Brust gestochen haben
und geflüchtet sein.
Es folgt Tumult: Flüchtlinge verfolgen den Täter, andere umringen den
Kinderwagen. Als Polizisten das Baby und hinzugekommene Verwandte wegfahren
wollen, legen sich Campbewohner in den Weg. Die Polizei, nun mit 250
Beamten im Einsatz, setzt Pfefferspray und Schlagstöcke ein, nimmt neun
Protestierer fest. Aus dem Camp fliegen Flaschen. Am Rand bedrohen etwa 20
Bekannte des Angreifers die Flüchtlinge.
## Täter ist ermittelt
Derweil strömen immer mehr Unterstützer ins Camp. Gut 300 sind es gegen 22
Uhr. Auf einer Bierbank steht der türkische Flüchtling Turgay Ulu mit
Megafon. „Wir sind gegen Gewalt. Aber wir wollen auch keine Polizeigewalt,
wir verteidigen uns selbst.“ Laut Einsatzführer sind die Beamten zu diesem
Zeitpunkt nur noch da, um weitere Auseinandersetzungen zu verhindern. Die
Lage beruhigt sich.
Doch im Camp herrscht noch am Morgen Unruhe. „Wir haben Angst“, sagt Haki,
ein Libyer. „Das war ein Mordversuch. Was ist das für ein Mensch, der
sofort ein Messer zieht und sein Baby zurücklässt?“ Dass man den Angreifer
beleidigt habe, weist man im Camp zurück. Man habe ihn nur gefragt, warum
er sie so anstarre, berichtet einer. Dann sei der Mann ausgetickt. Er habe
die Flüchtlinge als „Scheißneger“ beschimpft, heißt es, er sei ein
Rechtsextremist aus dem Umfeld der „Grauen Wölfe“. Die Polizei
widerspricht: Der Täter sei ermittelt, nichts Derartiges sei bekannt.
Auch die Beamten geraten in die Kritik. Mit überzogener Härte seien sie
eingeschritten, und nur gegen Flüchtlinge, wird im Camp geklagt.
Tatsächlich sind mehrere Festgenommene verletzt. Die Polizei bestätigt,
dass ein Mann von einem Diensthund in die Hand gebissen wurde. Aber auch
sechs Beamte seien verletzt worden. Das Opfer der Messerattacke soll noch
in der Nacht aus dem Krankenhaus entlassen worden sein. Die Verletzungen
seien oberflächlich gewesen sein, so die Polizei.
Aus der türkischen Teestube an der Ecke des Oranienplatzes hört man
anderes. „Das Camp muss endlich weg“, schimpft ein Mann, der seinen Namen
nicht sagen will. Es sei laut, der Platz vermülle, Frauen würden „von den
Schwarzen“ angemacht. Wenn einer sein Kind anginge, würde er sich genauso
verteidigen. Eine Frau mit Kinderwagen stellt sich dazu. Nicht die
Flüchtlinge seien das Problem, sagt sie. „Die tun mir leid.“ Aber es hätt…
sich Drogendealer aus dem Görlitzer Park unter die Protestierer gemischt.
## „Das Camp muss weg“
Turgay Ulu sitzt nebenan im Infozelt des Camps. Auch er räumt Spannungen
ein, berichtet von rassistischen Anfeindungen, auch aus der türkischen
Community. „Das ist eine kleine Gruppe“, beschwichtigt Ulu jedoch. Waren
zuletzt nur sporadisch Unterstützer im Camp, sind sie nun wieder rund um
die Uhr vor Ort.
Am Nachmittag soll dann die Aussprache im Camp stattfinden. Doch schon am
Rand geraten beide Seiten aneinander. „Ihr könnt hier nicht machen, was ihr
wollt“, schimpft ein deutschtürkischer Mann. „Wir sind seit 30 Jahren
hier.“ Ein anderer sagt, er habe selbst Rassismus erfahren. „Und jetzt
sollen wir Nazis sein?“ Die Flüchtlinge verweisen darauf, dass es ihr
Mitstreiter sei, der angegriffen wurde. „Denkt ihr, wir wollen hier so
leben?“, fragt ein Mann aus Nigeria.
Immer lauter wird gestritten, zum Zusammensetzen kommt es nicht mehr.
Mittendrin steht Franz Schulz, der grüne Bezirksbürgermeister, und wirbt
dennoch für einen runden Tisch. „Wir brauchen hier wieder einen klaren und
offenen Austausch.“ Das Camp stellt Schulz nicht in Frage. Gerade vor der
Bundestagswahl habe es Berechtigung. Am Ende vereinbart man zumindest, sich
noch einmal zu treffen.
Am Dienstagabend versammeln sich schließlich wieder Linke vor dem Camp,
diesmal für eine Solidaritätsdemo für die Flüchtlinge. Rund 800 Menschen
ziehen vom Oranienplatz zum Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke. Auch
Turgay Ulu ist dabei. Flüchtlingen gehe es hierzulande immer noch schlecht,
sagt er. Also müsse das Camp bleiben.
18 Jun 2013
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Flüchtlingslager
Berlin-Kreuzberg
Flüchtlingscamp Oranienplatz
Sachleistungen
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