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# taz.de -- Transgenialer CSD demonstriert: Politik, Protest, Party
> Der Transgeniale CSD gibt sich politischer als sein großer Bruder.
> Deswegen wurde das Straßenfest abgesagt – weil es nichts zu feiern gebe.
> Demonstriert aber wurde.
Bild: Diese Fahne eint sie alle: Mit dem Regenbogen für mehr Homosexuellen-Rec…
Mit verschränkten Armen und kritischen Blicken stehen einige am Rand der
Gneisenaustraße und beobachten, was da gerade an ihnen vorbeizieht: ein
Demonstrationszug mit schrill gekleideten Menschen und lauter Technomusik.
Sie sind eine bunte Truppe, die Demonstranten des Transgenialen CSD. Nach
Angaben der Polizei waren es auch dieses Jahr wieder knapp 1.500
Demonstranten: bunt gekleidete Schwule und Lesben, Transsexuelle mit
Leggins und hohen Absätzen, dazwischen immer wieder junge Familien mit
Kinderwagen und am Ende des Zuges eine Gruppe Punks, die die herumliegenden
Bierflaschen aufsammeln. Das gute Wetter an diesem Samstag sorgt für
ausgelassene Partystimmung; aus den Umzugswagen schallt Technomusik.
Doch viel feiern wollte man dieses Jahr gar nicht auf dem Transgenialen
Christopher Street Day unter dem Motto „Solidarisch Queertopia erkämpfen“.
„Wir wollen nicht, dass der Transgeniale CSD zur Partymeile wird wie der
große CSD“, sagt ein Demonstrant.
Deshalb wurde dieses Jahr auch das traditionelle Straßenfest am Ende des
TCSD abgesagt. Es gebe wegen der vermehrten rassistischen Übergriffe in
Berlin nichts zu feiern, so die Veranstalter. Man will politisch bleiben,
trotz der ausgelassenen Stimmung und der lauten Musik.
Auf dem Mehringdamm hält der Zug, die Bässe verstummen. Mehrere
Aktivistinnen reden über Missstände in Berlin und Angriffe auf
Homosexuelle. „Man diskutiert viel über die Gleichstellung der Ehe, aber
darüber, dass Lesben in Berlin angegriffen werden, wenn sie Hand in Hand
gehen, darüber wird nicht gesprochen“, bemerkt ein Redner. Fast eine halbe
Stunde stehen mehrere Rednerinnen und Redner auf dem Hauptwagen, dann geht
es weiter mit Musik.
Es ist ein schwieriger Spagat, den der Transgeniale CSD zwischen Protest
und Party vollbringen muss. Schließlich hat man sich ursprünglich vom
großen CSD getrennt, weil dieser immer mehr zur Loveparade für Schwule und
Lesben wurde. Entstanden ist die Alternative im Jahr 1997. Damals hatte die
Demoleitung des CSD eine Wagengebühr eingeführt, was einige Teilnehmer laut
kritisierten. Hinzu kam der „Rattenwagen“ auf dem damaligen CSD-Zug, auf
dem die Teilnehmer symbolisch im Dreck wühlten und teilweise andere
Teilnehmer bewarfen.
Dieser Wagen war eine Reaktion auf die Äußerung des damaligen
CDU-Fraktionschefs Klaus Landowsky: „Es ist nun einmal so, dass dort, wo
Müll ist, Ratten sind, und dass dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel
ist. Das muss in dieser Stadt beseitigt werden.“ Dieser Wagen wurde von der
CSD-Leitung für die nächsten Jahre ausgeschlossen und von der Polizei vom
Rest der Demo abgespalten. Der ausgeschlossene „Rattenwagen“ und einige
Anhänger veranstalteten in Kreuzberg eine Spontandemonstration gegen die
Demo-Leitung und gegen die Polizei. Diese Spontandemonstration fand in den
Folgejahren unter dem Namen Transgenialer CSD parallel zum großen CSD
statt. Man wollte politisch bleiben und gegen den Trend des CSD steuern,
der immer weiter vom Demonstrieren zum Feiern überging. Deswegen sind
Parteien, politische Banner und Nationalflaggen verboten. Werbebanner auf
den Wagen gibt es auch keine.
Obwohl die Beziehungen zwischen den beiden Veranstaltern jedes Jahr
schlechter wurden, kann es der Transgeniale CSD wohl als Erfolg verbuchen,
dass die CSD-Leitung immer stärker diskutiert, wie man wieder politischer
werden kann. Man versuche den CSD seit Jahren wieder politischer zu
gestalten, bestätigte der CSD-Geschäftsführer Robert Kastl am Samstag in
der taz. Dieses Jahr wurde die CDU vom CSD ausgeschlossen. Einzelne
Mitglieder dürften aber trotzdem mitziehen, so Kastl, wie zum Beispiel die
LSU, die „Lesben und Schwulen in der Union“. Außerdem will man die
Vorschrift, dass nur 30 Prozent der Wagenfläche Werbung sein dürfen,
endlich durchsetzen. Alles Zeichen dafür, dass sich der CSD wieder etwas
mehr aufs Demonstrieren besinnt, statt nur zu feiern.
Mit verschränkten Armen steht ein Mann vor einer Shishabar an der
Oranienstraße. „Hier kommt kein Schwuler rein“, nuschelt er eher vorsichtig
vor sich hin, als der Transgeniale CSD an der Bar vorbeizieht. Ob er das
Plakat einer Demonstrantin gesehen hat, auf dem steht „In Schubladen kommen
bei mir nur Socken und Unterwäsche“? Auf alle Fälle zeigt es, dass das
Ringen um Gleichberechtigung und Akzeptanz noch nicht überflüssig geworden
ist.
Umso wichtiger ist es, dass die Demonstrationen für gleiche Rechte von
Homosexuellen und Transsexuellen politisch bleiben und nicht zur Partymeile
verkommen.
23 Jun 2013
## AUTOREN
Benjamin Zimmermann
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Transgender
Homosexuelle
Christopher Street Day (CSD)
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