# taz.de -- Punks in Indonesien: Freiwillige Pogo-Pause | |
> Das größte muslimische Land der Welt hat eine vielfältige Punkszene, aber | |
> die stößt auf wenig Gegenliebe: Punks landen in Umerziehungslagern. | |
Bild: Netter Name: „The Djihard“ spielen in Kuta auf Bali. | |
JAKARTA taz | Depok ist ein Vorort der indonesischen Hauptstadt Jakarta. | |
Hinter einer Autolackiererei lebt dort Tian mit seiner Mutter und seinem | |
kleinen Bruder. Im Garten scharren Hühner und von fern rufen zahlreiche | |
Imame fünfmal täglich zum Gebet. | |
Am Dienstagmorgen bekommt Tian einen Anruf von der Polizei. Ob es stimme, | |
dass er ein Konzert mit einer ausländischen Band organisiere? Nein, | |
antwortet Tian schnell, das Konzert ist abgesagt. Irgendjemand hat ihn | |
verpfiffen, denn für solche Auftritte braucht man in Indonesien eine | |
kostspielige Genehmigung. Nun muss Tian dringend einen neuen Ort für das | |
von ihm am Abend geplante Punkkonzert finden. | |
Die „ausländische Band“ kommt aus Berlin und heißt „Kami Ada“. Das ist | |
Indonesisch und bedeutet: „Uns gibt es“. Die Hardcore-Punkband besteht aus | |
einer Kolumbianerin, einem Polen, einem Deutschen und dem Indonesier Cimot, | |
der seit drei Jahren in Berlin lebt. Im Frühjahr hat Cimot mit seinen alten | |
Freunden eine fünfwöchige Non-Profit-Tour über die indonesischen Inseln | |
Sumatra, Java und Bali organisiert. Die Auftritte reichten vom | |
Barfuß-Konzert vor 35 Leuten im Tonstudio bis hin zum Festival mit 30 Bands | |
in einer Stadthalle vor 1.000 Besuchern. | |
Punk in Indonesien, das ist auf den ersten Blick eine westlich geprägte | |
Subkultur, die der Szene in Europa oder Nordamerika an Vielfalt in nichts | |
nachsteht: Es gibt Streetpunks und Hardcore-Kids und Bands, die 77er | |
Punkrock, Hardcore oder Grindcore spielen. Auf den Konzerten wird Pogo | |
getanzt, und üppig tätowierte Jungs und Mädchen springen von allen Seiten | |
in die Menge. | |
Was indonesische Punks von den anderen unterscheidet: Sie leben in einem | |
Land, in dem fast 90 Prozent der 250 Millionen Einwohner Muslime sind. | |
Sowohl die Mainstreamgesellschaft als auch die Punksubkultur sind eher von | |
einem moderaten Islam geprägt. Auch wenn die meisten Punks nicht allzu | |
religiös sind, respektieren sie doch den Glauben; in kleineren Städten | |
werden freiwillig Konzertpausen eingelegt, um die Gläubigen nicht beim | |
Beten zu stören. | |
## Punkkonzert gestürmt | |
Doch immer wieder gibt es Übergriffe radikaler Moslems oder der Polizei, | |
denen die Punks und ihre Lebensweise zuwider sind. Im eigentlich | |
weltoffenen Yogyakarta wurden im März dieses Jahres Dutzende Punks | |
verhaftet. Im Dezember 2012 stürmten 100 junge Islamisten von der Islamic | |
Defenders Front ein Punkkonzert in der Nähe von Tasikmalaya und erzwangen | |
den Abbruch des Konzerts mit Macheten. | |
Weltweit bekannt wurde die indonesische Punkszene ein Jahr zuvor: In der | |
autonomen Provinz Aceh hatte die Sittenpolizei auf einem Konzert 65 Punks | |
verhaftet und in ein Umerziehungslager gesteckt – denn dort gilt die | |
Scharia. Und neben unverheirateten Paaren und Frauen in enger Kleidung sind | |
Punks das Feindbild Nummer eins. | |
Auch die Kid-Punks Poloh und Kiki, die das Konzert mitorganisiert hatten, | |
waren davon betroffen: „In Aceh werden Punks stark diskriminiert. Es gibt | |
keine Gleichheit, wir werden benachteiligt. Die Scharia ist ihr Gesetz, | |
nicht unseres. Es ist unmenschlich. Wir sollen etwas befolgen woran wir | |
nicht glauben.“ Die Umerziehung hat ihre Wirkung nicht verfehlt: Von circa | |
100 Punks in Aceh sind inzwischen noch 50 übrig. | |
Poloh und Kiki planen trotz allem das nächste Konzert: „Wir werden weiter | |
dafür kämpfen, dass wir aussehen können, wie wir wollen, für das Recht, | |
frei zu sprechen, und für unsere demokratischen Rechte in Indonesien!“ | |
## Was fehlt, sind Freiräume | |
In Depok hat Tian schon am Mittag einen Ersatzort für sein Konzert | |
gefunden: eine private Ladenzeile im Zentrum. Das Konzert mit neun | |
Punkbands kann nun also wie geplant stattfinden. Doch als Tian zusammen mit | |
Kami Ada den Auftrittsort begutachtet, gibt es eine Überraschung: Vor den | |
Läden hängen große Nationalflaggen von Großbritannien, den USA – und eine | |
Hakenkreuzfahne. Er sei halt Fan von deutschen Motorrädern, erklärt der | |
Inhaber. Die Fahnen seien nur Deko, in Depok wüsste sowieso niemand, was | |
dahintersteckt. | |
Punk in Indonesien begann um 1990 herum. Damals hatten Kids aus der | |
Oberschicht Alben von US-Bands importiert. Die ersten Bands gründeten sich: | |
Die Hardcore-Combo Antiseptic und The Idiots, eine Anarcho-Punkband. | |
„Damals war es schwer, Gleichgesinnte zu finden“, sagt Aca, der bei der | |
Straight-Edge-Band Straight Answer singt und mit seinen 37 Jahren schon ein | |
Veteran der Szene ist. Mit der Protestbewegung gegen das repressive | |
Suharto-Regime wurde auch die Punkbewegung größer und politischer. | |
„Inzwischen gibt es überall Punks, selbst auf dem Land.“ | |
Auf der dicht besiedelten Insel Java lebt die Hälfte aller Indonesier. Hier | |
ist auch die Szene größer, politischer und besser vernetzt – über das | |
Internet, über CDs, Konzerte und Fanzines. Indonesische Punks sehen sich | |
als Gegenbewegung zur Konsumgesellschaft und machen alles selbst. | |
Gegenseitige Solidarität und DIY steht dabei im Vordergrund, nicht so sehr | |
der Protest. Viele Konzerte sind Benefizveranstaltungen für Waisenkinder | |
oder die Antikorruptionsbewegung; viele Punks sind im Umweltschutz aktiv | |
oder beteiligen sich an „Food Not Bombs“, einer Armenküche. | |
Was fehlt, sind Freiräume. Auch selbstverwaltete Konzertorte und | |
Treffpunkte sind Mangelware. Beides gab es im Bahnhof Pondok Jati in | |
Jakarta. Jahrelang haben Punks wie Cimot und Armbone dort gelebt, Essen | |
verteilt und gratis Englischkurse organisiert. Die Konzerte wurden immer | |
unterbrochen, wenn ein Zug durchfuhr. Doch im Februar wurden die zwei Räume | |
in dem liebevoll „Ponti“ genannten Bahnhof kurzerhand abgerissen. Der | |
Punk-Infoladen ist zwar in einem gemieteten Raum in der Nähe untergekommen, | |
doch für Armbone ist das kein adäquater Ersatz: „Ich kämpfe weiter für | |
einen Freiraum. Wir brauchen nämlich einen Treffpunkt, vor allem in | |
Jakarta. Wir werden einen Ort finden, und wenn nicht, dann machen wir uns | |
einen!“ | |
Das Konzert in Depok hat angefangen. Die Hakenkreuzflagge ist verschwunden | |
und wurde durch rote Che-Guevara-Fahnen ersetzt. Hinter der provisorischen | |
Bühne trainieren Männer ihre Muskeln im „Bang-Day Gym“, während eine Band | |
nach der anderen jeweils 15 Minuten lang ihre Songs zum Besten gibt. | |
Lokalbands müssen dafür zahlen, dass sie auftreten dürfen, dafür kostet das | |
Konzert keinen Eintritt. Der Sound ist mies, doch der überdrehten, aber | |
friedlichen Stimmung tut das keinen Abbruch. 150 Punks feiern jeden Song | |
mit wildem Pogo ab. Ganze Punkfamilien sind erschienen und halten ihre | |
Kleinsten ohne Ohrenschützer vor die übersteuerten Lautsprecherboxen. Ein | |
Kind wird von einem Stagediver versehentlich umgenietet. Nach Cimots | |
ehemaliger Band Assault sind alle Mikros kaputt. | |
## Rebellion ist verschieden | |
„Jeder versteht unter Rebellion etwas anderes; einige halten es für | |
rebellisch, sich zu besaufen“, kritisiert Aca. „Aber nach all den Jahren | |
denke ich, dass es die wahre Rebellion ist, so lang wie möglich aktiv in | |
der Punkszene zu sein. Denn in Indonesien musst du als Punk zuerst gegen | |
die Familie kämpfen. Die herrschende Moralvorstellung will, dass du so | |
normal wie möglich bist. Der Anpassungsdruck ist hier groß.“ | |
Und im traditionell konservativen Indonesien hat die Familie einen hohen | |
Stellenwert – auch bei den Punks. Am Stadtrand von Bandung, umgeben von | |
Moscheen und kleinen Tofufabriken, liegt das „Rumah Pyrata“, das | |
Piratenhaus; es ist eine der wenigen politischen Hausgemeinschaften in | |
Indonesien. Seit einem Jahr drucken die „Pirate Punks“ hier T-Shirts, | |
beherbergen Bands und kochen für „Food Not Bombs“. Seit Neuestem gibt es | |
sogar ein Internetradio. | |
Fast alle Punks leben noch bei ihren Eltern, denn für Männer und Frauen, | |
die nicht miteinander verheiratet sind, ist es fast unmöglich, | |
zusammenzuwohnen. „Einerseits müssen wir unsere Eltern respektieren, und | |
andererseits sind Leute wie wir auch sehr arm und können sich keine eigene | |
Wohnung leisten“, erklärt Kung von den Piratenpunks. „Die Leute fangen | |
jetzt erst langsam an, kollektiv zusammenzuleben.“ | |
Das Konzert in Depok ist vorbei, zwei Bands konnten wegen der kaputten | |
Mikros nicht mehr auftreten, doch Tian ist zufrieden. Als die meisten Leute | |
gegangen sind, rüttelt ein Punk an einer Plexiglasscheibe. Nichts geht | |
kaputt, Leute beruhigen ihn sofort, doch der Security-Mann fühlt sich | |
herausgefordert: Er holt einen großen Schraubenschlüssel und verpasst dem | |
Punk damit eine klaffende Platzwunde. | |
Der Verletzte wird auf einem Moped ins nächste Krankenhaus gebracht, die | |
Umstehenden zucken mit den Schultern. Einer verteidigt den Security-Mann | |
sogar: „Wenn die Leute ständig Ärger machen, gibt es bald gar keine | |
Konzerte mehr“. Nur Tian ist frustriert, denn der verletzte Punk ist ein | |
Freund von ihm. Und das erste Punkkonzert in Johnnys Ladenzeile ist | |
zugleich auch das letzte. | |
2 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Darius Ossami | |
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