# taz.de -- Ägyptische Muslimbrüder unter Druck: Die Armee schützt ihre Inte… | |
> Die ägyptischen Militärs haben nichts gegen die Muslimbrüder. Sie mischen | |
> sich jetzt nur ein, weil sie befürchten, dass das Land auseinanderbricht. | |
Bild: Die Armee wird plötzlich als Retter vor der Herrschaft durch die Muslimb… | |
KAIRO taz | In Ägypten gibt es dieser Tage viel mehr Fragen als wirkliche | |
Antworten. Wie lange ist der Muslimbruder Muhammad Mursi noch Präsident, | |
nachdem seine in Massen auf der Straße demonstrierenden Gegner nun auch vom | |
Militär Hilfe bekommen? | |
Und was kann das Militär tatsächlich unternehmen, wenn Mursi nicht | |
nachgibt? Und was passierte mit den Muslimbrüdern, sollten sie mit einer | |
Mischung aus Massenprotesten und einem Militärputsch von der Macht | |
zwangsweise entfernt werden? | |
Es überkommt einen ein mulmiges Gefühl, wenn man dieser Tage auf dem Tahrir | |
steht und die Menschen den Militärhubschraubern zujubeln, die mit | |
ägyptischen Fahnen ihre Kreise über den Platz drehen. | |
Da macht die gleiche Militärführung einen auf patriotischen Freund des | |
Volkes, die nach dem Sturz Mubaraks massenhaft Tahrir-Aktivisten verhaften | |
und vor Militärgerichte stellen ließ und die sogenannte | |
Jungfräulichkeitstests von inhaftierten Demonstrantinnen befohlen hatte. | |
## Fragwürdige Retter | |
Selbst die zuvor so verhasste Polizei, die für den Tod von über tausend | |
Demonstranten verantwortlich ist, und das Innenministerium, das sich bisher | |
allen Reformversuchen entzogen hat, werden als Retter in der Not vor Mursi | |
und seinen Muslimbrüder rehabilitiert. | |
„Das ist verständlich, aber nicht verzeihlich“, sagt Khaled Fahmy, | |
ägyptischer Historiker und Politkommentator. „Das zeigt, dass die | |
katastrophale Politik der Muslimbrüder die Menschen selbst wieder in die | |
Arme der alten Sicherheitskräfte getrieben hat“, sagt er. | |
Die Armee, glaubt Fahmy, habe keinen lange ausgeheckten Plan, sondern | |
reagiere nur auf den überraschenden Mobilisierungserfolg der | |
Tamarud-Bewegung. Dabei hat sie durchaus ihre eigenen Interessen, schon | |
allein, weil sie mindestens ein Viertel der Wirtschaft kontrolliert. | |
## Finanzielle Autonomie der Armee | |
„Die Armee hat kein Problem mit den Muslimbrüdern, sie hat Angst, dass die | |
Gesellschaft auseinanderbricht und dass dann auch ihren Interessen auf dem | |
Spiel stehen“, erklärt Fahmy. | |
Tatsächlich hatten die Muslimbrüder in der von ihnen durchgepeitschten | |
Verfassung dem Militär seine finanzielle Autonomie gewährt. Der wichtigste | |
Punkt für die Generäle. Nun sehen sie in der sofortigen Beendigung der | |
politischen Krise die beste Garantie, ihre Interessen abzusichern – selbst | |
wenn noch unklar ist, wie sie das Ganze tatsächlich zu einem Schluss | |
bringen, ohne den gewählten Präsidenten für seine Anhängerschaft zum | |
Märtyrer zu machen, wenn er aus seinem Amt getragen würde. | |
„Die Armee sucht nun dringend nach einer Formel, wie sie in einem | |
demokratischen Übergangsprozess ihre Interessen schützen kann“, fasst Fahmy | |
das Problem des Militärs zusammen. | |
## „Sie haben verloren“ | |
Noch entscheidender wird sein, wie sich die Muslimbrüder verhalten werden, | |
wenn sie mit dem Rücken zu Wand stehen. „Sie haben verloren, wenn sie | |
kapitulieren, und sie werden sogar noch mehr verlieren, wenn sie sich mit | |
Gewalt wehren und ihre Anhänger auf der Straße mobilisieren. Ein Teil der | |
Hardliner würde es gerne genau darauf anlegen“, glaubt Fahmy. | |
Erste Hinweise gibt es auf Letzteres: wenn die Hardliner, wie schon | |
geschehen, zur „Intifada der Moscheen“ aufrufen und davon reden, dass „die | |
Legitimität des gewählten Präsidenten ihre rote Linie ist, die sie über | |
ihre Leichen verteidigen werden“. | |
Trotzdem glaubt Fahmy nicht an ein algerisches Szenario. Das | |
nordafrikanische Land war in einen Bürgerkrieg abgeglitten, als den | |
Islamisten der Wahlsieg verwehrt worden war. Ägypten hatte eine Revolution, | |
Wahlen und die Chance, die Muslimbrüder auszuprobieren, die für viele | |
Ägypter an dieser Aufgabe gescheitert sind. Außerdem haben Ägyptens | |
Islamisten bereits in den 1990er Jahren das Land mit Gewalt überzogen und | |
aus ihren Fehlern gelernt. Sie haben sich für den damaligen Terror | |
entschuldigt. | |
## Richtungsstreit bei den Muslimbrüder | |
Fahmy erwartet eher, dass es zu einem Coup innerhalb der Muslimbrüder | |
kommen könnte, der von der Jugend der Organisation angeführt werden könnte. | |
„Die Muslimbrüder befinden sich in einer existenziellen Krise“, erläutert | |
Fahmy. Normalerweise halten die Muslimbrüder in so einer Krise zusammen, | |
das haben sie in all den Jahrzehnten ihrer Verfolgung gelernt. | |
Aber jetzt können sie nicht so weiter funktionieren wie unter der Diktatur. | |
Gerade die Muslimbruder-Jugend weiß, dass die Idee der Hardliner, zu | |
versuchen alles zu kontrollieren und mit den eigenen Leuten zu bestücken, | |
in einem so diversifizierten Land wie Ägypten nicht funktioniert. | |
Auszuschließen ist aber nicht, dass ein Teil der Hardliner wieder | |
individuell bei Gewalt und Terror Zuflucht sucht, mit dem Argument, man | |
habe ihnen das demokratische Experiment gestohlen. | |
Das Erbe der jetzigen Tage in Ägypten wird uns noch lange beschäftigen. Vor | |
allem dann, wenn es das Militär und die politischen Nachfolger von Mursis | |
Präsidentschaft nicht schaffen, den politischen Islam auch in einer | |
Nach-Mursi-Zeit demokratisch einzubinden. | |
2 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
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